Archiv der Kategorie: Kultur

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Das Auge wählt mit

Spätestens zu Wahlzeiten rücken Politiker ins Rampenlicht. Jetzt stellen sich Parteien mit ihren Programmen und Kandidaten den Wählern. Damit sich das Wahlvolk nach der Wahl nicht über falsche Zusagen aufregt, wird davor so wenig wie möglich versprochen. Es gibt jedoch einen Faktor, der zuverlässig vor der Wahl sichtbar wird – die Körpersprache der Kandidaten. Besonders die Mimik enthüllt den Menschen hinter der politischen Fassade. Das Mienenspiel ist nur schwer steuerbar. Ausnahmen bilden Schauspielende und PolitikerInnen.

Die Gefühle hat Paul Ekman mit allgemeinen Kriterien beschrieben, dem Facial Action Coding System. Mit dem FACS können wir die Gesichtsausdrücke der sieben Grundgefühle erkennen – Wut, Verachtung, Ekel, Angst, Freude, Traurigkeit und Überraschung. Entlarvend sind die Gefühle, die uns am stärksten ins Auge springen. Allerdings verstehen wir diese Gesichtsausdrücke erst, wenn wir die Gründe kennen.

  • Wut
    entsteht, wenn ungerechte, bedrohliche oder hinderliche Umstände passieren. Sie enttäuschen, stimmen mutlos und lösen Stresshormone aus. In der Folge steigen der Herzschlag und der Blutdruck. Die Augenbrauen werden zusammengezogen. Die Augenlider spannen sich an und das obere Lid hebt sich. Die Lippen werden aufeinandergepresst.
    Sobald jemand wütend ist, sollte die Situation entspannt werden. Sie können freundlich reagieren, das Problem von Personen trennen und die Ursache der Wut ermitteln (Frage: Was macht Dich/Sie wütend?).
  • Ekel
    besteht, weil einen etwas anwidert oder abgelehnt wird. Dieser Reflex führt zu körperlichen Reaktionen wie Verkrampfungen im Verdauungstrakt und Brechreiz. Entsprechend werden die Nase gerümpft, die Oberlippe und das Kinn hochgezogen sowie die Mundwinkel und Wangen gesenkt. Ekel ist ein erlernter Reflex, der uns vor ungenießbarem Essen schützt. Manchmal wird er auf Sachverhalte übertragen, die einen so stark abstoßen, dass der Körper unbewusst reagiert.
    Um Ekel zu begegnen, sollte die Ursache beseitigt und das Augenmerk umgelenkt werden. Ermitteln Sie die Gründe des Ekels (Frage: Was stört Dich/ Sie?) und lenken Sie die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung.
  • Angst
    entsteht, wenn sich jemand bedroht fühlt. Dies geschieht aufgrund eines vagen Gefühls, aus Angst vor etwas, in einer gefährlichen Situation oder aufgrund einer chronisch psychischen Erkrankung. Angst ist eine körperliche Antwort auf eine bedrohliche Lage, die seit den frühen Phasen der Evolution das Überleben sichert. Die Menschen nehmen die Umwelt aufmerksamer wahr. Die Herzfrequenz steigt. Das Atmen wird flacher und beschleunigt sich. Die Verdauung wird gehemmt sowie Übelkeit und Schwindel treten auf. Die Augen weiten sich. Die Augenlider und die Lippen spannen sich an. Die Augenbrauen werden hoch- und zusammengezogen. Der Kiefer fällt herunter und die Mundwinkel werden nach außen gezogen. Der Blick fällt erstarrt auf die Gefahr.
    Menschen können sich auf angstmachende Umstände vorbereiten, indem sie sich ihnen bewusst aussetzen: Hunde streicheln, Aufzug fahren, vor Menschen sprechen. In der bedrohlichen Lage helfen eine ruhige Atmung und vorbereitete, eigene magische Formeln zu denken oder unmerklich aussprechen – „Ich-Kann-Wie-Immer-Jetzt“. Sobald Sie Angst bemerken, unterbrechen Sie das laufende Tun. Beruhigen Sie die Person – „Alles gut – Wir machen eine Pause – Tief ein- und ausatmen.“
  • Überraschungen
    tauchen aus dem Nichts auf. Aufgrund von unerwarteten Ereignissen, intensiven Gefühlen oder anderen unvorhergesehenen Wahrnehmungen werden spontanes Verhalten und Ausrufe ausgelöst. Das jeweilige Temperament, die aktuelle Stimmung und Aufmerksamkeit haben einen starken Einfluss darauf. Unsere verletzten Überzeugungen führen zu (un)angenehmen Gefühlen bis hin zu Ängsten. Die Augen werden weit geöffnet, die Augenbrauen gehen hoch und der Kiefer fällt herunter.
    Sobald jemand verblüfft reagiert, empfiehlt es sich zu ergründen, welche mentalen Modelle verletzt wurden. Negative Resonanz ist ein Hinweis auf verletzte Werte. Positive Rückmeldungen weisen auf Vorlieben und Bedürfnisse hin, die, sobald sie verstanden sind, zu einer förderlichen Verankerung der Umstände beitragen können.
  • Freude
    entsteht, wenn etwas Angenehmes oder Vorteilhaftes passiert oder erinnert wird. Die angehobenen Mundwinkel und Wangen sowie zusammengekniffene Augen sind deutliche Signale bei „öffentlicher“ Freude. „Nicht öffentliche“ Freude wird an einer entspannten Miene erkennbar.
    Sobald sich jemand freut, wirkt das stimulierend auf die Umgebung. In „The Secret“ wird anhand des Gesetzes der Anziehung beschrieben, wie eine freudige Einstellung zu besseren zwischen­menschlichen Beziehungen, Gesundheit und anderen Effekten unseres Lebens führen. Normalerweise braucht Freude keine Erwiderung. Wenn allerdings jemand auf Geschehnisse nicht entsprechend antwortet, sollte man die Gründe ermitteln – auf einen Scherz wird üblicherweise gelacht oder zumindest gelächelt.
  • Traurigkeit
    entsteht durch unerwünschte Umstände wie dem Tod, Krankheit und unerfüllten Wünschen. Zusammengezogene, mittige Falten zwischen den Augenbrauen, hängende Mundwinkel, ein leicht angehobenes Kinn, eine flache Atmung und ein nach innen gewandter Blick sind Kennzeichen.
    Sobald Sie Trauer bemerken, überlassen Sie es den Trauernden, die eigenen Gefühle auszuleben. Sie brauchen Zeit, um die Trauerphasen zu durchlaufen (i.e. Schock, Gefühle in den Griff bekommen, Rückzug, Bewältigung und Annahme des Schicksals). Zeigen Sie zurückhaltendes Mitgefühl, durch Aufmerksamkeit und Anteilnahme.
  • Verachtung
    entsteht, wenn Personen, Gruppen oder Institutionen (un)bewusste Überzeugungen verletzen. Dies führt dazu, dass die Adressaten nicht beachtet, abgelehnt oder aggressiv entwürdigt werden. Sie wirkt von oben nach unten und umgekehrt. Sichtbar wird die Geringschätzung an hängenden Augenlidern, einem starren Blick und ansonsten einseitiger Mimik: hochgezogene Lippenseite, nach unten gezogener und nach innen gepresster Mundwinkel, leicht angehobene Wange.
    Das Ziel der Verachtung ist nicht sofort klar. Aus diesem Grund sollte die Ursache ermittelt werden. Möglicherweise verachtet die Person sich selbst, ihren Gegenüber, jemanden anderes oder einen früheren Vorfall. Vermeiden Sie dieses Gefühl unbewusst zu spiegeln. Bleiben Sie freundlich, gehen Sie nicht auf persönliche Vorwürfe ein und finden Sie den eigentlichen Grund der Verachtung heraus (Frage: Was stört Dich/Sie?).

Fazit: Die Körpersprache ist ein direkter Zugang zu der Gemütslage von Personen. Auch wenn manche Schauspieler bestimmte Gefühle bewusst ausdrücken können, bleiben die kleinen Signale, die nicht gewollt beeinflusst werden können. Gefühle wie Wut, Ekel, Angst, Überraschung, Freude, Traurigkeit und Verachtung können wir erkennen. Allerdings wissen wir dann noch lange nicht, was die Gründe für diese Gefühle sind. Bei Wahlen ist es schwierig, dem Innenleben der Kandidaten auf den Grund zu gehen. Politiker sind darauf vorbereitet, einen bestimmten Eindruck zu erwecken. Interviews sind in diesen Fällen aufschlussreich – vor allem, wenn die Fragenden unangenehme Fragen stellen und ungewollte Gefühle sichtbar werden. Besonders enthüllend sind die offensichtlichsten Posen, da sie wesentliche Eigenschaften des Menschen offenbaren. Am Ende wählt das Auge mit.

Lernen von den Ältesten

Bevor man anfängt, die schlechtzumachen, die in den vergangenen 2500 Jahren am meisten Konstanz bewiesen haben, sollten wir mal einen unbefangenen Blick auf sie werfen, da sie über lange Zeit nach mehr oder weniger ähnlichen Werten leben – die Chinesen. Die fünf Konstanten (1) Menschlichkeit, (2) Rechtschaffenheit, (3) Sittlichkeit, (4) Aufrichtigkeit und (5) Weisheit dienen den Renmin (dem chinesischen Menschen/ Volk) als Richtschnur:

  • In ihren Beziehungen zu anderen
  • Mit entsprechendem Pflichtbewusstsein
  • Freundlichkeit
  • Ehrlichkeit und
  • Präzisem Ausdruck.

Auf die Wuchangs baut das Verhalten auf – das starke Gefühl der Zu­gehörigkeit, das politische System oder die Sozialkredite. Die völlige Zentralisierung und die Unabhängigkeit von Wahlversprechen ermöglicht es der Führung, ambitionierte Ziele zu setzen und zu verwirklichen – auch wenn der Umgang mit Menschenrechten dabei auf der Strecke bleibt.

Löst man sich von der allgemeinen Polemik gegenüber dem chinesischen Drachen bezüglich des politischen Systems und wie sie mit Widerständen umgehen, gibt es einiges zu lernen von dem zweieinhalb tausend Jahre alten konfuzianischen Mindset.

  • Wer keine Ausdauer hat bei Kleinigkeiten, dem misslingt der große Plan
    Die Anbindung Chinas an die internationalen Märkte unter den Titeln One Belt, One Road oder Die neue Seidenstraße (zu Land und zu Wasser) bündelt verschiedene Vorhaben. Es kanalisiert die Anstrengungen langfristig in Richtung wirtschaftlicher Expansion. Im Westen ist die Ausrichtung auf lange Zeiträume verloren gegangen. Gleichzeitig werden Großprojekte durch überbordende Bürokratie und private Widerstände verunmöglicht. In der Folge werden die Entscheider für kurzfristiges Wohlverhalten belohnt, dass sich an den lautesten und nicht an den mehrheitlichen Bedürfnissen orientiert.
    Wir sollten uns im Westen darauf besinnen, dass das Wohl der Mehrheit, Entschiedenheit und Ausdauer Voraussetzungen für unseren Fortschritt sind. Dies erfordert einen Masterplan, der beispielsweise die Bildung fördert, eine funktionierende Infrastruktur und den Erhalt der Wettbewerbsvorteile sicherstellt.
  • Eine tönende Trommel muss nicht stark geschlagen werden
    Die fortwährende Kritik an den Verhältnissen in China zeugt von einem fehlenden Verständnis der kulturellen Besonderheiten Asiens. Wenn das Sozialkredit-System als Big Brother is watching in Misskredit gebracht wird, übersehen viele die entsprechenden Maßnahmen zur Beobachtung im Westen – z.B. Überwachungskameras in England, flächendeckende Überwachung der Kommunikation und des Verkehrs in Deutschland oder die US-amerikanische übermächtige NSA. Im Gegensatz dazu setzt das chinesische System auf uralte Werte (siehe die fünf Konstanten), die beispielsweise die Einführung des Sozialkredit-Systems einfacher machen. Vor allem wenn es verknüpft wird mit der angestrebten Verdoppelung des Pro-Kopf-Einkommens bis 2035.
    Wir sollten uns von dem Grundgedanken lösen, alles dem wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und wenigen Superreichen unterzuordnen. Viabel bleiben wir nur, wenn wir den nachfolgenden Generationen die Zukunftschancen erhalten, indem wir uns mehr auf die langfristige Sicherung der Leistungsfähigkeit aller konzentrieren, eine gemeinsame (beispielsweise eine europäische) Identität schaffen und die Spaltung der Gesellschaft in Habende und Habenichtse verhindern. Ein fruchtbarer Gemeinsinn ermöglicht Vorteile für alle, wenn sämtliche Interessengruppen an einem Strick ziehen.
  • Das eine Tun und das andere nicht lassen
    Im Gegensatz zu den kulturell benachbarten 27 europäischen Staaten besteht China aus 90 ethnischen Gruppen oder 56 offiziellen Nationalitäten. Es erstreckt sich zwar über fünf Zeitzonen, hat jedoch nur eine Uhrzeit, die Pekings. Berücksichtigt man die über 1,4 Millionen Menschen, dann werden sich die inneren Schwierigkeiten nachvollziehbar. Denkt man dann noch an die asiatische Mentalität des Yin und Yangs, dann beeindrucken die Ergebnisse von Ein Land, zwei Systeme oder die neue Maßnahme der Zwei Kreisläufe – in anderen Worten: der Modus, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen.
    Wir könnten viel von solchen an sich widersprüchlichen Ansätzen profitieren, anstelle dogmatisch dem einen Weg Jeder für sich zu folgen. Die EU hat weniger Schwierigkeiten, sich mit unterschiedlichen Mentalitäten auseinanderzusetzen. Ärger entsteht durch die nationalen Egoismen. Europa hat sich, beispielsweise durch seine Verteilung der Kompetenzen oder das Veto-Recht handlungsunfähig gemacht. Nur wenn die Nationalstaaterei zugunsten der Vereinigten Staaten von Europa aufgelöst wird, gibt es eine Zukunft für alle – der europäische Markt hat die richtige Größe, basiert auf einer gemeinsamen Kultur und verfügt über eine etablierte Wirtschaft.
  • Nutze alle Möglichkeiten
    Mit seinem Made in China 2025 (MIC) zielt China auf die Vorherrschaft in wichtigen Bereichen – entschlossene Digitalisierung (z.B. Netzinfrastruktur, Halbleiter); Einführung von Kryptowährung; Weiterentwicklung der Verkehrssysteme (z.B. Hochgeschwindigkeitszüge, Elektromobilität, Raumfahrt); Ausbau der IT-Kompetenzen (z.B. Künstliche Intelligenz, Quanten-Computer, Roboter und Automatisierung); Leistungssteigerungen in der Landwirtschaft.
    Wir haben zwar vergleichbare Handlungsbedarfe, sind aber aufgrund fehlender Entschiedenheit und persönlichem Profitstreben, nicht in der Lage, über Lippenbekenntnisse hinauszugehen. Es bleibt bei in die Zukunft verschobene Vorhaben, die sich wiederholt verzögern. Wir schöpfen den angehäuften Rahm der Wirtschaft ab und verteilen den Wohlstand von unten nach oben um. Dies führt unweigerlich zum wirtschaftlichen Infarkt – spätestens, wenn bisherige Vorsprünge aufgebraucht sind. In Abwandelung eines verbrannten Mottos brauchen wir ein Europe First, das von ALLEN mitgetragen und unterstützt wird – frei von nationalen und persönlichen Anliegen.
  • Nach den Steinen tastend den Fluss überqueren
    Die Zukunft liegt verborgen im Nebel der Möglichkeiten. Allerdings sind die nächsten Aufsatzpunkte erkennbar. Entsprechend hatte Deng Xiaoping die Devise ausgegeben Nach den Steinen tastend den Fluss überqueren. Mit seinen aktuell über 40 Millionen Studierenden und den Millionen Studienabschlüssen der vergangenen Jahre verfügt China über ein überwältigendes Reservoir an Wissensarbeitern. Mit dieser Flut an Wissen errichten sie im Rahmen der Initiative China Standards 2035 die Grundlagen für die Zukunft. Die meisten Patentaktivitäten finden mit über 1,4 Millionen laut WIPO in China statt (gefolgt von USA mit über 600 Tsd, Japan mit über 300 Tsd., Süd-Korea mit fast 220 Tsd. und Deutschland mit über 67 Tsd. Patenten).
    Wir erkennen an den Zahlen, wer das zukünftige Geschehen bestimmt. Um weiterhin die eigenen Chancen zu sichern, müssten die Europäer die Schwerpunkte genauso konsequent vorgegeben und verfolgen, wie China. Wenn das nicht gelingt, verlieren wir weiter an Substanz. Das gilt für die Leistungsfähigkeit der Menschen und Wirtschaft, die Abdeckung der Kommunikationsnetze, die Ausnutzung der westlichen Mentalität und dem angestammten Qualitätsverständnis.

Fazit: Im Wesentlichen geht es in diesem Beitrag darum, sich von dem polarisierenden Blick auf China zu lösen. Es wäre besser zu erkennen, dass China in den vergangenen sechzig Jahren seinen BIP nach RMB verfünfhundertfacht hat. In der gleichen Zeit hat sich der deutsche BIP vereinundzwanzigfacht. Auch wenn China auf einem sehr niedrigen Niveau gestartet ist, werden wir uns in diesem Jahrzehnt damit auseinandersetzen müssen, dass China die Führung in der Wirtschaft übernehmen wird. Vor allem aufgrund seiner beharrlich umgesetzten Initiativen: One Belt, One Road; Social Credit System; Dual Circulation; Made in China 2025 (MIC). Um weiterhin wirtschaftlich von Bedeutung zu bleiben, ist es erforderlich, einen Masterplan in Europa zu entwickeln und konsequent umzusetzen. Hierfür dürfen bürokratische und gesellschaftliche Widerstände nicht weiter ausgesessen, sondern aus dem Weg geräumt werden. Die Kernthemen sind die Förderung der Qualifizierung aller, die konsequente Beseitigung der Bevorzugung von Kapital und Industrie, die lückenlose Digitalisierung sowie die Entwicklung und der Einsatz von Zukunftstechnologien. Um das zu erreichen, können wir von denen lernen, die am längsten unterwegs sind und es im Moment am besten machen.