Manchmal verschätzen wir uns eben

Nach einem zweiwöchigen Besuch in Japan hatte sich der Produktionsleiter einer Schraubenfirma entschieden, den Teich in seinem Garten zu einem Seerosenteich umzugestalten. Die spezielle Sorte, die er bekam, verdoppelte sich wöchentlich. Da nur die Hälfte des Teichs bedeckt sein sollte, empfahl ihm der Gärtner, sich rechtzeitig zu melden. Am 24. August war der Manager völlig überrascht, dass der gesamte Teich mit Seerosen bedeckt war. Manchmal verschätzen wir uns eben. Wann wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um den Gärtner zu bestellen?

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Derartige Fragestellungen werden noch schwieriger, wenn es sich um zeitverzögerte Effekte handelt, die sich aus unseren Handlungen ergeben. Nehmen wir ein zweites Beispiel.

Unser Produktionsleiter verfügt über 100 Mitarbeiter, die in zwei Schichten Schrauben und Muttern produzieren. Nach einigen organisatorischen Änderungen erfährt er in seinem monatlichen Meeting, am 15.6., dass fünf Mitarbeiter unzufrieden sind. Der Personalbereich berichtet, dass für jeden unzufriedenen Mitarbeiter alle zwei Wochen ein neuer hinzukommt. Die Firma verfolgt den Grundsatz, wenn ein Viertel der Belegschaft frustriert ist, muss eine Organisationsentwicklung (OE) eingeleitet werden. Um diese OE zu vermeiden, entscheidet sich der Produktionsleiter vorbeugend, alle zwei Wochen, ein Gespräch mit zwei missmutigen Mitarbeitern zu führen. Jeder Dialog ist erfolgreich. Wann bekommt er die Situation in den Griff?

Schon der Erfinder des Schachspiels nutzte die Unfähigkeit sich exponentielle Entwicklungen vorzustellen zu seinem Vorteil. Er forderte von dem indischen Herrscher Shihram als Belohnung für die Erfindung des Schachspiels Weizenkörner. Und zwar auf dem ersten Schachfeld eins, auf dem zweiten zwei, auf dem dritten vier und immer so weiter mit Verdoppelungen. Der Herrscher willigte sofort ein. Erst nach Tagen ermittelten die Rechenmeister des Herrschers eine Wahnsinnsanzahl von Weizenkörnern (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Sissa_ibn_Dahir ).

So wie der indische Herrscher, verschätzen wir uns bei dynamischen Verläufen. Oder haben Sie geschätzt, dass der Gärtner am Dreiundzwanzigsten hätte kommen sollen. (Wenn am 24. der gesamte Teich gefüllt ist, war er am Tag zuvor nur halb gefüllt. Oder?).

Übrigens. Da der Produktionsleiter seine Gespräche nach zwei Wochen erst startet, muss bereits nach sechs Wochen eine Organisationsentwicklung einleiten.