Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem andern zu

In den Einkaufsstraßen der Innenstätte trifft man ab und zu auf Menschen, die ihrem Unmut freien Lauf lassen. Manchmal tragen sie ein Plakat mit der Aufschrift „Ich bin dagegen!“ und manchmal brüllen sie ihre Entrüstung einfach in die Menge. Wie wäre es, wenn diese Menschen uns persönlich anpöbeln oder Details aus unserem Privatleben herausschreien oder uns unflätig beleidigen oder uns an den Pranger stellen würden? Undenkbar?

Im Internet ist dies mittlerweile Wirklichkeit geworden. Und das ist wesentlich schädlicher als in dem obigen Beispiel, da alle den Zugriff auf die Pöbeleien haben und das Internet nichts vergisst – egal ob die Veröffentlichungen stimmen oder nicht. Ich bin mir sicher, dass niemand das Opfer solcher Attacken sein möchte. Es scheint aber nicht mehr die Regel zu gelten: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“

Anonymus

Die moderierenden Regeln von Foren und anderen virtuellen Treffpunkten werden von den Anbietern von sozialen Netzen (z.B. Facebook, Xing und LinkedIn) nach bestem Wissen und Gewissen festgelegt und umgesetzt. Sie bieten Funktionen, die es Moderatoren ermöglichen, regelnd einzugreifen. So ermöglicht LinkedIn es jedem Nutzer die Beiträge von anderen Anwendern per Mausklick als unangemessen (Report Spam) zu kennzeichnen. Sobald Anwender derart gekennzeichnet sind, gilt diese Bewertung in ALLEN Foren. In der Folge müssen alle Beiträge des stigmatisierten Anwenders für eine bestimmte Zeit in ALLEN LinkedIngruppen von den Administratoren geprüft und manuell freigegeben werden.

An sich wird dadurch die Selbstorganisation der Anwender gestärkt – wären da nicht die schwarzen Schafe, die diese Möglichkeiten ausnutzen, um unliebsame Meinungen zu zensieren. Die Kritik mithilfe von negativen Likes erfolgt anonym ohne dokumentierte Begründung oder Erklärung. Seit Orwells 1984 und Bradburys Fahrenheit 451 sind derartige Denunzianten in demokratischen Gesellschaften nicht toleriert. Warum installieren Anbieter von sozialen Netzen derartig subversive Funktionen ohne jeglichen Schutz für die Opfer? Früher oder später brauchen wir Regelungen, die die immer stärker werdende Zweckentfremdung des Netzes regelt. Folgende Aspekte sollten dabei berücksichtigt werden.

  • Neutrale Kontrollstellen
    Anbieter von sozialen Netzen sollten nicht einfach die Verantwortung für die Ordnungsmäßigkeit der Inhalte vollständig an Anwender delegieren, z.B. an die Verantwortlichen eines Forums. Wie bei der Produkthaftung in anderen Industrien liegt die letztendliche Verantwortung für ein Produkt oder einen Service bei dem Anbieter, der damit Geld verdient. Zu diesem Zweck sollten Ansprechpartner bereitgestellt werden, die die finale Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Beitrags oder Benutzerkontos haben. So könnten unerwünschte Anwender durch die Kündigung des Accounts und die Erstattung der Beiträge ausgeschlossen werden. Gleichzeitig hätten die Ausgeschlossenen einen Ansprechpartner, um die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme verhandeln zu können.
  • Keine anonymen Beschuldigungen anderer Nutzer
    Die Hemmschwelle für eine Bewertung in Form eines Likes oder Dislikes, eines Kommentars oder Ähnlichem wäre wesentlich höher, wenn der ausführende Anwender sich nicht hinter seinem Konto durch Anonymität verstecken könnte. Dies erfordert, dass über die neutrale Kontrollstelle, der Zugriff auf die Verfasser von unangemessenen Beiträgen möglich ist. Dadurch würde das natürliche Verantwortungsgefühl von jedem Mitwirkenden aktiviert.
  • Jede Beschuldigung begründen
    Sobald öffentliche Vorwürfe formuliert werden, sollten die Benutzer verpflichtet sein auf Nachfrage diese zu begründen. Durch eine „juristische“ Beurteilung sollten dann die Aktionen des „Angeklagten“ und des „Anklägers“ zu konkreten Konsequenzen für den einen oder anderen führen.
  • Rechtliche Maßnahmen gegen Cyberasoziale
    In allen Bereichen des Lebens gibt es Regelungen für die, die sich außerhalb der gesellschaftlichen Normen bewegen. Nur im Internet ist alles ohne Konsequenz für den Täter möglich. Solange dieser rechtsfreie Raum ungeregelt bleibt, wird sich die Situation weiter verschärfen. Die Opfer sind die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die zum Ziel werden. Treffen kann es jeden.

Fazit: Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wird mittlerweile alles im Netz möglich. Es ist nicht die Frage, ob das Netz geregelt wird, sondern wann. Zu viele Opfer wurden bereits in jeder Altersgruppe, Schicht und in allen Ländern verletzt. Da die natürliche Regel „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu“ nicht mehr greift, werden wir nicht umhin kommen gesellschaftliche Normen für das Internet verbindlich einzuführen.