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Es gibt keine Bedeutung an sich

Bedeutung entsteht schon immer durch die bewusste Verarbeitung von Wörtern, die jemand verbreitet. Die Reichweite war früher beschränkt auf Personen, die sich in unmittelbarer Nähe befanden. Dadurch umgaben Inhalte auch immer ein nachvollziehbarer kultureller, sprachlicher und sozialer Kontext, der das Verständnis leichter machte. Mit den Massenmedien wurden über Jahrhunderte Wörter von fachkundigen Publizisten einem ständig wachsendem Publikum bereitgestellt – via Presse, Radio und TV. Dies führte zu einer einheitlichen Sprache und einem Pressekodex, der der Wahrheit, Zuverlässigkeit und Menschenwürde verpflichtet ist. Gleichzeitig entwickelte sich die Kunst, Inhalte verdreht zu interpretieren, um dadurch die Meinungsbildung des Publikums zu beeinflussen.
Durch das Internet ist es jetzt wieder möglich Gedanken direkt von Einem zum Anderen ohne sachverständige Vermittler auszutauschen – allerdings beschränkt auf die genutzten Wörter, die ohne zusätzliche Kontexthinweise sowie ohne Anhaltspunkte auf vorsätzliche Beeinflussung verinnerlicht werden. Als Empfänger von Unmengen an Nachrichten gehen wir davon aus, dass diese Botschaften genau das bedeuten, was wir darunter verstehen.

Grundlage ist der Trugschluss zu denken, dass Sätze und Wörter etwas Eindeutiges bedeuten. Vielleicht sollte man sich die Eigenschaften von Aussagen bewusst machen. In diesem Beitrag geht es nur um geschriebene und gesprochene Sprache – nicht um bildliche Darstellungen. Einfachheitshalber sprechen wir dabei vom Sprecher und vom Zuhörer, was auch den Schreiber und Leser einschließt.

  • Eine Ansammlung von Wörtern
    Sprache liefert eine Reihe von Wörtern, die, mehr oder weniger, den grammatischen Regeln folgen. Der Sprecher wählt die Ausdrücke aus seinem Wortschatz, mit etwas Glück orientiert an seiner Zielgruppe – die passende Landessprache und einen angemessenen Jargon. Das Publikum empfängt die Wörter und versteht den Sinngehalt durch das eigene Sprachvermögen. Die allgemeine Annahme ist, dass es dabei zu einer weitreichenden Überlappung der Bedeutung kommt, was sehr wahrscheinlich nicht so ist.
  • Eine Vielzahl von Absichten
    Jede Aussage umfasst immer mehrere Absichten: 1) Sagen, was ist; 2) Auffordern, etwas (nicht) zu tun; 3) Offenlegen, etwas (nicht) zu tun; 4) Mitteilen, wie es einem geht; 5) Bekannt geben, was gilt. All das findet sich in einem Satz und wird je nach dem Interesse der Zuhörer bemerkt. Die folgende Äußerung ist wahllos aus dem Strom von Nachrichten gezogen: A spricht B zwei Dinge ab: Erfahrung und Charisma. Was beinhaltet das: 1) B fehlt Erfahrung und Charisma. 2) B ist nicht annehmbar. 3) A nimmt B nicht an. 4) A fühlt sich nicht gut mit B. 5) B wird es nicht werden. Durchsuchen Sie selbst einen beliebigen Satz nach den enthaltenen Botschaften.
  • Ungeschickte Wortwahl
    Eine Aussage lässt sich mit unterschiedlichen Wörtern machen. Und manchmal vergreift man sich im Wording. Beispiel ist die Aussage „Das Soziale mit dem Nationalen versöhnen“. Trotz der geänderten Reihenfolge wird einem der doppelte Sinn bewusst. Bei der Menge anderer Wörter, die man hätte nutzen können, drängt sich die Frage auf, inwieweit das absichtlich oder unabsichtlich geschehen ist.
  • Wer weiß schon, was eigentlich gemeint ist
    Die Botschaft hinter den Wörtern wird auch mit bewusster Wortwahl nicht immer klar. Eine Aussage kann so gemeint sein, wie sie gesagt wird. Es kann jedoch auch etwas zum Ausdruck gebracht werden, ohne es zu meinen. Schnell wird etwas ausgedrückt, was anders gemeint ist. Besonders frustrierend ist es, wenn man etwas sagt und niemand versteht, was man im Sinne hat. Aus diesen Gründen ist ein offener, wechselseitiger Diskurs mit Fragen und Antworten immer einer einseitigen Proklamation vorzuziehen.

Fazit: Es ist zu befürchten, dass es keine gemeinsame Grundlage mehr gibt, um allseits akzeptierte Tatsachen auszudrücken. Die eigentliche Bedeutung steckt im Auge des Betrachters und seiner opportunistischen eigenen Auslegung. Obwohl der Sprecher meint, dies steuern zu können, sind es die Zuhörer, die den Gehalt und die Absicht einer Aussage verarbeiten. Heute haben alle, die Zugang zum Internet haben, einfache Möglichkeiten zu veröffentlichen. Dies verschärft die Situation, dass Meinungen in die Welt kommen, die es verdienen alternative Fakten genannt zu werden. Der Hintergrund ist unbekannt und die Inhalte werden unkritisch übernommen. Die Faktenchecker helfen an der Stelle nicht. Es handelt sich bei dem direkten Austausch im Internet um eine neue Form des Gesprächs, in dem Meinungen ausgetauscht werden. Im Interesse der Meinungsfreiheit muss dies erlaubt sein, auch wenn die Inhalte ohne Verzögerung weltweit verfügbar sind und gleichzeitig Unmengen an Menschen direkt erreichen. Wir müssen lernen, zwischen den Äußerungen Einzelner und fachkundigen Veröffentlichungen zu unterscheiden, wie im alltäglichen Gespräch auf der Straße – auch wenn die Unterschiede nur schwer erkennbar sind. Es lohnt sich ein Blick in das Impressum der Publizisten. Dort wird ein Teil des Kontextes sichtbar oder verschleiert und man erkennt, mit wem man es zu tun hat oder eben nicht. Fehlen das Impressum, die Namen der Autoren, die Anschrift und die Telefonnummer, oder ist die Kontaktanschrift eine Freemail, oder liegen die Zuständigkeiten im Ausland, sind die Inhalte bedenklich. In jedem Fall gilt, dass es einfach keine Bedeutung aus sich heraus gibt.

Zwischen den Zeilen steckt zusätzliche Bedeutung

Nicht erst seit dem Internet hat sich der Hang zu immer kürzeren Texten entwickelt. Blog-Einträge liefern Fakten, Meinungen und Klatsch mit weniger als 1000 Wörtern. Im Extremfall packt ein Tweet Ausdrücke in 140 Zeichen. Damit wird es zusehends wichtiger sich bewusst zu machen, dass ein Text nur einen Teil der Bedeutung in sich trägt. Zwischen den Zeilen steckt zusätzliche Bedeutung.

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Der Weg zu diesem zusätzlichen Sinngehalt führt über Fragen bezüglich der folgenden Aspekte.

  • Absichten
    Jeder Text wird mit einer bestimmten Absicht geschrieben, die sich nicht unbedingt im Text offenbart. Beschreibt jemand Missstände, wie es beispielsweise die USA im Zuge der VW-Krise macht, so vermittelt der Text hehre Gründe, wie den Schutz der Umwelt oder der Konsumenten. Könnte man hinter die Kulissen sehen, so würden vielleicht die wahren Absichten sichtbar – Beeinflussung des Automobilmarktes oder die Schädigung der europäischen zugunsten der amerikanischen Wirtschaft.
    Die Frage, die sich stellt, ist: Was sind die wahren Absichten des Autors?
  • Konzepte und Begriffe
    Die Wörter, die in einem Text genutzt werden, entstammen der Gedankenwelt des Autors, die er durch Konzepte und Begrifflichkeiten gelernt hat. Zwar lassen sich im Deutschen schnell neue Begriffe schaffen, in dem man zwei Substantive zusammenstellt, wie z.B. Freude und Hunger zu Freudehunger. Aber das so entstandene Wort wird manchen verständlich und anderen unverständlich sein. Wird das Wort im Zusammenhang mit Psychologie genutzt, entsteht eine andere Assoziation, als wenn man es in einem Kochbuch findet. Am Ende kann man nicht wissen, was der Schreiber ursprünglich gemeint hat.
    Die entsprechenden Fragen lauten: In welchem Kontext werden die Worte genutzt? Was bedeuten die Worte?
  • Normen
    Alle Texte entstehen in einem kulturellen Zusammenhang mit bestimmten Normen. Schreibt ein US-Amerikaner einen Text, so steht dort stets das Individuum im Mittelpunkt – der amerikanische Traum stachelt zu besonderen Leistungen an. In asiatischen Ländern entsteht der Text im Rahmen eines sozialen Beziehungsnetzes – der Ansporn ergibt sich aus der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft.
    Die passende Frage lautet: Welche Normen schieben die Bedeutung in welche Richtung?
  • Art und Weise des Textens
    Die Herstellung von Texten kann sehr unterschiedlich erfolgen. Handgeschriebene Texte im Elfenbeinturm haben einen anderen Charakter, als mit der Hand geschriebene Texte in einem Café, als mit der Schreibmaschine gestippte, als mit dem Computer erfasste oder mit dem Diktiergerät aufgenommene Sätze. Das Gleiche gilt übrigens auch beim Textverständnis – gelesen oder gehört. Entsprechend des Vorgehens haben Texte einen mehr oder weniger zu Ende gedachten Handlungsstrang sowie die entsprechende Konsistenz der Gedanken.
    Die Fragen lauten: Wo und wie wurde der Text geschaffen?
  • Gefühle
    „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ Mit diesem Satz hat Ludwig Wittgenstein seinen Tractatus Philosophicus beendet. Und hier findet sich auch die Grenze des Ausdrucks. Gefühle, die uns bewegen und für die uns die Worte fehlen, lassen sich entsprechend auch nicht mit Worten darstellen. Nichtsdestotrotz wirken sie auf den Fluss und die Schlüsse, die im Text niedergeschrieben oder weggelassen werden.
    Die zugehörige Frage ist: In welcher Gemütsverfassung war der Autor?

Fazit: Zusammenfassend bleibt, dass ein Text viel mehr ist als die Summe seiner Worte. Meistens wird es schwer sein, diese zusätzlichen Hintergründe zu ermitteln. Vielleicht erschließt sich zumindest ein Teil, indem man sich zusätzliche Bedeutung zwischen den Zeilen vorstellt.