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Die Blicke auf den Stand der Dinge

Fruchtbare Verhandlungen brauchen ein Vorgehen, das auf die Sache und weniger auf die Beziehungen und die beteiligten Persönlichkeiten ausgelegt ist. Die Beschäftigung mit den Erwartungen und der Suche nach Gemeinsamkeiten bringt mehr als das oberflächliche Gerangel um einzelne Vorteile. Es fällt leichter zuzustimmen, wenn für jeden Vorteile entstehen, das sogenannte Win-win. Damit ein Ergebnis möglich wird, braucht es sachliche, gemeinsam festgelegte Orientierungspunkte. Der Stand der Dinge, abgeleitet aus den bestehenden Standpunkten, ist von entscheidender Bedeutung. Findet man einen gemeinsamen Blick auf die Ausgangssituation und die damit verbundenen Bedingungen, entstehen manche Widersprüche nicht. Die Dominosteine machen das erlebbar. Betrachten Sie das folgende Bild! Worum geht es? Was fällt einem auf? Welche Gedanken schießen durch den Kopf?

Beim Blick auf eine Situation haben alle Beteiligten ihre eigenen Vorstellungen, da sie sich aus verschiedenen Blickwinkeln, Schwerpunkten und Feinheiten der Situation nähern. Aus diesem Grund sollten alle gemeinsam zu Beginn die Situation beschreiben, die die Grundlage für die Verhandlungen darstellt – die Themen, Beziehungen, Reihenfolgen, Abhängigkeiten und Voraussetzungen. Folgende Blickwinkel können zusätzlich helfen.

  • Der Blick auf den Anfang
    Vor allem bei einem Schnappschuss der Situation befindet sich nichts in Bewegung, was es erforderlich macht, den Einstiegspunkt zu finden, der offensichtlich die Situation auslöst. Davon abhängig unterscheiden sich die Erklärungen, die Begründungen und die Verhandlungspunkte. Darum fragen wir uns: Wo geht es denn los?
  • Der Blick auf das Ende
    Andererseits wird die Situation durch ihren Endpunkt bestimmt. Der letzte Stein schließt den Ablauf ab. Manche stellen sich vor, dass er kippt – vielleicht auch nicht. Die Abgrenzung einer Verhandlung legt fest, an welchen Stellen Gesprächsbedarf besteht und wo nicht. Man einigt sich mit folgenden Fragen: Ist das das Ende? Und was passiert dann? Bis wohin ist eine Verhandlung sinnvoll?
  • Der Blick auf Auffälligkeiten
    Unsere Aufmerksamkeit wird von einzelnen Steinen besonders angezogen, weil irgendetwas anders ist – die kippenden Steine, die beiden, die ein T bilden, oder der Stein am Abgrund. Allerdings bedeuten diese Besonderheiten nicht, dass sie für die Verhandlung von Bedeutung sind. Aus diesem Grund sollten die Auffälligkeiten gemeinsam hinterfragt werden: Was bedeuten sie für die Abstimmung?
  • Der Blick darüber hinaus
    Wir haben bisher den Blick auf Offensichtliches geworfen – die Steine und den Abgrund. Der Abgrund ist dabei nur angedeutet. Wir wissen nicht, wie tief er ist oder was sich unten befindet. Auch die Bedeutung der Szenerie ist der Fantasie der Betrachtenden überlassen. Das beginnende Kopfkino sollte ausgesprochen werden, damit die Beteiligten verstehen können, worum sich die Gedanken der anderen drehen. Folgende Fragen fördern diese Hintergedanken zutage: Was passiert am Ende? Was steckt eigentlich dahinter? Warum gibt es diese Situation? So?
  • Der holistische Blick
    Sobald wir den Blick darüber hinaus klar vor Augen haben, können wir alle bisherigen Erkenntnisse zu einer Erklärung zusammenfügen. Dies liefert einen erweiterten Blickwinkel – die holistische Sicht. Erst die Verbindungen zwischen den Sichten führen zu einem schlüssigen Startpunkt. Jetzt erhalten wir eine gemeinsame Antwort auf die Frage: Was passiert hier?

Dies sind bei Weitem nicht alle Perspektiven, aber wesentliche. Es gibt unendlich viele weitere. Bei ernsthaften Verhandlungen auf Augenhöhe sollten die Beteiligten ihren Standpunkt teilen. So entsteht eine angemessene Auslegung des Geschehens, die zu einem beiderseitig befriedigenden Ergebnis führt.

Fazit: In den meisten Fällen diskutieren die Beteiligten die „falschen“ Themen – persönliche Eigenschaften der Gegenüber, die verschiedenen Verhandlungspositionen und die Argumente, die es ermöglichen, dass der Gewinner alles bekommt. Dabei ist es wirkungsvoller, der Startpunkt gemeinsam zu beschreiben, damit alle vom Gleichen reden. Auf diese Weise werden viele Missverständnisse von vorneherein vermieden. Dazu gehören: wo es losgeht und aufhört, was einem an der Sache auffällt, was hinter allem steckt und wie alles zusammenhängt. Indem man den Stand der Dinge gemeinsam erarbeitet, werden unproduktive Verhandlungen zu einem frühen Zeitpunkt vermieden. Auf dieser Basis können fruchtbare Verhandlungen beginnen.

 

Der Prozess – das unbekannte Wesen

In den Neunzigern des letzten Jahrtausends überrollte das Business Process Reengineering, kurz BPR, große Unternehmen. Konzerne haben im Zuge von Lean Management zuerst innerbetriebliche und schließlich überbetriebliche Abläufe verschlankt. Diese Welle hat sich im englischsprachigen Umfeld nach einem Hype in der zweiten Hälfte der Neunziger abgeschwächt (siehe Ngram: http://ow.ly/yJq6p). Im deutschsprachigen Raum ist das Interesse am Geschäftsprozess kontinuierlich gestiegen (siehe Ngram: http://ow.ly/yJr5n ). Alle sprechen regelmäßig von Prozessen, Workflows und kontinuierlicher Verbesserung der Abläufe ohne die definierten Merkmale, die den Ablauf zu einem Prozess machen . Der Prozess – das unbekannte Wesen.

Prozess

Die ablauforientierte Beschreibung von Funktionen bzw. Tätigkeiten, der sogenannte Prozess, besteht aus Einzelschritten. Diese wiederum sind Funktionen, die aus Teilschritten bestehen und so weiter, unabhängig von dem Format, das zur Darstellung verwendet wird *1. Die Dokumentation der Abläufe hilft bei der Planung, der Umsetzung, dem Monitoring und der Überarbeitung. Wenige machen sich klar, dass die Beschreibung des Ablaufs nicht die Wirklichkeit ist. Genau wie thematische Landkarten nur einen Blick auf geologische, politische oder wirtschaftliche Einzelheiten bieten, besteht der Prozess aus den wesentlichen Schritten. Zusätzlich hat ein Prozess die folgenden formalen Kriterien.

Ein Prozess …

  • … braucht einen definierten Anfang und ein definiertes Ende. Je unschärfer der Start- oder Endpunkt, desto schlechter die Qualität der Beschreibung.
  • … läuft OHNE Unterbrechung vom Anfang bis zum Ende. Sobald ein Ablauf unterbrochen wird, stoppt die Aktivität ungewollt auf unbestimmte Zeit. Es entstehen zwei Prozesse mit eigenem Anfang und Ende.
  • … ist wiederholbar. Der Zweck der Prozessentwicklung ist es, dass ein Ablauf für alle Beteiligten zuverlässig, immer wieder gleich funktioniert. Einmalige Abläufe werden zur Laufzeit abgestimmt, da der Aufwand vorab in keinem Verhältnis zum Nutzen steht.
  • … läuft über die Grenzen verschiedener Zuständigkeitsbereiche hinweg. Innerhalb einer Zuständigkeit bringt die Beschreibung wenig, da die Mitarbeiter selbstständig agieren.
  • … hat definierte Regeln. Alle Beteiligten müssen stets wissen was, wie, von wem, mit welchen Ergebnissen, an wen geliefert werden, um den Zweck der Funktion erzielen zu können. Abweichungen gefährden die Ergebnisse.
  • … verfügt über einen Entscheider. Da ein Prozess über unabhängige Zuständigkeiten hinweg abläuft, ist es erforderlich, dass die Entscheidung für den Ablauf in einer Hand gebündelt ist, damit die Prozessziele nicht von anderen Bereichszielen unterminiert werden.

Sobald Sie das nächste Mal einen Geschäftsprozess betrachten, suchen Sie nach den genannten Eigenschaften. Fehlt eine, besteht Optimierungsbedarf.

*1 Die Frage der angemessenen Detaillierungsebene wird bei anderer Gelegenheit besprochen.