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Wenn wir regelten, was wir regeln

Rückblickend war es in großen Unternehmen immer schwer das gültige Regelwerk zur Kenntnis zu nehmen. Im besten Fall gab es eine Liste von offizialisierten Richtlinien. In der entsprechenden Liste war die Richtlinie Nummer eins stets die Anleitung, wie man eine Richtlinie erstellt. Zur Besiegelung gehört in manchen Kulturen, dass sie nur dann befolgt werden, wenn sie in das offizielle Verzeichnis aufgenommen und in einer Sitzung durch ein Ritual verpflichtend von den Betroffenen angenommen werden. Diese Regelungen sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Daneben gibt es eine unüberschaubare Anzahl von weiteren Konventionen. Wäre es nicht praktisch, alle Regeln allen sichtbar zu machen? In dem wir regelten, was wir regeln.

Regelungen werden immer wieder überarbeitet und vereinfacht. Irgendwie wird jedoch dabei vergessen, die veralteten Bestimmungen zu streichen. Als Folge explodiert die Bürokratie. Eigenverantwortliche Handlungen haben immer weniger Platz, da ein Verstoß gegen bestehende Regeln schnell zur Auflösung eines Vertrages führt. Wie könnten die Bestimmungen eines Unternehmens wirksamer werden?

  • Klare Definition der Regeln
    Eigentlich sollten allen Beteiligten eine Struktur der einzuhaltenden Vorschriften zur Verfügung stehen. Das beginnt bei Gesetzen, die die stärkste Rechtsverbindlichkeit haben. In großen Konzernen, die weltweit agieren, ist es wichtig zu klären, welche Gesetze in welchem Land gültig sind. Darüber hinaus ist das Gesetz mit der ultimativen Verbindlichkeit festzulegen. Die offiziellen Richtlinien eines Unternehmens sind die nächste Stufe der Verbindlichkeit – auch wenn manche der Meinung sind, die Gesetze außer Kraft setzen zu können. Es sollte klar gemacht werden, dass die Gesetze über allem stehen. Alles andere ist illegal. Die nächste Stufe bilden die Arbeitsanweisungen, die die einzelnen Bereiche im Interesse der Umsetzung ihrer Strategie festlegen. Sie müssen zu den Übergeordneten passen. Dies wird jedoch in Ermangelung einer Übersicht selten geprüft. Die einfachsten Regelungen sind die Algorithmen, die Teil von IT-Programmen und Arbeitsabläufen sind. Je länger diese existieren, desto weniger Personen kennen die tatsächlichen Regelungen, die den Ablauf vorgeben. Hier gibt es keine Transparenz mehr. Am Ende laufen manche Programme wie eine Black-Box, ohne dass jemand irgendetwas ändern könnte.
  • Ein vollumfassendes Register aller Regeln
    Heute sind nur die wenigsten Regeln in einem erreichbaren Verzeichnis zu finden. Bedenkt man die vielen Stufen von Vorgaben, so wird einem klar, dass man sich in einem bürokratischen Korsett bewegt, dass man nicht mehr in der Gewalt hat. Aus diesem Grund ist ein erster Schritt alle relevanten Gesetzte, Richtlinien, Arbeitsanweisungen und Algorithmen so gut wie möglich zu beschreiben und allen Mitarbeitern den Zugang zu ermöglichen. Zumindest die Gesetze und Richtlinien des Unternehmens sollten so jederzeit erreichbar sein. Ein geschicktes Register der Arbeitsanweisungen ist der nächste Schritt. Den Algorithmen wird man am Ende nur Herr werden, in dem die entsprechenden Programme abgeschaltet werden. Alles andere wäre Rätselraten ohne Gewähr auf Richtigkeit.
  • Erreichbarkeit der Regeln
    Die Erreichbarkeit der Regeln sollte durch die entsprechende Vernetzung im Unternehmen, dem Intranet, kein Problem sein. Schwieriger wird die Tatsache, dass es den Einzelnen schwerfallen wird, die Regeln ohne die entsprechende Beratung richtig zu interpretieren. Gleichzeitig sollte man sich bewusst machen, dass Regeln, die jemand nicht versteht, nicht den gewünschten Effekt erzielen. Sobald die Mitarbeiter anfangen Regeln keine Aufmerksamkeit zu schenken hat man verloren. Compliance bleibt dann ein unerfüllbarer Wunsch.
  • Konsistenz der Regeln
    Die gültigen Regeln sollten widerspruchsfrei sein. Keine Richtlinie sollte verfasst werden, die einem Gesetz widerspricht. Keine Arbeitsanweisung darf gegen Gesetze oder Richtlinien verstoßen. Keine Software sollte Algorithmen ablaufen lassen, die gegen das gesamte Regelwerk widersprechen. Im Prinzip ist das Top-Management verantwortlich, dass sich alle Mitarbeiter regelkonform verhalten. Da die Beaufsichtigung eines jeden Mitarbeiters nicht möglich ist, hat sich in der Praxis durchgesetzt, eine Weisung herauszugeben, die die untergeordneten Bereiche zur Befolgung der Regeln aufruft. Damit fühlen sich die Führungskräfte entlastet. Aber die steigende Anzahl von Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen und ihrem Top-Management zeigt, dass dies ein Trugschluss ist. Aus diesem Grund sollten die Firmen ihre Anstrengungen zur Regelung ihrer Regeln erhöhen und dabei sicherstellen, dass die geltenden Regeln zusammenpassen.
  • Der agile Ausweg
    Die unbefriedigende Wirkung einer schlechten Führung führt zu dem Versuch sich aus der Verantwortung zu schleichen, in dem agile Ansätze ausgerufen werden. Dabei wird den Mitarbeitern die Verantwortung für Ihr Handeln übertragen. Durch Selbstorganisation sollen die Bereiche flexibler werden. Die fatale Folge wird dabei übersehen. Sobald die Mitarbeiter die Steuerung übernehmen und selbstständig tatsächlich ihren Weg finden, werden die Führungskräfte obsolet – zumindest die mittleren Ebenen. Und damit die Agilität überhaupt reibungslos läuft, braucht es eine Plattform, die die gültigen Regelungen in einem Register (s.o.) bereitstellt.

Fazit: Die Bürokratie ist ein vernetztes System, dessen Bestandteile im Laufe der Zeit nicht mehr überschaubar sind, da zu viele Regeln entwickelt wurden und werden, ohne dass jemals welche abgeschafft werden. Um wirklich regelgerecht zu agieren, ist es erforderlich das bestehende Regelwerk zu beschreiben, auf seine Sinnhaftigkeit und Konsistenz zu prüfen und, wenn irgendwie möglich, auf das zu reduzieren, was wirklich benötigt wird – regeln, was regelt.