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Der Organismus – die ideale Metapher für natürliche Ordnung

Das ursprüngliche Weltwissen war bestimmt durch die Erfahrungen, die die Menschen in ihrer direkten Umgebung machten. Es waren ganzheitliche Erkenntnisse, die durch keine gedanklichen Vereinfachungen entfremdet wurden. Über Jahrhunderte wurde diese Sichtweise in den Hintergrund gedrängt. Mit den neuesten Eindrücken ist klar geworden, dass die Welt nicht eine Maschine, ein Uhrwerk, sondern eine natürlich gewachsene Einheit ist, die nach eigenen, uns bisher nicht zugänglichen Regeln lebt. Auch die Wirtschaft versteht langsam, dass neue Ansätze benötigt werden. Der Organismus ist die ideale Metapher für eine solche, natürliche Ordnung.

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Natürliche Ordnung lässt sich nicht aufbauen, sondern wächst von alleine. Man kann nur versuchen fruchtbare Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie sich wunschgemäß entwickelt. Die folgenden Aspekte sind betroffen.

  • Struktur
    Ein Organismus besteht aus vielen, nicht klar trennbaren und stark miteinander im Austausch stehenden Bestandteilen. Dies können Zellen, Organe oder andere Körperteile sein. Auch wenn sie sich in der Größe unterscheiden, stehen sie auf einer Stufe. Biologen oder Ärzte erkennen das Zusammenspiel und finden Ansatzpunkte, um Einfluss zu nehmen. Im Geschäftsleben entstehen ähnliche Ansätze unter den Stichworten Agile Organisation, Lean Management, Subsidiarität. Allen gemeinsam ist die Abkehr von dem aktuellen Taylorismus und seinem Aufteilen von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung. Kleine bewegliche Einheiten, die die volle Kontrolle haben, sollen sich flexibel an die Erfordernisse des Marktes anpassen. Am Ende so, wie sich Organismen an geänderte Umweltbedingungen anpassen.
  • Format
    Ein Organismus wächst heran und bildet über Generationen besondere Fähigkeiten, die es ihm erlauben zu überleben. Er nutzt dafür keine künstlichen Strukturen, sondern verkehrt spontan mit seiner Umwelt. Auf diese Weise sollen jetzt auch die geschäftlichen Bereiche arbeiten. Der Schwerpunkt geht weg von schematischen Abläufen, hin zu offenem, wandelbarem Vorgehen. Jede Einheit kann seinen eigenen Ansatz finden und umsetzen. Der Zusammenhalt des Unternehmens wird dadurch gekennzeichnet, dass alle Einheiten eine gemeinsamen Vorstellung der Zukunft anstreben. Der Austausch von Informationen wird durch das Bemühen aller Einheiten möglich das Verständnis und die Verständlichkeit zu schaffen, die sich aus dem ehrlichen Bedürfnis ergeben, sich mitzuteilen und Interesse zu zeigen. Unternehmen nutzen Wörter und Zahlen als Information. Organismen nutzen ihre biochemischen Botenstoffe.
  • Führung
    In einem Vogelschwarm ist es nicht möglich zu entscheiden, wo der Wechsel der Richtung seinen Anfang nimmt oder wer ihn auslöst. Es scheinen einfache, kontextabhängige Regeln zu sein. Rückblickend lässt sich bestenfalls erahnen, was die Auslöser gewesen sein könnten. Unternehmen, die sich auf solche Ansätze einlassen, haben es schwer, denn sie können die Verantwortung für Veränderungen nicht zuordnen. In diesem Kontext liefert nicht einer, sondern alle die Auslöser und definieren gemeinsam das Ziel. Viele Anstrengungen verpuffen dabei scheinbar sinnlos. Heutigen Chefs erscheint das wie Verschwendung. Dass jedoch alle Beteiligten dabei viel lernen und in der Zukunft wirksamer zusammenarbeiten, vergessen sie. Der Natur schadet eine direkte Führung mehr, als sie nützt. Im Geschäftsleben läuft sie manchmal einzelnen Interessen zuwider.
  • Kennzahlen
    Der Organismus zeigt nur wenige objektiv messbare Kennzahlen – Fieber, erhöhter Puls, schnelle Atmung, geänderter Stoffwechsel. Die verbleibenden Indikatoren sind qualitativ – Fitness, Anpassungsfähigkeit, Agilität, Flexibilität. Im Geschäftsleben finden sich eher weniger sachliche Messgrößen – Fluktuation, Burn-out von Mitarbeitern, Geschäftigkeit und Grad der Auslastung. Hier zeigt sich das Gelingen an den monetären Ergebnissen, nachdem alles vorbei ist. Nachsteuern ist dann schwierig. Das frühzeitige Bauchgefühl ist das Einzige, was einem vorher zur Verfügung steht. Die neuen wirtschaftlichen Kenngrößen werden denen des Organismus immer ähnlicher.
  • Zusammenarbeit
    Das Zusammenspiel eines Organismus lässt sich nur eingeschränkt darstellen, da die beste Beschreibung nur einen Teil der Wirklichkeit abbilden kann. Der wesentliche Teil bleibt im Verborgenen. Und doch ist jedem klar, dass eine gesunde Zusammenarbeit einen Körper überlebensfähig macht. Unternehmen, die es schaffen eine wirklich offene Arbeitskultur zu leben, erhalten Ergebnisse an unerwarteten Stellen. Die intrinsische Motivation eines jeden Einzelnen dynamisiert Sitzungen. Kurze Arbeitsrunden, in denen die Beteiligten nicht der Form halber anwesend die Zeit aller vergeuden, erzeugen Mehrwert. Die Beteiligten entscheiden sich nur für die Termine, die ihnen etwas bringen, und erzeugen damit einen gewaltigen Schwung für alle. Genau, wie der Organismus seine Kräfte einzuteilen weiß, kann das eine natürliche Ordnung auch.
  • Wissen
    Weiß der Bienenschwarm, dass er ein Organismus aus vielen Individuen ist? Die Bienen haben ihren Weg gefunden, ihr Wissen zu teilen. Der Schwarm weiß in kürzester Zeit, wo die besten Blumen zu finden sind. Der Wissensaustausch findet quasi automatisch statt. Unternehmen mit natürlicher Ordnung haben informelle Kanäle, die das Wissen ohne Verzögerung an die Orte bringen, an denen es gebraucht wird. Die wesentlichen Folgen sind, das nicht mehr alle alles wissen und nur noch die wirklich benötigte Information verfügbar ist. Eigentlich ideal, um die Informationsflut einzudämmen. Der dynamische Aufbau des Organismus verarbeitet die Reize sogar so, dass sich mit der Zeit sein Aufbau an die neuen Gegebenheiten anpasst.

Fazit: Der Organismus ist die ideale Metapher für die natürliche Ordnung, wie sie seit Kurzem im Geschäftsleben Einzug hält. Die Voraussetzungen für diese offene Form sind die Anpassungsfähigkeit von wachsenden Einheiten, die Toleranz gegenüber verschiedenen Lösungen, das Loslassen von direktem Einfluss durch die Führungskräfte, weiche Kenngrößen, die Möglichkeit spontan zusammenarbeiten zu können und das gemeinsame Wissen ohne Hintergedanken zu teilen.

Das Uhrwerk – die ideale Metapher für technische Ordnung

Descartes und die Aufklärung haben die Welt in möglichst kleine Teile zerlegt, um sie genau zu untersuchen und zu verstehen, wie sie tickt. Diese Weltsicht gilt noch immer. Und bis heute vertrauen viele nur auf das, was sie wiederholbar beweisen können. Entsprechend unterteilen Unternehmen die Arbeit in beherrschbare Einheiten. Diese Bereiche, Teams und Stellen bekommen die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung für einen kleinen Teil der Wertschöpfung zugewiesen. Alle Teile ergeben zusammen das ganze Unternehmen – für manche wie Uhrwerke. Fehlt das kleinste Teil, so tickt die Uhr nicht mehr. Das macht das Uhrwerk zu einer idealen Metapher für technische Ordnung.

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Menschgemachter Aufbau basiert auf Regeln, Logik und Berechnungen. Die folgenden Punkte verdeutlichen dieses Denken.

  • Struktur
    Die Architektur einer Uhr bestimmt der Uhrmacher. Auf mehreren Ebenen sind durch die verschieden großen Zahnräder die Anzeigen der jeweiligen Stunden, Minuten, Sekunden, des Datums oder der Mondphasen eingebaut. Der Uhrmacher erkennt beim Blick auf das Uhrwerk, wie es funktioniert und in welcher Reihenfolge er es auseinandernehmen und zusammensetzen kann.
    Entsprechend besteht im Geschäftsleben die Firma aus verschiedenen Bereichen. Je größer die Anzahl der Bereiche, desto mehr Ebenen, Gruppierungen und Fachgebiete gibt es. Aufgrund der überschaubaren Anzahl von Teilen ist das schwierigste Uhrwerk am Ende leichter in Gang zu setzen als ein Unternehmen.
  • Format
    Der Zustand der Zahnräder, der Schrauben und des Materials bestimmt die Güte der Uhr. Jedes Teil erfüllt einen Zweck. In einer Firma gibt es ebenfalls greifbare Bausteine – z.B. die Gebäude, die Leitungen und die Maschinen. Einzelne sehen selbst die Mitarbeiter als greifbare Ressourcen. Um die weichen Aspekte der Menschen besser fassen zu können, werden sie mit Formularen beschrieben, die den Austausch von Informationen regeln und die gemeinsame Sprache festlegen. Diese Richtlinien entwickeln sich mit der Zeit zu dem dichten Dschungel der Bürokratie. Die Vorschriften werden ohne Unterlass erstellt, beschrieben, veröffentlicht und die Umsetzung sichergestellt. Dem Uhrwerk fehlen diese weichen Faktoren. Dies macht das Uhrwerk zur idealen Beschreibung für einen makellosen, von der Führung gesteuerten Betrieb.
  • Führung
    Ein kleines Schwungrad, die Unruh, ist entscheidend für den gleichmäßigen Gang einer Uhr. Entsprechend braucht es im Betrieb Personen, die diese Rolle übernehmen. In einer technischen Ordnung laufen die Vorgaben klar von oben nach unten, von außen nach innen. Nichts geschieht, ohne die übergeordnete, überübergeordnete Zustimmung der Vorgesetzten. Dies schafft zwar zuverlässige und flüssige Abläufe, aber es bremst die Beweglichkeit der Mitarbeiter. Sie müssen stets vorab die Erlaubnis einholen. Wie die Unruh einer Uhr das gleichmäßige Laufen sichert, so kümmert sich die Führung darum, dass auch unter Zeitdruck die Abläufe im Betrieb zuverlässig laufen.
  • Kennzahlen
    Gut eingestellte Uhren liefern akkurat die genaue Zeit. Weitere Kennzahlen sind das Kaliber, die Energiequelle oder die Anzahl von Schwingungen pro Sekunde. Auch die technische Ordnung nutzt messbare Kennzahlen. Die Aktivitäten haben klare Messpunkte, sofern diese fassbar sind. Damit lassen sich Entscheidungen begründen, die Leistungen der Mitarbeiter beurteilen und unterschiedliche Szenarien simulieren. Mit zunehmender Digitalisierung steigt auch die Anzahl der Messpunkte. Die neuen Möglichkeiten durch Big Data sind im Moment noch in der Lage in der Informationsflut Muster zu erkennen. Am Ende ist jedoch nicht die Menge, sondern die Zuverlässigkeit ausschlaggebend.
  • Zusammenarbeit
    Das Uhrwerk lebt von dem makellosen Zusammenspiel seiner Teile. Sobald Sand ins Getriebe kommt, bleibt die Uhr stehen. Die geschäftliche Zusammenarbeit in der technischen Ordnung ist geregelt. Desto weiter die Einheiten voneinander entfernt sind, desto seltener sind die direkten Kontakte. Im Gegensatz zur Uhr, wo das Zusammenwirken innerhalb stattfindet, lebt das Geschäft von informellen Beziehungen der Mitarbeiter, die sich eher außerhalb, im privaten Umfeld, ergeben. Erschwert wird die Zusammenarbeit vor allem durch das Bestehen einer bereichsspezifischen, separatistischen Geheimsprache, die von anderen falsch oder gar nicht verstanden werden kann. Für Fans der technischen Ordnung repräsentiert die Uhr den Idealzustand des Zusammenwirkens.
  • Wissen
    Das Wissen eines Uhrwerks besteht aus seinem Design, der mechanischen Finesse seiner Teile sowie natürlich der Uhrzeit. Im Unternehmen verteilt sich das Wissen auf alle Ebenen und Bereiche. Die übergeordneten Stufen haben einen eingeschränkt übergreifenden Blick, während die untergeordneten Ebenen eingeschränkt operatives Detailwissen haben. Der starre Aufbau beschränkt damit das verfügbare Wissen auf das, was bei der Gestaltung eingebaut wurde – lernen ist für diese Denke Sand im Getriebe.

Fazit: Das Uhrwerk ist die ideale Metapher für eine technische Ordnung, wie sie seit Jahrhunderten die Wirtschaft prägt. Der Preis für diese greifbare Gliederung eines Unternehmens sind große Mengen an Ebenen, eine überbordende Bürokratisierung, eine streng hierarchische Führung, leicht erreichbare Messpunkte, eine fest vorgegebene Zusammenarbeit und die unzureichende Nutzung von Wissen und Lernen.