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Saint-Exupérys Hut – die ideale Metapher für Tatsachen

Nachdem Daten auf eine neue Weise geregelt werden, stellt sich mal wieder die Frage: Was sind richtige Daten? Manche kennt man bereits, wodurch sie nicht mehr den Status einer Information haben, da sie einem nichts Neues vermitteln. Manche werden diffamiert als nicht wahr. Das post-faktische Publikum stellt heute alles und jeden infrage. Der ursprüngliche Sinn von Fakten (i.e. Geschehenes, Handlungen, Taten) wurde im 16. Jahrhundert aus dem Lateinischen facere (i.e. machen, tun) abgeleitet. Empörung macht sich breit, wenn Fakten von Andersdenkenden genutzt werden. Die werden schnell als falsch und unwahr dargestellt. Gleichzeitig haben wir gelernt, dass es unterschiedliche Perspektiven auf die Welt gibt. Saint-Exupéry hat dies mit einer Zeichnung eines scheinbaren Hutes beschrieben. Was macht jedoch die Tatsachen wahr?

Um eine Sache zu beschreiben, braucht es Ausdrucksweisen, die aus Texten, Bildern, Geräuschen und Ähnlichem bestehen. Was sind jedoch die Elemente, die die Wirkung eines Fakts erzeugen?

  • Papier ist geduldig
    Der Blick in ein Druckwerk oder in eine virtuelle Publikation erzeugt Ehrfurcht vor dem veröffentlichten Wort. Dass es sich dabei um eine wahrhaft falsche Aussage handeln kann, übersehen viele. Man kann tatsächlich den größten Mist veröffentlichen und immer noch Leute finden, die daran glauben – sei es eine Mondlandung, die nicht stattgefunden haben soll; UFOs, die Menschen entführen; oder Papst Franziskus, der seine Unterstützung für Trump erklärt haben soll.
    Druckbares scheint stets Wahres zu sein.
  • Sehen heißt glauben
    Die Medien haben einen derartigen Fortschritt gemacht, dass man jeden erdenklichen Sachverhalt mittels digitaler Bildbearbeitung erzeugen kann. Da ein Bild mehr sagt als tausend Worte und für viele gilt: „Ich habe es gesehen, darum ist es wahr“, werden immer häufiger Fakten durch getrickste Bilder und Filme geschaffen – seien es die vielen politischen Bilder, aus denen unerwünschte Genossen herausretuschiert wurden; manipulierte Raketenstarts; oder Handyvideos mit gestellten Szenen.
    Ein Bild ist ein Abbild der Wirklichkeit und damit wahr.
  • Alle haben ihre stimmige Perspektive
    Der Blickwinkel bestimmt, wie sich Bilder zusammensetzen und was im Vordergrund und Hintergrund landet. Auch Augenzeugen stecken in ihrer Perspektive fest. Dies führt dazu, dass eine Situation, neben den Verzerrungen in der Erinnerung, subjektiv wahrgenommen wird – seien es die Blickwinkel der Kameraleute und Fotografen; die Augenzeugen des Attentats auf John F. Kennedy; oder die Grenzkonflikte am Gazastreifen.
    Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters.
  • Autoritäten können sich ja nicht irren
    Der Verweis auf eine historische Persönlichkeit entlastet eine Einzelperson von der Verantwortung für die Einschätzung einer Situation und wertet die Tatsache auf, obwohl die Zuhörer nicht unbedingt verstehen, was ursprünglich gemeint war. Auch wenn es sich bei näherer Betrachtung zeigt, dass die Aussage in einem bestimmten zeitlichen und inhaltlichen Kontext getroffen wurde – sei es der Börsenspekulant, der mal eine Milliarde gewinnt und mal verliert; der Technologiemagnat, der 640-KB-Speicher als ausreichend für den Computerspeicher bestimmte; oder der Auto-Erfinder, der den weltweiten Bedarf an Autos, aufgrund fehlender Chauffeure, auf eine Million begrenzte.
    Warum soll man sich mit einer Bewertung belasten, wenn ein Experte es besser weiß.
  • Das machen ja alle
    Wirklich erschreckend ist die Tatsache, dass wir dazu tendieren, das für wahr zu halten, was viele für wahr halten. Dieses sogenannte Gruppendenken verzerrt die persönliche Bewertung bis zur Unkenntnis. Nach einer bestimmten Zeit fragen sich die gleichen Personen, wie sie das glauben konnten – sei es die Massenpanik, die ein Hörspiel 1938 in den USA auslöste; das herdenhafte Investieren in Versicherungen; oder das Festhalten an der Routine im Angesicht eines explodierenden Reaktors in Japan.
    Den Fußstapfen der Anderen zu folgen schafft Sicherheit und die Masse kann sich ja nicht irren.
  • Die Wortwahl erzeugt neues Altes
    Die Bedeutung hängt an den Worten, mit denen die Sachverhalte ausgedrückt werden. Dabei können neue Worte einen alten Sachverhalt in neuem Licht erscheinen lassen. Sei es der aktionsgeladene Begriff der Bewegung, hinter dem sich Parteien verstecken, die damit suggerieren, dass sie noch keine verkrusteten Strukturen haben; die Fake News, die unterstellen, dass alternative Fakten falsch sind; oder die Vermeidung von Stigmawörtern unter Beibehaltung rassistischen Verhaltens.
    Ein Wort bedeutet das, was die Öffentlichkeit darunter versteht.
  • Interpretation – der Schritt zu neuen Sachen der Tat
    Die Sache der Tat wird wahr, wenn sie mit früheren Aspekten geladen und schließlich geäußert wird. Die Tat der Veröffentlichung in Form von Reden, Zeigen oder jeglicher sonstigen Art der Veröffentlichung, schafft neue Fakten. Fakten-Check hin oder her. Am Ende gilt – traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
    Sachen der Tat ergeben sich auch aus akzeptierten Wahrheiten plus den eigenen Schlüssen.

Fazit: Die Philosophie kämpft seit Jahrtausenden um die Frage, was ist wahr. Seien es die Schatten in Platos Höhle oder die Leuchtgestalten der heutigen Medien. Was wirklich ist und was wir davon wahrnehmen können, bleibt vorerst noch ungeklärt. Dies führt dazu, dass sich alle Arten von Verführern versuchen der Hoheit über die Wahrheit zu bemächtigen. Das gilt für Verschwörungstheoretiker, Fake News aber auch für die sogenannten Leitmedien. Wer den Hut sieht, hat recht und wer den Elefanten sieht, hat recht und wer die Schlange sieht, hat auch recht … Die entscheidende Frage ist, was wir aus diesen Sachverhalten machen und ob wir ethisch dazu stehen können.