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Es ist nicht immer ein Problem – für Jeden

Die entscheidende Frage ist nicht, ob Auffälligkeiten ein Problem sind, sondern für wen und ab wann. Der Startpunkt einer Problemlösung ist der Moment, indem ein Sachverhalt von jemandem zu einem Problem erklärt wird. Das Beispiel für den geschickten Umgang mit Problemen ist bekannt geworden durch das Produktionssystem von Toyota. Hier können Mitarbeiter die Fertigungsstraße anhalten, wenn sie einen Fehler bemerken, der nicht sofort gelöst werden kann. Dies setzt natürlich das entsprechende Verständnis voraus, was ein Fehler ist, und dass die Abweichung wahrgenommen wird und sich Mitarbeiter zuständig fühlen. Es beginnt bereits bei kleinen Dingen. Ein zerbrochener Bleistift ist zwar nicht mehr komplett, aber funktioniert noch. Nicht alle stören sich an dem Makel, solange man damit schreiben kann. Und selbst, wenn ein Sachverhalt als Problem angesehen wird, heißt das noch nicht, dass sich jemand dafür zuständig fühlt und sich darum kümmert. Es ist eben nicht immer ein Problem – für Jeden.

Ein Problem muss zuerst die Wahrnehmungsschwelle der Beteiligten überschreiten, bevor sie sich darum kümmern können. Die Höhe hängt von allgemein bekannten Einflüssen ab.

  • Einfluss von Stereotypen
    Allgemeine Kennzahlen sollen normalerweise das frühzeitige Erkennen von Problemen ermöglichen. Die Verarbeitung der Kenngrößen wird jedoch durch Zusatzinformationen, wie beispielsweise lebhafte Stereotype, so verzerrt, dass diese mehr Gewicht haben, als die sachlichen Messungen. Liefert jemand die Messwerte, der einen unzuverlässigen Ruf hat, dann werden sie weniger beachtet, als wenn sie von einer respektierten Person kommen. Entsprechend werden nicht alle Probleme zu Problemen.
  • Einfluss von Stimmungen
    Erfahrungen graben sich tief in unser Unterbewusstsein ein. Jedes Mal, wenn sich etwas wiederholt, verstärkt sich dieser emotionale Anker, ohne dass wir es bemerken. Treffen wir auf eine ähnliche Situation, dann aktivieren sich diese Gefühle und beeinflussen unsere Einschätzung. Ist ein bestimmter Sachverhalt bereits öfter aufgetreten, ohne dass man Schaden genommen hat, kann das dazu führen, dass der bemerkte Sachverhalt nicht als Problem erkannt wird. Entsprechend werden nicht alle Probleme zu Problemen.
  • Einfluss von ähnlichen Sachverhalten
    Eine Einschätzung findet nie alleine aufgrund des vorliegenden Falles statt. Es werden automatisch ähnliche Situationen berücksichtigt. Die Ähnlichkeit ist eine Frage der Inhalte, der handelnden Personen und des sonstigen Kontextes. Sobald man seine Benchmarks gefunden hat, richtet man sich an den Schlüssen und Ergebnissen dieser Vergleichsfälle aus. Ist schon tausendmal nichts passiert, wenn die Signallampen rot leuchten, dann wird auch dieses Mal nichts passieren. Entsprechend werden nicht alle Probleme zu Problemen.
  • Einfluss von Überzeugungen
    Die Betrachtung einer Situation wird natürlich auch durch die eigenen Überzeugungen und mentalen Erklärungsmuster mitgestaltet. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Menschen ihre eigenen Werte und Schlussfolgerungen mit einer gegenteiligen Einschätzung infrage stellen. Dies führt dazu, dass man die sichtbaren, aber widersprüchlichen Informationen nicht nutzt, um ein Problem aufzuzeigen, nur weil es nicht zur eigenen Weltsicht passt. Der zuverlässige Freund wird ja nicht plötzlich unzuverlässig. Entsprechend werden nicht alle Probleme zu Problemen.
  • Einfluss von sonstigen Filtern
    Unsere Aufmerksamkeit wird von vielen zusätzlichen Filtern beschränkt. So wirken beispielsweise die neuesten Informationen stärker als ältere; oder offensichtliche Argumente sind wichtiger, als nicht so naheliegende; oder negative wirken mehr als positive. Sobald eine Meinung sich gebildet hat, wird es schwer, sie nochmals zu ändern. Das Ganze gipfelt dann in dem, was man allgemein als Vorurteile bezeichnet. Der Techniker ist dann nicht in der Lage den Kunden zu verstehen und dem Verkäufer fehlt das Verständnis für die Technik – was dazu führt, dass deren Bemerkungen nicht berücksichtigt werden. Entsprechend werden nicht alle Probleme zu Problemen.

Fazit: Probleme sind das Ergebnis einer subjektiven Betrachtung von auffälligen Gegebenheiten, die erst dann als heikel angesehen werden, wenn sie die Wahrnehmungsschwelle der Leute überschreiten. Die dafür notwendige Aufmerksamkeit wird beeinflusst von Stereotypen, Stimmungen, Sichten auf die Welt und vielen anderen Filtern. Erst wenn diese Einflussfaktoren überwunden werden und ein Problem zu dem wird, was es ist, erst dann kann man sich um die Lösung des Problems kümmern. Es ist eben nicht immer ein Problem – für Jeden.

Die Kehrseite des Wegs des geringsten Widerstands

Wasser und Sand, Bienen und Ameisen sowie große Herden und Menschenmengen folgen alle einem gemeinsamen Prinzip. Gefrorenes Wasser hält sich daran und strebt so dem Tal entgegen. Pheromone zeigen ihn Ameisen. Tierherden orientieren sich aneinander, um ihn zu finden. Selbst im Gedränge einer Menschenansammlung finden ihn alle und schaffen damit Ordnung – den Weg des geringsten Widerstands.

Für manche ist er der beste Weg, da sie damit wenig Aufwand mit maximaler Wirksamkeit verbinden. Dabei stecken in ihm einige Aspekte, die nicht immer wünschenswert sind.

  • Der Weg, den alle gehen
    Sobald sich dieser Weg abzeichnet, folgen alle und alles dem gleichen Weg. Egal, ob Schnee oder Sand, der vorgefundene Attraktor, d.h. die Stelle, auf den sich alle Energien zubewegen, zieht alle magisch an. Im Wettbewerb ist das nicht wirklich der anzustrebende Pfad, da sich dort alle befinden und die wenigsten Unterscheidungsmerkmale zu finden sind. Die Antwort auf die Frage nach der eigenen Originalität, der Unique Selling Proposition (USP), hebt einen von den Anderen ab und erzeugt langfristig die gewollten Lorbeeren. Sobald man sich auf diesen Weg verirrt, sollte die Suche nach einem anderen Ansatz beginnen. Dies führt zwar zu mehr Aufwand, aber am Ende auch zu einer höheren Ausbeute. Ansonsten bleibt nichts anderes, als sich in der Mittelmäßigkeit einzurichten.
  • Der Weg, den die Probleme gehen
    Bergsteiger wissen, dass die Bereiche des geringsten Widerstands zu meiden sind, da dort das größte Risiko besteht, von einer Lawine erfasst zu werden. Auch die geschäftlichen Probleme finden diesen direkten Weg, um sich ohne Aufwand zu verbreiten. Dies beginnt bei Computerviren, die sich innerhalb von Netzwerken von einem Rechner zum nächsten hangeln. Es reicht bis zu dem besonders schädlichen Kampf um Marktanteile, der am einfachsten durch die Preise ausgefochten wird. Erstaunlicherweise fehlt den Kunden in diesem Bereich das Verständnis, dass es sich bei den billigeren Angeboten um reduzierte, nicht unbedingt ebenbürtige Leistungen handelt. Alle stürzen sich auf diesen einfachen Weg des Wettbewerbs, ohne zu bedenken, dass die eigene Viabilität riskiert wird. Ihre Angebote leiden irgendwann unter der schlechten Qualität und zerstören das Vertrauen der Kunden. Zertifizierungen bringen dann auch nichts, da sich die Kunden bereits abgewendet haben.
  • Der Weg, der an den echten Chancen vorbeigeht
    Der Weg des geringsten Widerstands ist nicht unbedingt der beste, da außerhalb wesentlich mehr zu holen ist. Im Business finden sich die echten Chancen auch außerhalb der eingefahrenen Wege. Im Rahmen der damaligen Gegebenheiten haben nur wenige darüber nachgedacht, dass ein World Wide Web neue Möglichkeiten schafft. Mittlerweile verstehen das alle. Und schon entwickeln sich Nischenmärkte, die wieder mehr physische Gemeinschaft fördern – Treffpunkte, an denen man in der Gruppe seinen Kaffee genießt; Arbeitsteams, die in täglichen Ständerlingen ihre Aufgaben persönlich abstimmen; Veranstaltungen, in denen wieder Musik mit der Hand gemacht wird. Da die tägliche Routine zu immer mehr Regelungen und Standards führt, vergessen die Verantwortlichen einen Blick über den Tellerrand hinaus zu wagen. Damit verpassen sie lukrative Chancen.
  • Der Weg, der oft Umwege in Kauf nimmt
    Bei einem Fluss, der in seinem natürlichen Bett fließt, wird der Weg des geringsten Widerstandes sichtbar. Er mäandert in weiten und engen, sich immer wieder verändernden Schleifen. Dies zeigt, dass die Natur nicht den direktesten oder kürzesten Weg geht. Im Geschäftsleben suchen sich intuitive Abläufe auch nicht den schnellsten Weg. Im Gegenteil, sie führen oft zu sehr verästelten und unüberschaubaren Verläufen, die sich nicht mehr aus einer Hand steuern lassen. Verteilte, selbst organisierte Führung ist wesentlich wirksamer, solange es sich um gewachsene Abläufe handelt. Vorgänge, die in IT-Programmen abgebildet werden müssen, beschränken diesen freien Lauf der Dinge. Die Standardisierung ist dabei ein Kompromiss, der alle Interessen unter einen Hut bringen und Widerstände überwinden muss.

Jeder von uns wird auch immer wieder den Weg des geringsten Widerstands einschlagen. Warum sollte man es sich auch schwer machen. Wir scheuen uns vor Ungewissheit und ändern nur selten etwas, das sich bisher bewährt hat. Dies gilt auch für die, deren Weg des geringsten Widerstands die permanente Veränderung ist und die deshalb nie zur Ruhe kommen.

Fazit: Der Weg des geringsten Widerstands ist trotz seines Schwungs und seiner scheinbaren Gemütlichkeit, der am wenigsten anzustrebende Weg. Hier finden sich die meisten. Hier passieren die Probleme. Hier hat man die geringsten Chancen sich von der Meute abzusetzen. Hier nimmt man Umwege in Kauf. Und trotzdem lassen sich viele treiben und beschweren sich hinterher, dass nicht mehr dabei herausgekommen ist. Sobald man spürt, dass man sich auf diesem Pfad befindet, empfiehlt sich ein Schritt auf die Seite oder die Richtung spontan zu wechseln oder einfach mal etwas ganz Anderes auszuprobieren. Der Kehrseite des Wegs des geringsten Widerstands ist das unbemerkte Korsett, das langfristige Viabilität verhindert.