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Zwangsläufig alternative Fakten

Tatsachen werden durch Sprache, Zeichen und Zahlen vermittelbar. Die ältesten Zeichen wurden vor vierzigtausend Jahren an die Wände von Steinzeithöhlen gemalt. Inwieweit in unserem kulturellen Gedächtnis die damalige Bedeutung überlebt hat, können wir nicht feststellen. In Ermangelung von Nachschlagewerken bleibt uns die Bedeutung von uralten Zeichen (z. B. ein auf dem Kopf stehendes Dreieck s) verschlossen, obwohl das Graffiti ein greifbarer, für alle sichtbarer Fakt ist. Derzeit hat das Zeichen abhängig von dem Sachgebiet verschiedene Lesarten: in der Alchemie repräsentiert es Wasser; in der Meteorologie Regen; bei Hobos den Hinweis, dass bereits zu viele vor Ort waren und es nichts mehr zu holen gibt; in der Mathematik symbolisiert es den Nabla-Operator; im Verkehr Vorfahrt achten;  im weitesten Sinne steht es auch für Weiblichkeit. Was gibt uns die Sicherheit, dass heutige Tatsachen nur eine einzige Bedeutung haben – z. B. wenn der Temperaturanstieg der letzten dreißig Jahre als nicht bedrohlich wahrgenommen wird? Sind Worte und Zahlen aussagefähiger als einfache Zeichen – z. B. wenn wir uns bei der Bank treffen? Und wenn es keine allgemeingültige Bedeutung gibt, was macht das aus den beschworenen Fakten – alternative Fakten?

Beim Blick auf die Herstellung von Tatbeständen zeigen sich viele Einflussfaktoren, die zu einer Verzerrung des Sinns führen können.

  • Die Perspektiven auf die Fakten
    Der eigene Standort bestimmt den Blickwinkel auf Umstände. Man kann die Situation auf Augenhöhe, aus der Vogel- oder Froschperspektive betrachten. Der Blickwinkel wird enger und verliert das Ganze aus dem Auge, sobald man sich Einzelheiten nähert. Das Gesichtsfeld erweitert sich und lässt die Feinheiten verschwinden, wenn man sich einen Überblick verschafft. Auch die zeitlichen Perspektiven vermitteln unterschiedliche Sichten. Die Anzahl an Tatsachen und Erkenntnissen ist rückblickend umfassender und schlüssiger, als wenn nur aktuell verfügbare Quellen genutzt werden – ganz zu schweigen, wenn Vorahnungen bezüglich der Zukunft formuliert werden.
    Diese wenigen Beispiele und die unterschiedlichen Positionen der Betrachter sollten allen klar machen, dass die angehäuften Daten sich immer unterscheiden. Trotz mehrerer zuverlässiger Quellen und der Prüfung der Aussagen in Faktenchecks erreicht man nie eine hinreichend zuverlässige Aussage, ob es sich um eine Falschmeldung handelt oder nicht. Dies führt dazu, dass wenn jemand die Nachrichten nicht mag, sie einfach zu Fake-News erklärt werden können.
  • Die Jäger und Sammler der Fakten
    Beeinflusst wird die Sammlung von Tatsachen durch den Charakter der Reporter. Unterschiedliche Erfahrungen, Fähigkeiten und Überzeugungen filtern deren Wahrnehmung. Das liegt vor allem daran, dass Betrachter in einer Lage nur die Sachen bemerken können, die sie bereits kennen oder in Worte und Bilder fassen können. Dies führt zu einer unbewussten Auswahl von Belegen, die in der Folge ein tendenziöses Bild erzeugen. Solange Andere ähnlich berichten, scheint es sich um Fakten zu handeln, obwohl die Menge der gleichen Aussagen keinen Rückschluss zulässt, ob die Meldungen wahr sind.
    Die Weltauffassung der Beobachter wirkt unbeabsichtigt als Filter für die anfallenden Daten. So sieht der Techniker bevorzugt Anlagen, Maschinen und andere technische Sachverhalte. Der Menschenfreund beobachtet die Menschen in ihrem Umfeld. Und beide werden Fakten zur Situation liefern, die allerdings zu unterschiedlichen Schlüssen führen.
  • Die interessensgetriebenen Fakten
    Verstärkt werden die Auswirkungen der Jäger und Sammler, wenn bewusst nur die Fakten gesammelt werden, die die eigene Weltsicht bestätigen. Dies passiert meistens bei ideologisch gefärbten Berichterstattern – seien sie links, rechts oder in der Mitte verortet. Als extremes Beispiel schauen wir uns die Verschwörungstheoretiker an, die in dem ansonsten fahlen Informationsdschungel spektakuläre News liefern. Ein bekanntes Beispiel ist die angeblich fingierte Mondlandung, die nur deshalb inszeniert wurde, um das Rennen zum Mond zu gewinnen oder vom Vietnamkrieg abzulenken.
    Diese Art der Fakten entstehen in allen Themengebieten: Politik, Wissenschaft, Wirtschaft usw. Hierbei bestimmen übergeordnete Interessen, welche Nachrichten in die Medien gelangen. Ein plumper, wenn auch wirksamer Versuch der Verdrehung von Tatsachen ist der vorauseilende Widerspruch, der versucht einen absehbaren Vorwurf abzuwehren, indem den Gegnern vorab vorgeworfen wird, Fake-News zu verbreiten. Wer am lautesten schreit, gewinnt die Sympathie der Massen, obwohl sie am Ende einen Nachteil erleiden – ein gutes Beispiel ist die Propaganda der schreihalsigen Brexiteers, die den Briten nur Nachteile bringen.
  • Die Qualität der Fakten
    Am Ende sind Fakten Daten, die eine bestimmte Güte aufweisen. Neben dem Aufzeigen der jeweiligen Perspektive und der Herkunft der Beobachter gibt es Gütekriterien, die erfüllt sein sollten: Verständlichkeit, Korrektheit, Vollständigkeit, Stimmigkeit, Aktualität, usw. Es bleibt oft ein Auslegungsspielraum bestehen: beispielsweise der Freiheitsgrad von Wahlen oder die Bewertung von Attentaten durch staatliche Organe. Die Korrektheit einer Aussage sollte kritisch hinterfragt werden (besonders wenn sich ernst zu nehmende Widersprüche auftun). Die Vollständigkeit einer Nachricht ist schwer zu erkennen (wenn beispielsweise andere Sichten nicht berichtet werden). Unstimmigkeiten sind leichter erkennbar, da das Publikum sie selbst finden kann (wenn an einem Tag das Eine und am anderen etwas Gegensätzliches berichtet wird). Auch die Aktualität lässt sich immer besser prüfen (wenn beispielsweise alte Bilder in einem neuen Kontext genutzt werden oder offensichtlich manipuliert wurden).
    Es hat sich eingebürgert so zu tun, als wäre die Güte der Nachrichten überprüfbar, indem man nachträglich Faktenchecks durchführt. Da sie nach den bisherigen Kriterien ablaufen, liefern sie allerdings nur die Bestätigung einer interessensgetriebenen Sichtweise.

Fazit: Eigentlich scheinen wir keine Möglichkeit mehr zu haben, um der Wirklichkeit näherzukommen. In der Folge bewegen wir uns in unserer Filterblase, die die eigenen Überzeugungen immer wieder bestätigt. Allerdings soll dieser Beitrag aufzeigen, dass alternative Fakten in der Natur der Sache stecken. Der Kampf um die eine Wahrheit ist sinnlos, da es diesen Zustand nicht gibt. Aus diesem Grund müssen wir empfindlicher auf diese Sachlichkeiten reagieren und uns bewusst mit den vorliegenden Nachrichten auseinandersetzen. Sobald ein Bericht mit emotionalen Aussagen (z. B. Stigmawörter) und dem entsprechenden Tonfall gefüllt ist, sollten alle Warnlampen angehen (siehe z. B. diesen deutschen Fernsehbericht). Wenn dadurch der gläubige Zug der Lemminge, die den Demagogen blind vertrauen, gestoppt wird und sie nicht mehr gedankenlos den Populisten folgen, dann hätte sich der Blick auf die unausweichlich alternativen Fakten rentiert.

Bürokratie verhindert

Die Herrschaft der Verwaltung ist eine eigentlich veraltete Form, um ein Unternehmen zu lenken – mit sachlichen, formalen, geregelten, nachweisbaren und verteilten Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten (AKV). Mit ausreichend Zeit, um die Routinen zu entwerfen, zuzuordnen und einzuführen, sprich schulen, verhalten sich Unternehmen wie Maschinen. Mit der Zeit werden Schwächen ausgemerzt sowie der Ablauf und die Güte des unternehmerischen Beamtentums verbessert, um immer zuverlässiger die gewünschten Ergebnisse zu liefern. Mit der digitalen Transformation und der damit einhergehenden Beschleunigung werden auch die letzten Beamtenapparate feststellen, dass sie damit jeden wirtschaftlichen Wettbewerb verlieren, weil Bürokratie die Arbeitsstile verhindert, die künftig den Erfolg ausmachen.

Zu diesem Zweck schauen wir uns die ‚neuen‘ Anforderungen an.

  • Digitalisierung
    Die stimmige Anpassung aller Teile des Geschäfts an die Virtualität ist der Kern der Digitalisierung. Die Abläufe der Zukunft finden in der IT statt. Die Daten werden von einer leistungsfähigen Software (manchmal Künstliche Intelligenz genannt) selbstständig verarbeitet. Maschinen produzieren nicht nur Erzeugnisse, sondern auch Dienstleistungen. Selbst persönliche Aufgaben sind automatisierbar (z. B. automatisiertes Beschwerdemanagement).
    Die durch die Computer entstehende Beschleunigung wird dann möglich, wenn die bürokratischen Prüf- und Entscheidungspunkte schnell und ohne gestufte Befehlsketten sofort am Ort des Geschehens stattfinden.
  • Kundenorientierung
    Der heutige Kunde ist oft besser informiert als die Ansprechpartner eines Unternehmens. Damit sind sie besser vorbereitet und haben immer spezifischere Wünsche, die im Rahmen einer ‚bürokratischen‘ Produktentwicklung nicht berücksichtigt wurden. Wenn das Top-Management es ernst meint mit ihrer Kundenorientierung, dann steht alles andere hintenan, wenn der Kunde einen Wunsch äußert. Ist die Schnittstelle zum Kunden bereits digitalisiert, dann müssen es die Programme schaffen, den Kunden trotz seiner besonderen Anforderungen zufriedenzustellen.
    Bereits vor der digitalen Transformation haben es Unternehmen verstanden, den Kunden mit seinen Wünschen in den Mittelpunkt zu stellen – jeder Angestellte mit Kundenkontakt im Ritz-Carlton darf ohne Absprache mit einem Vorgesetzten bis zu 2.000 $ ausgeben, um Kundenwünsche zu befriedigen.
  • Produkt- und Dienstleistungsinnovation
    Viele Neuerungen wurden zufällig gefunden – z. B. Penicillin, Post-Its oder Teflon. Nicht der vorbereitete Ablauf schafft die Idee, sondern ein Impuls, der unerwartet aus dem Nichts das Heureka bei jemand auslöst. Stellen wir uns den alltäglichen Ärger, dass einem die Zettel aus dem Gesangbuch fallen, sowie einen Kollegen vor, der einen Kleber entwickelt, der einfach nicht dauerhaft klebt – und schon haben wir Klebezettel in beliebiger Größe und Form.
    Diesen Gedankenblitz kann man nicht verordnen oder entsprechend eines Zeitplans erwarten. Wenn dann noch die Idee einer bestimmten Regel folgend beschrieben, eingereicht und verabschiedet werden muss, erstickt jegliche Fantasie.
  • Selbstorganisation
    Der Ersatz der Befehlskette ist die Selbstorganisation. Jeder Mitarbeiter soll intrinsisch motiviert als Unternehmer im Unternehmen agieren und mehr Wert erzeugen als vorher. Die Grenzen entscheiden die Mitarbeitenden für sich obwohl erwartet wird, dass diese Grenzen großzügiger ausgelegt werden, als sie jemals von einem Vorgesetzten vorgegeben werden könnten. Nicht zu vergessen die eingesparten Führungskräfte, die man ja nicht mehr benötigt, wenn alle sich selbst führen.
    Vergessen wird, dass neue Entlohnungs-, Berichts- und Führungssysteme erforderlich werden, damit jenseits der Bürokratie, die Mitarbeiter in die Lage versetzen, sich selbst zu steuern – durch die Bereitstellung von unbürokratischer Unterstützung, wie z. B. einer anpassungsfähigen IT, schnell verfügbaren Mitteln und einer offenen Unternehmenskultur.
  • Globalisierung
    Die Welt ist das Spielfeld, in dem sich die Geschäfte heute durchsetzen müssen. Dies erfordert ein Mindset, dass sich an die jeweilige Region oder das jeweilige Land anpasst. Ein wie auch immer gearteter Beamtenstamm wird nicht in der Lage sein, eine Bürokratie zu entwickeln, die überall passt.
    Unterschiedliche Sprachen, Rituale und Verhaltensweisen lassen sich nicht in ein konsistentes System zusammenfassen, weil eine sinnhafte Übersetzung in alle Sprachen nicht möglich ist; die Rituale sich an der lokalen Gesellschaft und den Religionen orientieren; das angemessene Verhalten oft widersprüchlich ist.
  • Qualität
    Sobald eine Bürokratie die Führung übernimmt, fühlen sich die Mitarbeiter nicht mehr verantwortlich ihr Bestes zu geben, sondern nur noch die Vorgaben zu erfüllen. Mitdenken würde immer wieder die Regeln infrage stellen. Dadurch können die Mitarbeitenden einen Ablauf nicht beschleunigen, obwohl es möglich wäre. Es geht jedoch nicht, weil der vorgegebene Ablauf bestimmte Umwege fordert. Ein Kundenwunsch lässt sich nicht umsetzen, weil die Vorgaben klar regeln, was die Kunden zu kaufen haben. Die Mängel am Produkt entstehen, wenn der Vollzug einer Aufgabe wichtiger wird, als die entsprechende Güte.
    Die Vorgaben bestimmen, was genau zu tun ist, welche Güteklassen erreicht werden müssen, und wie lange man sich damit beschäftigen soll. Wenn dann noch die erforderliche Arbeitszeit passt, hat man seine Pflicht erfüllt – obwohl noch Ideen für mehr da wären.

Fazit: Ein klarer Indikator für die Fähigkeit neue Arbeitsformen und Strukturen zu nutzen, ist der Status der eigenen Bürokratie. Solange ein Ergebnis auf Basis von Formalismen und Formaten geprüft wird und neue Ideen dabei ignoriert werden, wird man in absehbarer Zeit Schwierigkeiten bekommen – man wird nicht mit der Geschwindigkeit der Digitalisierung mithalten können; wirkliche Kundenorientierung wird ein Traum bleiben; Neuerungen werden nur mit viel Aufwand und externer Unterstützung möglich; selbstorganisierte Teams werden sich nach kurzer Zeit auflösen; im globalen Wettbewerb wird man nicht mehr mithalten können; die Qualität wird unbemerkt immer schlechter. Natürlich nur, wenn man es nicht schafft, sich von seiner Bürokratie und deren Vertretern zu lösen. Denn: Bürokratie verhindert