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Auf diese oder eine andere Weise führen

Nicht alle Vorgesetzten wollen Verantwortung tragen, sondern vor allem mehr verdienen. In Ermangelung von fachlichen Entwicklungspfaden bleibt ihnen nichts übrig, als eine Position zu übernehmen, die ihre Fach- durch Führungsanforderungen ersetzt: vor allem sich selbst und andere führen und fördern; Beziehungen aufbauen und pflegen; Zukunftsbilder entwickeln und Entscheidungen treffen; Probleme lösen; Ergebnisse abnehmen. Da Führungskräfte Multiplikatoren sind, verbreiten sich deren Überzeugungen in ihrem Einflusskreis z.B.

  • Ihr Menschenbild: der Mensch ist unwillig (Theorie X) oder der Mensch ist motiviert (Theorie Y)
  • Ihr Weltbild: die Welt ist eine Maschine oder ein Organismus
  • Ihr Führungsverständnis: Top-Down versus Bottom-Up versus Inside-Out
  • Ihr Beitrag: Richtung bestimmen versus Momentum erzeugen versus laufen lassen

Leadership wird gerne reduziert auf das CHARISMATISCHE UNIVERSALGENIE, dessen Fähigkeiten angeboren sind. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich ein Blick in das Buch Führen, Leisten, Leben von Fredmund Malik. Er verschiebt den Blick auf die Wirksamkeit der LeiterInnen durch Regeln und Grundsätze sowie auf ein Set von Aufgaben, Werkzeugen und Kommunikation.

In diesem Blockbeitrag entdecken Sie vier Rollen, die Sie als aufmerksame BeobachterInnen in Unternehmen finden.

  • AuftraggeberInnen
    Die Zeiten von Ludwig XIV. sind vorbei. Nichtsdestotrotz gibt es weiterhin autoritäre Führungsstile, die von oben nach unten durchregieren. Vorgaben werden diktiert. Politisch korrekt treten sie nicht mehr als autoritäre Despoten auf, sondern als Auftraggeber. Sie erwarten Pflichterfüllung ohne Widerspruch oder -stand. Die absolutistischen Herrscher der Vergangenheit verfügten über wenige Daten bei der Entscheidungsfindung. Jetzt stehen allen Beteiligten eine Flut von Erkenntnissen zur Verfügung. In der Folge laufen die heutigen PotentatInnen Gefahr, sich als Mikromanager zu entpuppen, die sich in die Feinheiten der Durchführung einmischen. Im Mittelpunkt steht der Auftrag. Mit klaren Vorgaben der Inhalte, des Zeitrahmens und des verfügbaren Budgets ist diese Rolle wirkmächtig. Die es schaffen, dabei autokratisches Verhalten zu unterdrücken, können viel erreichen.
  • VerwalterInnen
    Die Zeiten der sorgfältig aufgestellten Konzerne neigen sich dem Ende zu. Auch wenn weiterhin Größe angestrebt wird, lernen die EntscheiderInnen gerade, dass sie neue Ansätze für die Delegation brauchen. Das Gesetz der erforderlichen Varietät von Ashby hat uns beigebracht, dass die Vielfalt der Antworten größer sein muss als die der gestellten Fragen. Die normalerweise starre Aufbau- und Ablauforganisation wird durch dynamische Einheiten von ca. 150 Beteiligten ersetzt, die im Interesse des Ganzen weitgehend autonom handeln. Die übliche Verwaltung behindert diese Beweglichkeit, da sie mit ihren Regelungen keine Chance hat, allen möglichen Fällen gerecht zu werden.
    Im Zentrum steht die Beschreibung der Rollen, die AKVs (Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung). Das Geschick bei der Festlegung der Rollen sichert die Ausgewogenheit zwischen Gemeinsamkeit und Freiheit. Eine einprägsame Governance schafft das übergreifende Mindset. Entscheidend sind der angemessene Grad der Vorgaben und die großzügige Bewertung der Erfüllung.
  • VerkäuferInnen
    Die Zeiten der Allroundgenies, die alle Aspekte ihres Geschäft meistern, sind vorüber. In Ermangelung von Sachverstand nutzen beeindruckende Firmen ihre gestalterischen Quellen – z.B. wenn 3M dem Gestaltungswillen aller 10% ihrer Arbeitszeit bereitstellt, oder Google durch übergreifende Zusammenarbeit, einem anregenden Führungsstil und Ergebnisorientierung den MitarbeiterInnen die Freiräume verschafft, um immer neuer Angebote zu erzeugen.
    Hier geht es vor allem um Lösungen, die die Chance brauchen, sich am Markt zu bewähren. Damit das passiert, müssen vor allem ausgedehnte Freiräume geschaffen werden, die reichhaltig Mittel bereitstellen, um Ideen in Ergebnisse umzusetzen. In diesem Umfeld ist einerseits Toleranz und Offenheit und andererseits geschicktes Marketing notwendig, um die vorhandenen Möglichkeiten in Vorteile umzumünzen.
  • DienerInnen
    Die Zeiten der Top-Down Kommandokette sind mit der allgemeinen Verfügbarkeit von Daten verstrichen. Wissen ist Macht hat seine Bedeutung verloren, da Gruppen IMMER mehr wissen als Einzelne. Entsprechend wurde die Hierarchie auf den Kopf gestellt. Die Führungsebenen dienen jetzt ihren zugeordneten Einheiten (i.e. Servant Leadership). Damit am Ort des Geschehens das Richtige richtig getan wird, brauchen die Personen weitreichende Befugnisse und, wenn Schwierigkeiten auftreten, Unterstützung durch ihre Führungskräfte.
    Der Schwerpunkt liegt auf der Wirkung der Angebote – z.B. der bemerkbaren Güte, der Freundlichkeit am Point of Sales und der Zufriedenheit der Kunden. Hierfür müssen die MitarbeiterInnen in der Lage sein zu agieren – d.h. über ausreichende Mittel, Fachwissen und Unterstützung verfügen. Für diese Rolle sollten die Leader Einfühlungsvermögen, Verständnis und Präsenz haben.

Fazit: Althergebrachte Führungsansätze, d.h. autokratische Top-Down-Herrschaft, überbordende Bürokratie oder technokratische Siloorganisationen passen nicht mehr zu der rasanten VUKA-Welt. Wie die Rollen der Zukunft aussehen werden, liegt an Ihrem Erfindungsgeist. Die beschriebenen Funktionen verteilen sich auf den Achsen der Entscheidungsrichtung (Top-Down vs. Bottom-Up) und des Kommunikationsstils (einseitig vs. wechselseitig). Sie sollen die Leader von heute zum Nachdenken über ihre Rolle anregen und ihnen Impulse geben, den eigenen Arbeitsstil zu überdenken. Am Ende entscheidet jeder, ob er auf diese oder eine andere Weise führen will.

Was Grenzüberschreitungen ausmacht

Es gab eine Zeit, da war Berlin von einer Mauer umschlossen, die die Stadt zu einer Insel machte. In West-Berlin ist man in allen Richtungen irgendwann auf die Wand gestoßen, die nur wenige Schlupflöcher hatte. Noch heute ist die nächtliche Fahrt durch den ehemaligen Checkpoint Charlie auch ohne Kontrolle und Mauer eine wahrnehmbare Grenzüberschreitung. Man taucht aus dem weißen Licht der Westberliner Quecksilberdampflampen und Leuchtstoffröhren in das warme Licht der Ostberliner Natriumdampflampen. Auch der aufmerksame Fußgänger bemerkt, dass das Ampelmännchen plötzlich einen Hut trägt. Das ist es, was Grenzüberschreitungen ausmachen.

Alle Arten von Systemen leben von der Tatsache, dass etwas dazu gehört und vieles anderes nicht. Häufig sind diese Grenzen nicht so klar gekennzeichnet. Aus diesem Grund ist es wichtig aufmerksam zu sein, um eine Passage von einem System ins andere zu bemerken. Die folgenden Aspekte bieten ein einfaches Raster, um Grenzüberschreitungen so zu erleichtern, dass niemand Schaden nimmt.

  • Kontext
    Der Raum bietet viele erkennbare Grenzen – Flüsse, Berge, Straßen, Mauern usw. Nicht jede Begrenzung führt automatisch in einen Bereich mit neuen Regelungen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass sich etwas ändert, wenn man die Umgebung wechselt. Wer an einem Fluss wohnt, links- oder rechtsflussig, kennt diese Unterschiede. Auch die Zeit trennt unentwegt. Sei es die Vergangenheit von der Gegenwart oder die Gegenwart von der Zukunft oder das Vorher vom Nachher. Eine Grenzüberschreitung findet auch statt, wenn man nach einem Langstreckenflug über die Fluggastbrücke ein Land betritt – viele Passagiere kommen wieder nach Hause und andere werden zu Fremden.
    Bewusst macht man sich den Kontext durch diese Fragen: Wo bin ich? Zu welcher Zeit?
  • Tätigkeit
    Besonders vielfältige Systeme bilden Tätigkeiten oder Berufen. Jede Art von Beschäftigung schafft ein geschlossenes System mit bestimmten Voraussetzungen, in dem die sich verstehen, die dazu gehören. Die anderen sind ausgeschlossen. Dies kann man erkennen an der Kleidung, an den Werkzeugen oder an dem Fachjargon – Anstoß, Einwurf, Strafstoß, Kopfball, Abseits (wer das wohl ist?). Für Außenstehende handelt es sich um eine Art Fremdsprache, die man erlernen muss.
    Der schnelle Zugang zur Bedeutung könnte dadurch erfolgen, dass man fragt: Was wird getan? Wie heißt das?
  • Fähigkeiten
    Im Laufe der Zeit haben sich die Fähigkeiten immer weiter spezialisiert. Es lassen sich jedoch Wissensgebiete abstecken, die zusammen ein geschlossenes Fachgebiet bilden, das wiederum aus spezialisierten Teilsystemen besteht, die wiederum … usw. Das führt zu unterschiedlichen Fähigkeiten zwischen Elektro- und Thermodynamikern oder Quantenphysikern sowie zu Verständnishürden zwischen Branchen. Die dazugehörigen Sprachen bilden weitere Grenzen, die ab- bzw. ausgrenzen. Der Zugang zu einer anderen Kultur wird vor allem durch die entsprechende Sprachkompetenz möglich – sprechen Europäer von Denken, dann zeigen sie auf den Kopf, während Japaner eher aufs Herz zeigen.
    Die Überwindung dieser Grenze wird durch Fragen möglich – Wie macht man das? Was muss man dafür lernen?
  • Überzeugungen
    Die mentalen Modelle der Mitglieder eines Systems sind schwer ergründbar, da sie nur in den Köpfen der Leute wirken. Sichtbar werden sie im Kontext, den Handlungen und an den vorgeführten Fähigkeiten. Die Überzeugungen bilden den Mörtel, der alle Arten von Gruppen verbindet. Die Grenzüberschreitung wird an den Reaktionen der Leute erkennbar. Verstößt man gegen deren Glaubenssätze, z.B. bestimmte Rituale oder Verhaltensnormen, dann wird man ohne Verzug sanktioniert. Gleichzeitig ist man in seinen eigenen Denkgebäuden gefangen – wenn beispielsweise Gerechtigkeit einseitig festgelegt wird. Für den einen ist eine Gefängnisstrafe das Schlimmste, für den Anderen das Auspeitschen – obwohl die Notwendigkeit einer Bestrafung beiden gemeinsam ist.
    Die Grenze der Überzeugungen lässt sich durch vorsichtiges Nachfragen ermitteln: Wie sagt man dazu? Was muss man tun?
  • Rolle
    Eine besondere Form von Grenzen bestehen zwischen Rollen. Diese überschreitet man täglich immer wieder – einmal ist man Mitarbeiter, dann Chef, dann Kollege, dann Ehepartner, dann Vater, dann Freund, dann Vereinsmitglied usw. Im Geschäftsleben werden die Rollen manchmal schriftlich mit Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung beschrieben. Die vorherigen Aspekte (siehe oben) unterscheiden sich auch je Rolle – z.B. die unterschiedlichen Sprachen des Chefs, des Ehepartners und des Vereinsmitglieds.
    Deshalb stellen sich hier alle bisherigen Fragen und zusätzlich: Welche Rolle ist das? Welche AKV gehören dazu?
  • Zugehörigkeit
    Die Zugehörigkeit ist die schwierigste Grenze, da sich hier grundsätzliche Aspekte verstecken. Hier finden der übergeordnete Sinnzusammenhang und grundsätzliche Fragen des Lebens tief verankerte Antworten. Fundamentale Grenzen, die sich nur schwer verschieben lassen, bilden Religionen sowie wirtschaftliche und politische Systeme. Sie basieren auf dem persönlichem Glauben und der Verbundenheit mit den eigenen Wurzeln.
    Um diese Grenzen überschreiten zu können, sind respektvolle Fragen erforderlich: Was bedeutet das? Worauf muss ich achten?

Fazit: Wir überschreiten permanent gedankenlos irgendwelche Grenzen. Dabei kann jede Grenzüberschreitung zu einem Konflikt führen. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich die Grenzen immer wieder bewusst zu machen. Dazu beobachtet man den Kontext, in dem man sich befindet, die Handlungen, die passieren, die Fähigkeiten, die sichtbar werden, die Überzeugungen, die erkennbar werden, die Rollen, die es gibt sowie die Zugehörigkeit, die die andere Seite der Grenze prägt. Grenzen führen zu Ab- und Ausgrenzungen, die manchmal gewollt und manchmal ungewollt stattfinden. Grenzüberschreitungen sind unumgänglich, können aber durch die entsprechende Aufmerksamkeit so stattfinden, dass niemand dabei Schaden nimmt. Dies sind ein paar Aspekte die Grenzüberschreitungen ausmachen.