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So tun, als würde man führen

Solange man mental im vorherigen Jahrtausend verhaftet ist, versucht man einen überholten Führungsanspruch zu sichern, obwohl wir heute völlig andere Rahmenbedingungen haben. Mehr als 7,7 Milliarden Menschen und davon sind über die Hälfte im Internet unterwegs. Dadurch sind wir nur einen Klick voneinander entfernt. Im Interesse der Reduzierung der Komplexität führt diese erdrückende Transparenz zu Infoblasen. Diese starke Vernetzung wirkt nicht nur im globalen Alltag, sondern auch bei der Arbeit innerhalb der Grenzen des Unternehmens. Der alte Vorsprung von Wissen ist Macht entgleitet den Führungskräften in Anbetracht der für jeden verfügbaren Quellen. Im Zweifel sind die Mitarbeiter besser informiert als die Vorgesetzten. Der Führungsanspruch wird zusätzlich durch neue, selbstbestimmte Ansätze der Zusammenarbeit herausgefordert: agile Organisation, Holografie, Soziografie, befreite Unternehmen. Es leuchtet einem ein, dass in dieser Situation Führungskräfte nach Möglichkeiten suchen, so zu tun, als hätten sie noch alle Fäden in der Hand.

Beobachtet man aufmerksam das eigene Umfeld, findet man überall Beispiele für Leiter, die nicht mehr wissen, was ihre Raison d’être ist. Man erkennt sie an den folgenden Beispielen.

  • Entschiedenheit durch Ziele simulieren
    Eine wichtige Funktion ist es, entschieden Ziele vorzugeben und sich dafür einzusetzen. Dies beginnt mit verbalen Bekenntnissen zu einem Ziel: „Ich setze mich entschieden dafür ein, dass wir in absehbarer Zeit darüber nachdenken, wie wir uns in dieser Sache engagieren sollten.“ Und reicht bis hin zu Zielen, die so weit in der Zukunft liegen, dass die Entscheider weder für die Ergebnisse einstehen noch überhaupt verfügbar sein werden – „CO2-Neutralität bis 2050!“.
    In beiden Fällen wird so getan, als wäre etwas entschieden. Tatsächlich liegen die möglichen Effekte derartiger Entscheidung im Ungewissen oder der fernen Zukunft, sodass die Entscheider nicht für das Scheitern verantwortlich gemacht werden können.
  • Langatmige Abstimmungen
    da die Zielgruppen jeden Schritt der Entscheider beobachten, ist es wichtig, den Eindruck zu erwecken, dass man aktiv an einer Lösung arbeitet. Zu diesem Zweck sollten die Einflussgruppen beteiligt werden und in gemeinsamen Diskussionsrunden an einem Konsens arbeiten. Hierfür werden zu allen möglichen Themen Treffen veranstaltet, die innerhalb einer Woche schriftliche Übereinkommen generieren sollen.
    Immer öfter reicht der Zeitraum nur für einen minimalen Konsens, der jedoch von allen Beteiligten erfordert, dass sie an bestimmten Stellen nachgeben. Dafür muss man den Zeitrahmen überziehen, Nachtschichten einlegen, um dann nach abgelaufener Frist das Ergebnis vorzuweisen. Der Schein von Anstrengung ist damit gewahrt und der bescheidene Kompromiss ist aufgewertet.
  • Ablenkung durch Schuldzuweisung, um jeglicher Kritik von vorneherein zu begegnen, unterstellt man den Anderen einfach, dass sie falsche Informationen liefern, ihre Macht missbrauchen und die Öffentlichkeit manipulieren. Dadurch kommt man den Vorwürfen der Gegner zuvor und legt den Ball vorerst ins gegnerische Feld. Wenn sich dann noch die Gegner rechtfertigen, hat man die Kritik von sich abgelenkt und wird als verhandlungsstark angesehen.
    Fatalerweise suggeriert man der Öffentlichkeit mit dem Hinweis auf Rauch, dass es dort ein Feuer gibt. Ob ausgedacht oder wahr lässt sich nicht sofort nachvollziehen. Spätere Richtigstellungen schaffen es nicht, die erfundenen Fakten aus der Welt zu schaffen. Es reicht, der Erste zu sein, der Rauch sieht.
  • Souveränität proklamieren
    Professionelle Demagogen nutzen schließlich die Rückbesinnung auf das Selbstwertgefühl. Die eigene Meinung wird unterstrichen und vor allen anderen Sichtweisen platziert. Mit America First lässt sich das umsetzen, da die Botschaft verständlich und beim Zielpublikum erwünscht ist – denn sie ahnen nicht wirklich, was das für sie bedeutet. Und nachdem dieser Ansatz in den USA so gut funktioniert, beginnen jetzt andere nachzuziehen. Und die Personen, die diesen Weg beschreiten, feiern sich als Heilsbringer und starke Führungspersönlichkeiten.
    Souveränität und Ausgrenzung schafft ein Wirgefühl in der eigenen Gruppe, dass das „Wir gut – die Anderen böse“ ausnutzt. Um einen wirkungsvollen Startpunkt zu setzen, kündigt man bestehende Verträge und erwartet gleichzeitig die bisherigen Rechte– ohne die entsprechenden Pflichten. Die Zeche zahlt die eigene Gruppe, da die unterschlagenen Nachteile erst im Nachhinein sichtbar werden.

Fazit: Führung ist hier weniger ein Tun als der Schein, der die Zielgruppen in Bewegung versetzt. Nach Entscheidungen sollten Veränderungen eintreten. Die sind jedoch nicht absehbar, wenn sie in weiter Ferne liegen, langatmige Abstimmungen einen wirkungslosen Konsens erzeugen, Schuldzuweisungen von eigenen Schwächen ablenken und Propaganda das Publikum einnebelt. Fatalerweise bemerken die Betroffenen nicht, dass Entscheidungen vermieden werden – wer nichts entscheidet, macht auch nichts falsch. Es bleibt zu hoffen, dass die Zielgruppen aus dem Schlaf der Ahnungslosen erwachen und sich darauf besinnen, dass sie Entscheidungen einfordern, die ihnen auch etwas bringen. So tun, als würde man führen, reicht dafür nicht mehr.

Falsch verstandene Ich-Botschaft

In unserem tiefsten Inneren sind wir alle erfahrene Kommunikatoren, da wir tagtäglich den Umgang mit Anderen pflegen. Bereits bevor wir geboren werden, stehen wir mit unserer Umwelt im Austausch. Nach der Geburt kommen mit der Zeit Worte, Gesten und Intonation hinzu. Trotz dieser langen Praxis tun wir uns oft schwer den richtigen Ton und die richtige Körperhaltung zu finden – ganz zu schweigen von den richtigen Worten. Im Gegenteil. Wir, vor allem in der westlichen Welt, sind darauf eingestellt, jede Auseinandersetzung mit entsprechenden Aussagen negativ zu verschärfen. Die sich ergebende Abwärtsspirale dreht sich solange, bis sich ein Teilnehmer dem weiteren Diskurs verweigert. Ein wirksames Instrument zur Unterbrechung dieses Teufelskreises sind die Ich-Botschaften, die leider oft falsch verstanden werden.

Mit Ich-Botschaften vermittelt der Sender den Empfängern seine tatsächlichen Bedürfnisse und Gefühle, ohne den Empfänger mit Vorwürfen in die Defensive zu zwingen. Dies verhindert den Reflex, sich verteidigen zu müssen. Die Ich-Botschaft besteht aus den folgenden Elementen.

  • Die eigene Befindlichkeit ausdrücken
    Persönliche Aussagen drehen sich in der Ich-Botschaft um die eigene Befindlichkeit. Die vier Seiten einer Botschaft nennen diese Aussagen Selbstkundgabe. Es werden dabei Fakten zu einem selbst sowie eigene Gedanken und Gefühle mitgeteilt. Diese können durchaus von den Personen, die beteiligt sind, ausgelöst worden sein. Der Bezug wird jedoch nicht durch einen Vorwurf hergestellt. Vielmehr werden die Gefühle ausgedrückt, die sich aus dem Verhalten oder den Aussagen der Anderen ergeben.
    Beispiel: „Ich bin frustriert, dass ich mich noch nicht verständlich machen konnte.“
  • Negative Bewertungen vermeiden
    Der schnellste Weg in einen Konflikt ist die Abwertung der Anderen. Dies beginnt mit einem geringschätzigen Tonfall, geht über Spott, hin zu negativen Kommentaren und respektloser Kritik. Geringschätzung, egal in welcher Form, belastet jede Beziehung. Diese Du-Botschaften sind Terroranschläge auf die Psyche des jeweiligen Opfers. Manche verstecken diese in Botschaften, die mit „Ich“ losgehen. Darum ist darauf zu achten, dass man keine negativen Urteile und Bewertungen der anderen Person in die Ich-Botschaften einbaut. Schließlich hätte der Gegenüber keine Chance, die ungeschickte Ich-Botschaft ohne Zwang zur Verteidigung, anzunehmen.
    Beispiel: „Es fällt mir schwer, meinen Teil der Arbeit pünktlich abzuliefern, sobald Du unvorhergesehen fehlst“.
  • Keine Schuldzuweisung formulieren
    Die Steigerung der negativen Bewertung sind Schuldzuweisungen. Der Normalfall ist, dass etwas nicht so klappt, wie es ursprünglich geplant war. In diesem Fall sind meistens externe und interne Einflüsse daran beteiligt. Die Aufgabe ist es, diese Schwierigkeiten zu erkennen und gemeinsam zu lösen. In dem Moment, wo es zu Schuldzuweisungen kommt, gibt die jeweilige Person vielleicht auf und möchte nur noch jeglichen Schaden von sich fernhalten. Dabei stecken die Ursachen immer in den Umständen und nicht in den beteiligten Personen. Eine Ich-Botschaft kann das wechselseitige Beschuldigen im Keim ersticken.
    Beispiel: „Ich bin unglücklich, dass ich dieses Problem nicht früher gesehen und darauf reagiert habe.“
  • Beziehung erhalten
    Eine wichtige Funktion der Ich-Botschaft ist die Erhaltung der bestehenden Beziehung. Durch Aggressivität wird das geschäftliche und private Verhältnis mit der anderen Person aufs Spiel gesetzt. Das Infragestellen der Beziehung ist riskant. Manchmal führt das allgemeine Lamentieren über die Vertragsverhältnisse oder bezüglich eines nicht greifbaren Problems zu einer Belastung der Beziehung. Ein guter Ausweg ist es, ab und zu die Zufriedenheit bezüglich der guten Zusammenarbeit anzusprechen, um so die positive Atmosphäre aufzufrischen.
    Beispiel: „Ich freue mich, dass wir es gemeinsam soweit gebracht haben.“
  • Klare Botschaften senden
    Unnötiger Ballast im Diskurs sind mehrdeutige Aussagen, die positiv und negativ ausgelegt werden können. Gemeinsame Inhalte haben bis zum finalen Wording häufig einen langen Weg zurückgelegt. Es sollte eigentlich alles klar sein. Trotzdem schleichen sich immer wieder inhaltliche Misstöne ein. Zur Vermeidung ist es sinnvoll bestimmte Sachverhalte immer wieder anzusprechen und dabei zu prüfen, ob das gemeinsame Verständnis noch besteht.
    Beispiel: „Für mich ist unser Ziel die Lösung dieses Problems.“

Fazit: Die Ich-Botschaft ist eines der wichtigsten Ausdrucksmittel. Dabei handelt es sich um Aussagen, die nicht nur mit „Ich“ beginnen. Es ist vielmehr eine positive Ich-Aussage, die die negative Eskalation der Gefühle bei den Beteiligten verhindert, beispielsweise während einer Diskussion oder eines Gesprächs. Die Grundlage bilden der Ausdruck der eigenen Befindlichkeit, die Vermeidung von negativen Bewertungen und Schuldzuweisungen, klare Botschaften sowie Aussagen, die die Beziehung erhalten. Dieser deeskalierende Kommunikationsstil erhält ein akzeptables Gesprächsklima sowie das Commitment der Beteiligten.