Grenzenlos heißt nicht ohne Grenzen

Wir bemerken oft nicht, dass wir unser Hierseins, das Wo-Sein, das Wann-Sein, das Wie-Sein, das Was-Sein klären müssen. Wir treffen Entscheidungen, ohne vorher die erkennbaren Grenzen zu bestimmen: wo, wann, wie, was – obwohl wir erst mit dieser Abgrenzung das Handlungsfeld festlegen. Am einfachsten wäre es, diesen Rahmen als einen Teil unserer Arbeitsweise zu begreifen. Ränder lassen sich auf vielfältige Arten bestimmen: die geographische Reichweite (z.B. Gebäude, Ort, Land, Kontinent, Welt); die zeitliche Dauer (z.B. von-bis wann); die zugehörigen Bereiche (z.B. Team, Abteilung, Firma); die vorhandenen Sprachen (z.B. Jargon, Landessprache); die kulturellen Felder (z.B. Mentalität, Gesellschaft, Kunst, Religion, Wirtschaft, Wissenschaft); etc. Ein abschließendes Etcetera, das alle noch nicht aufgeführten Grenzen umfasst, sollte verboten sein. Außer: Es wird schließlich aussagekräftig beschrieben. Die Umwelt ist der Rest der Welt, d.h. alles, was nicht zur Einflusssphäre gehört. Dieses Innere ist das Spielfeld, die Arena, der Schauplatz oder kurz das System. Es ist eine Ganzheit mit klaren Grenzen, die sich von der Umwelt unterscheidet, aus Teilen besteht, die wiederum Systeme sind, die durch ihre Beziehungen wirken und dem Ganzen ein Eigenleben ermöglichen.

Ein System lässt sich nicht analysieren, sondern verstehen. Es hört auf zu existieren, wenn die zerlegende Untersuchung seinen Zusammenhang und als Folge das Ganze in nicht mehr funktionierende Teile auflöst. Das Kennenlernen eines Systems baut auf dem ganzheitlichen Verständnis der Begrenztheit, der Teile und Beziehungen sowie dem resultierenden Eigenleben auf.

  • Begrenzte Ganzheit
    Die Teile und Beziehungen, die zusammen das Ganze und das Eigenleben erzeugen sowie der Unterschied, den das Ganze von der Umwelt unterscheidet, macht das System aus. Beispiele sind:
    Gaia, die Erde und die Gesamtheit alles Lebens ist das biologische System, das vom Universum abgegrenzt ist, Leben erzeugt und erhält, aus der Fauna, Flora und dem Rest besteht und unentwegt interagiert.
    – eine Gesellschaft (z.B. die Europäer), eine Gruppe von Leuten, die sich durch ihre Überzeugungen, Werte und Herkunft von anderen abgrenzen.
    – unsere Persönlichkeit, die im Verlaufe des Wahrnehmungskreislaufs Reize empfängt, die Gedanken auslösen und die mentalen Modelle erweitern, was zu Äußerungen und schließlich zu Handlungen führt. Am Ende finden wir unendlich viele Systeme, die sich überlappen. Ein Teil eines Systems ist dabei immer auch Bestandteil von beliebig viel anderen, was zu Spannungen zwischen den jeweiligen Gemeinsamkeiten führt. Wir sehen das an den vielen Rollen, die ein Mensch lebt: Vorgesetzter und Elternteil und Partner und Mitglied und Klimaaktivist und viele mehr. Auch wenn die Systeme klar abgegrenzt sind, ergibt sich aus der Überlappung die Notwendigkeit, das neue System auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners festzulegen – z.B. die lateinamerikanischen, republikanischen, Bildungsbürger der USA.
  • Teile
    Das Ganze besteht aus Teilen, die wiederum für sich genommen ein System bilden – in diesem Fall ist alles außerhalb des Teilsystems seine Umwelt. Diese Bausteine stehen mit anderen in Beziehung und erschaffen das eine oder mehrere übergeordnete Systeme. Sie definieren sich ebenfalls durch die Grenzen zu ihrer Umwelt. Die Komplexität der geschachtelten Systeme und die Geschwindigkeit der Wechselwirkungen machen die heutige VUKA-Welt
  • Beziehungen
    Wesentlich für ein System sind die Beziehungen zwischen seinen Teilen. Die sich ergebenden Abläufe übertragen Daten, Materie oder Energie. So werden die Bauteile zusammen mit einem Bauplan geliefert und mit einer elektrischen Maschine zu einer Komponente verbunden. Die Abläufe laufen ausgerichtet in bestimmte Richtungen oder wechselseitig hin und her. Erst die Beziehungen ermöglichen es einem System zu agieren und beispielsweise etwas Neues zu schaffen.
  • Eigenleben
    Wir reden erst von einem System, wenn es aus sich heraus ein Eigenleben führt. Dies bedeutet, dass es in der Lage ist, sich neu zu erschaffen oder sich am Leben zu halten. Die Fauna, zu der auch die Menschen gehören, ist in der Lage, sich fortzupflanzen, sich um das eigene Überleben zu kümmern und sogar neue Lebensformen im Laufe der Evolution zu erschaffen. Technische ‚Systeme‘ sind nach dieser Festlegung keine Systeme, da sie ohne Menschen, der sie mit Energie versorgt, ein- und ausschaltet sowie wartet nicht „lebensfähig“ sind.

Fazit: Ohne dass wir uns die Grenzen bewusst machen, laufen wir Gefahr von unbeabsichtigten Folgen. Gleichzeitig wird es nicht möglich sein, alle einschränkenden Grenzen vorab erkennen zu können. Aus diesem Grund müssen wir uns immer wieder darum bemühen, die Systemgrenzen zu erkennen. Was macht den Unterschied, der einen Unterschied zur Umwelt macht? Wie nimmt das System Einfluss auf unsere Aktionen? Welche Teile und Beziehungen sind zu berücksichtigen? In jedem Fall bedeutet die Tatsache, dass wir eine Grenze nicht sehen, nicht, dass es sie nicht gibt.