Ist die Globalisierung nicht mittlerweile vollzogen? Die Netzwerke der Wirtschaft und der Technik haben selbst entlegene Regionen erreicht. Die nächste Stufe wäre die Kosmolisierung – die Erhöhung der Reichweite ins Weltall. Die Besiedelung von Mond und Mars ist absehbar, wenn auch nicht in großem Ausmaß. Gleichzeitig erzeugen kleine Ereignisse in Macondo, Kolumbien, (z.B. der Flügelschlag eines Schmetterlings in Südamerika) große Auswirkungen in den Great Plains (Tornados in der Tornado Alley). Anders gesagt: Kleine Änderungen der Anfangsbedingungen führen zu unvorhersehbaren, möglicherweise enormen Effekten. Unsere Möglichkeiten zur Vorhersage sind beschränkt, weil die Welt aus vielen Bestandteilen, Beziehungen, Zuständen, Ursachen und Wirkungen besteht, die sich fortwährend ändern: neue kommen hinzu und alte fallen weg. Das mechanistische Weltbild hat uns vorgegaukelt, dass unser Lebensbereich ein kompliziertes Räderwerk ist, das wir mit geschickten Analysen begreifen, uns untertan machen und beherrschen können. Mittlerweile wissen wir, dass diese Vorstellung der Welt nicht gerecht wird. Die „Maschinerie“ ändert sich so schnell, dass wir sie in der verfügbaren Zeit weder verstehen noch bewusst auf sie antworten können. Diese neue dynamische Kompliziertheit nennen wir VUKA.
VUKA ist ein Akronym für das Wesen unserer unbeständigen Welt – Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Jeder Begriff beleuchtet einzelne Eigenschaften, die früher als kompliziert, chaotisch oder komplex bezeichnet wurden.
- Volatilität
Das gefühlte Tempo, mit der sich unsere Umgebung ändert, wird durch die Fortschritte der IT zusätzlich beschleunigt. Die Rechenleistungen, die Geschwindigkeit, mit der die Daten von A nach B gelangen und die allgegenwärtigen RFID-Transponder erzeugen einen unvorstellbar anwachsenden Datenstrom. Die Sachlage wird immer schneller aktualisiert und durch das World Wide Web (WWW) überall verfügbar. Die Daten haben sich bereits geändert, bevor sie bei den Anwendenden ankommen, geschweige denn verarbeitet werden. Denken wir an den Aktienmarkt, der mehr als vier Transaktion pro Millisekunde durchführt – das sind mehr als 136 Millionen Geschäfte am Tag. Menschen können diese Flut weder überblicken, noch bleibt ausreichend Zeit, um überlegt zu reagieren. Die so entstehende Kurzlebigkeit von Bedeutung, die Volatilität, erfordert neue Ansätze für den Umgang mit dieser scheinbaren Verfügbarkeit von Zahlen, Daten und Fakten (ZDF). Wir erhalten zwar aufschlussreiche Muster, die bei einer Entscheidung helfen. Allerdings werden gleichzeitig abweichende Sichten geliefert, die uns Lost-in-Info zurücklassen.
Einen Ausweg bietet die Mischung aus Systemdenken, Info-Literacy und Intuition. Mit einer klaren Beschreibung der gegenwärtigen Lage, langfristig gültigen Vorausschau, bekannten Anforderungen der Stakeholder, den gewünschten Ergebnissen und ausreichend verfügbaren Mitteln und Freiräumen können die lokalen Akteure bei der Umsetzung der Aufgaben angemessen vorgehen. - Unsicherheit
Es ist nicht nur die Datenmenge, die die Unternehmen flutet. Darüber hinaus sind die Daten redundant und dadurch inkonsistent. Trotz der Fülle fehlen meistens noch wesentliche Einzelheiten. Manches wird beschrieben und anderes weggelassen. Dies schafft eine trügerische Grauzone mit vielen Möglichkeiten, die aber nicht immer notwendig sind. In der Folge treffen abweichende Meinungen aufeinander, die verstärkt durch unterschiedliche Interessen ausdiskutiert werden müssen. In Zeiten des Übergangs wie bei der Einführung neuer Geschäfte lassen sich viele Zukünfte herleiten. Am Ende wird unter Unsicherheit entschieden.
Um das Beschließen zu vereinfachen, sind nachgiebige Grundsätze und Begründungen wünschenswert. Alle Beteiligten müssen sich von unsicheren oder unzeitgemäßen Logiken trennen und umdenken, um die vagen Aufgaben zu bewältigen – weg von vorgegebenen Ansätzen, hin zu einem Denken auf Grundlage von Wahrscheinlichkeiten und übergreifenden Blickwinkeln. Die neuen Denkmuster müssen allen Beteiligten in Schulungen beigebracht werden. - Komplexität
Die unvorstellbare Anzahl von Bestandteilen, Beziehungen, Zuständen, Ursachen und Wirkungen erzeugt eine dynamische Kompliziertheit, die wir Komplexität nennen. Allerdings verharren die Einzelteile nicht wie im mechanistischen Weltbild in einem stabilen Gefüge, sondern jedes verändert sich unentwegt in seiner Geschwindigkeit. Die jeweilige Lage lässt sich in der verfügbaren Zeit dadurch nicht abschließend beschreiben. Nehmen wir nur die Wechselwirkungen zwischen den Verkehrsteilnehmern – die Fußgänger, Fahrräder, Autos, Lkws, Busse, Straßenbahnen, Züge und Flugzeuge. Alle bewegen sich nach eigenen Regeln durch das engmaschige Verkehrsnetz. Bis der aktuelle Zustand erfasst ist, haben alle ihre Position bereits unvorhersehbar geändert. Da komplexe Sachverhalte nie offensichtlich und beschreibbar sind, flutet ein Tsunami von Daten unsere Aufmerksamkeit und bewirkt endlos verfehlte Vorhersagen.
Der Umgang mit Komplexität erfordert das Ausarbeiten und Erklären von vereinfachenden, stimmigen Modellen mithilfe von Überzeugungen, Geschäftsmodellen und Wegen in die Zukunft. Gleichzeitig braucht die komplexe Lage der Aufgaben entsprechende, vielfältige Fähigkeiten. Alle Beteiligten tragen durch aktives Ausprobieren zum Ausbau der Mittel und Wegen des Unternehmens bei. - Ambiguität
Die meisten Kulturen sind von uns nur noch einen Klick entfernt. Rivalisierende Überzeugungen und unterschiedliche Auslegungen treffen unvorbereitet aufeinander. Aussagen werden durch die eigenen Mindsets und den jeweiligen Kontext verfälscht. Mehrdeutige Hinweise erzeugen unweigerlich Missverständnisse. Trifft beispielsweise eine monochrones auf ein polychrones Mindset, belastet das die Zusammenarbeit – wenn einerseits der Wunsch nach Pünktlichkeit und andererseits ein lockererer Umgang mit Zeit beide Parteien stresst. Die Beschlüsse werden in heterogenen Gruppen auf der Grundlage von unterschiedlich ausgelegten Annahmen gefällt.
Es sind ausdrückliche Abklärungen nötig, um die Mehrdeutigkeit durch klare Erwartungen, Vereinbarungen und gemeinsame Begriffe auf einen Punkt zu bringen. Dazu gehören das Beschreiben des größeren Ganzen, die Klärung der Nomenklatur und die gemeinsame Sicht auf die jeweilige Lage. Sind die täglichen Routinen und Regeln allen verfügbar, dann entsteht ein gemeinsames Verständnis. Die Eindeutigkeit liegt im Auge der Betrachtenden und erfordert proaktiven, offenen Austausch der Meinungen über Ebenen und Silogrenzen hinweg.
Fazit: Die sich ausbreitende VUKA-Welt wird belastet durch die siebenplusminuszwei Chunks, die wir im Alltag verarbeiten können. Die überwältigende Komplexität, die sich unentwegt verändert, mehrdeutig und unzuverlässig ist, enttäuscht unsere Hoffnung auf einfache, verfügbare Ansätze. Trotz massiver IT-Unterstützung können wir die fehlenden Fähigkeiten, VUKA verarbeiten zu können, nicht ausgleichen. Im Gegenteil! Die zusätzlichen Inhalte, die helfen sollen, verstärken die VUKA-Welt. Den Gliederungen und detaillierten Auswertungen fehlt die Zeit, wirksam zu werden, da neue Unterschiede der kleinsten anfänglichen Parameter jederzeit auftreten und zu unabsehbaren Folgen führen. Das Mindset der Beteiligten in einer VUKA-Welt braucht die Theorie Y von McGregor. Es wird erweitert um das Denken in Systemen sowie Gestaltungs-, Kommunikations- und Koordinationsfähigkeiten mit mehr Raum für Intuition. Last, but not least braucht die VUKA-Welt mehr denn je die geschickte Aufbereitung von Daten. Allerdings liefert Software keine Antworten mehr, sondern nur Grundlagen für bedarfsorientierte Entscheidungen. Wir benötigen neue Ansätze für unser Tun, denn es gibt keinen Weg zurück zu einem einfachen Wenn-Dann. Die Welt ist heute VUKA.