Schlagwort-Archive: Bilder

Ein Bild sagt mehr als tausend (manchmal falsche) Worte

Über die Zeit haben wir die Überzeugung entwickelt „Sehen heißt glauben”. Dies bedeutet, dass man an die Existenz oder Wahrheit von etwas glaubt, das man mit eigenen Augen gesehen hat. Manche sind bereits überzeugt, wenn sie das Gesehene aus zweiter Hand erfahren. Bilder sind ein wirksamer Weg eine Botschaft zu vermitteln. Es gibt Felszeichnungen, die bereits vor dreißigtausend Jahren die bildliche Darstellung eingesetzt haben. Mit der Zeit wurden die Darstellungen immer realistischer. Heute können wir sogar durch bewegte Bilder mit Originalton und in Echtzeit, am Geschehen teilhaben. Die Bilder gelten als Beweis. Dabei vergessen viele, dass das zweidimensionale Medium des Bildes durch seinen Blickwinkel, seinen Rahmen und den Zeitpunkt der Aufnahme, die Wirklichkeit verzerrt. Die Folge ist, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte – manchmal sogar falsche.

Bildsagtmehralstausendworte

Im Zuge der Ukrainekrise wurden, bei einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Barack Obama, die oben skizzierten Aufnahmen gemacht. Anschließend erschienen in verschiedenen Zeitungen unterschiedliche Aufnahmen des Treffens. Noch vertrauen wir den Journalisten als der letzten Bastion der Sachlichkeit. Der Journalistenethos, stets objektive Wahrheiten zu verbreiten, sollte eigentlich zu verlässlichen Nachrichten führen. Vergessen wir die Sonderfälle der kontrollierten, nicht-militärischen Kriegsberichterstatter (sogenannte embedded Journalists) und der quasi-staatlichen Presse, da es sich dabei um offensichtliche Propaganda handelt. Der damit verbundene Versuch der Geschichtsklitterei begann schon bei Cäsar, reichte über Karl den Großen und die Diktaturen des 20. Jahrhunderts bis heute.

Konzentrieren wir uns auf seriösen Journalismus, der nach bestem Wissen und Gewissen Nachrichten verbreitet. Um eine Grenze definieren zu können, gibt es einige unverbindliche Regeln.

  • Einerseits sollten Nachrichten von mindestens zwei unabhängigen Quellen bestätigt werden.
  • Andererseits sollte die Ausgewogenheit dadurch gewährt sein, dass über beide Seiten eines Konflikts berichtet wird.

Es gibt eine Vielzahl weiterer Punkte hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Pressekodex .

Ein Bild kann die beiden Regeln nicht erfüllen.

  • Einerseits ist ein Bild natürlicherweise aus einer Quelle, nämlich der Kamera.
  • Andererseits repräsentiert das Bild nur EINEN Ausschnitt der Wirklichkeit, der üblicherweise nur den Bruchteil einer Sekunde darstellt.

Damit ist ein Bild immer einseitig und unausgewogen.

Wenn wir jetzt die Scribbles anschauen, dann sehen wir vier Bilder des gleichen Treffens, die innerhalb weniger Minuten aufgenommen wurden. Jedes Bild erzeugt einen anderen Eindruck. Aus welchen Gründen wird ein Bild für eine Veröffentlichung ausgewählt? Betrachten wir den Ablauf, von der Aufnahme bis zur Publikation, treffen wir auf mehrere Filter.

  1. Aufnahme
    Photographen sind die ersten Filter. Sie entscheiden über den Blickwinkel, den Ausschnitt und den Moment der Aufnahme. In der Regel fotografieren sie innerhalb kurzer Zeit mehrere Photos. Anschließend wählen sie aus den gemachten Bildern die aus, die den technischen Anforderungen entsprechen – die geforderte Schärfe und Helligkeit. Zusätzlich wählen sie Bilder mit normaler Gestik und Mimik. Am Ende landen die oben skizzierten Bilder bei den Agenturen oder Medien.
  2. Vertrieb
    Eine Agentur ist ein Vermittler für Bilder und Nachrichten, z.B. Reuters, Deutsche Presse Agentur, ITAR-TASS. Sie kaufen die Photos und bieten sie zusammen mit der Agenturmeldung an. Die Agentur gilt als eine offizielle Quelle für die Medien. Bringen zwei Agenturen dieselbe Nachricht, ist die erste Regel erfüllt. Es macht die Meldung zu einer zuverlässigen Nachricht. Die Auswahlkriterien für die Bilder lassen sich dabei nur schwer nachvollziehen. In jedem Fall reduziert die Auswahl des Bildes die Nachricht auf einen bestimmten Blickwinkel.
  3. Publikation
    Die Redaktionen der Medien (Print, Online, TV) hatten früher ihre eigenen Reporter. Dadurch konnten sie sich von den anderen Medien abgrenzen. Heute gibt es nur noch selten fest angestellte Photoreporter. Meistens werden die Photos direkt beim selbstständigen Photographen oder bei einer Agentur gekauft. Der Vorteil einer Agentur ist die Bündelung des Bildes mit der Pressemitteilung. Aus Kostengründen werden nur die Bilder gekauft, die schließlich veröffentlicht werden sollen. Der Redakteur bestimmt durch die Auswahl der Bilder den „Beweis“ für seinen Artikel.

Am Ende entscheidet der Betrachter über seinen Eindruck. Betrachten Sie jetzt die obigen Skizzen und überlegen Sie, welches Bild Sie kaufen würden!

Zu dem besagten Treffen, vom 9.2.2015, wurden in verschiedenen Veröffentlichungen verschiedene Bilder genutzt. Welchen Eindruck erwecken die einzelnen Bilder? Links oben? Links unten? Rechts oben? Rechts unten? Und wie war die tatsächliche Atmosphäre des Treffens? Wer kann das schon wissen.
In jedem Fall entscheiden die Medien durch die Auswahl über den Eindruck, der bei den Betrachtern entsteht. Ein Bild sagt eben mehr als tausend Worte, die nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen.

Fazit: Die Zeiten von „Sehen heißt glauben“ sind wohl vorbei. Von jedem Ereignis gibt es eine beliebige Menge an Bildern, die nichts über das tatsächliche Geschehen aussagen . Selbst verwackelte Aufnahmen von Mobiltelefonen werden heute genutzt, um der Öffentlichkeit eine Botschaft zu vermitteln, die durch die beiden Regeln nicht sichergestellt werden. Es bleibt uns nichts übrig als kritisch mit diesen „Beweisen“ umzugehen und stets die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass die Nachricht falsch ist – egal ob wir vorsätzlich manipuliert werden oder nicht.

P.S.: Erinnern Sie sich an das gestellte Politikerphoto der Charlie-Hebdo-Demonstration?

Nicht anprangern – Erinnern!

Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Gute Fragen, um einen Sachverhalt zu erfassen. Veröffentlichungen werden immer mehr auseinandergenommen. Aus diesem Grund vermeiden viele, direkt zu kritisieren, um sich nicht selbst der Kritik auszusetzen. Es ist auch nicht mehr nötig zu verurteilen, da es genügt, das Thema zu erwähnen. Unsere eingeübten Bewertungen führen dann automatisch zu einer kollektiven Verurteilung – ohne direkt anzuprangern, sondern durch einfaches erinnern.

Erinnern

Eine geschickte Erinnerungskultur kann genutzt werden, um das Stigma einer sozialen Gruppe im Bewusstsein der Gesellschaft wach zu halten, aufzufrischen oder neu aufzubauen. Beispiele finden sich überall. So hält Japan jedes Jahr am 6. August in Hiroshima und am 9. August in Nagasaki die Erinnerungen an die Atombomben wach, die 1945 von den USA auf Japan abgeworfen wurden. Oder denken wir an die westlichen Medien, die die Erinnerung an den Zwischenfall vom 4. Juni 1989 am Platz des Himmlischen Friedens in Peking regelmäßig unter dem Titel Tian‘anmen-Massaker auffrischen. Oder die Rede von Präsident Obama am 24.7.2008, an der Siegessäule in Berlin, in der er den Geist des Kalten Krieges wieder neu aufgebaut hat *1.

Der Vorwurf steckt sozusagen in dem entsprechenden Erinnerungsritual – Veröffentlichungen, Reportagen, Veranstaltungen und ähnliches. Besonders wirkungsvoll sind dabei die folgenden Elemente.

  • Schlagworte
    Dabei handelt es sich um Begriffe, die mit einer emotionalen und wertenden Bedeutung bestimmte Assoziationen bei der Zielgruppe auslösen, z.B. Linke und Rechte, Freiheitskämpfer und Terrorist, Kapitalismus.
  • Bilder
    Die Mediengesellschaft hat eine Unmenge von Bildern im kollektiven Gedächtnis verankert, z.B. Abu-Ghuraib, der flüchtende Volkspolizist an der Berliner Mauer, der Chinese, der mit Einkauftüten sich am Platz des himmlischen Friedens den Panzern in den Weg stellt (s. Bild oben).
  • Zeitzeugen
    Die Aussagen, mit denen sich Zeitzeugen nach vielen Jahren an Ereignisse erinnern.
  • Vergleiche
    Der Vergleich aktueller Ereignisse mit historischen Geschehnissen liefert gleichzeitig eine Einschätzung der aktuellen Situation. Beispielsweise im Jahr 2014 der Vergleich zwischen dem Beginn des ersten Weltkriegs und den aktuellen politischen Situationen in der Welt.

Die Erinnerung hält die Bedeutung an Sachverhalte, Geschehnisse und emotionale Erlebnisse wach. Auch wenn die Situation sich überlebt hat, bleiben damit alte Gefühle erhalten. Einerseits kann es dazu beitragen, dass ähnliche Dinge nie wieder geschehen. Andererseits verpasst man die Chance des Vergessens und Vergebens und alte Abneigungen bleiben über lange Zeit erhalten.

Fazit: Direkt kritisieren, beschuldigen, brandmarken und verurteilen ist die Ultima Ratio, um Missstände anzuprangern. Der subtilere Weg geht über das Gedenken. Das hält den einstigen Missstand wach und die ursprüngliche Emotion aktiv, ohne dass man durch die Nutzung von aktiver Kritik selbst angreifbar wird.

*1 „In diesem Jahrhundert – in dieser Stadt aller Städte – müssen wir die Geisteshaltung des Kalten Krieges verwerfen, uns von der Vergangenheit lösen und entschließen, mit Russland zusammen zu arbeiten, wenn wir können, aufzustehen für unsere Werte, wenn wir müssen und nach einer Partnerschaft suchen, die sich über den gesamten Kontinent erstreckt.“ 24.7.2008