Archiv der Kategorie: Vernetztes Denken

In diesem Bereich geht es um systemisches Denken, Chaos und Komplexität.

Einseitig schlussfolgern

So wie es im Großen schief läuft, beispielsweise bei dem Berliner Flughafen oder der Elbphilharmonie, läuft jedes Projekt Gefahr, die gesetzten Rahmen zu überziehen. Die Steuerung von Projekten ist aufgrund der vielen Einflussnehmenden, den selten festgelegten Machtstrukturen und den ungenauen Vorgaben stets ein Vabanquespiel, das auf den Schultern der Projektleitenden stattfindet. Sie verfügen zwar über das Mandat das Steuer in der Hand zu halten, aber der Lenkwinkel ist durch die unterschiedlichen und sogar sich widersprechenden Anliegen der Stakeholder sehr eingeschränkt. Am Ende sind die Projektleiter der ausführende, verlängerte Arm der Auftraggebenden, die bei wesentlichen Entscheidungen mikromanagen. Die größte Belastung sind vor allem die unscharfen Anforderungen, die sich über die Zeit immer wieder ändern. Um die Steuerung der Initiative zu vereinfachen, bemühen sich die Verantwortlichen jedoch nicht um die Ermittlung und Berücksichtigung der wesentlichen Faktoren. Sie schlussfolgern auf der Grundlage der einseitigen Kontingenz*.

*„Kontingent ist etwas, was weder notwendig noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (zu Erfahrendes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen.“
(siehe Soziale Systeme, Niklas Luhmann)

Einseitig wird die Lagebeschreibung, wenn nur eine Ursache und eine Folge betrachtet werden. Es ist zwar unmöglich, ALLE Einflüsse und Auswirkungen zu ermitteln, aber das scheuklappenartige Ausblenden von benachbarten Möglichkeiten führt unweigerlich zu Verzögerungen und anderen Nachteilen. Bei der Überwindung der eingeschränkten Blickwinkel helfen die folgenden Punkte.

  • Maslowschen Hammer überwinden
    Mit der wachsenden Arbeitsteilung hat sich das Gesetz des Instruments herausgebildet – i.e., wenn jemand einen Hammer hat, sieht alles aus wie ein Nagel. Beim Blick auf ein Projekt sieht der Finanzer nur die monetären, der Einkäufer die beschaffungs- und die Personaler die personalseitigen Aspekte. Die Entscheidenden haben das Ganze im Blick. Allerdings sind auch sie von ihren persönlichen Schwerpunkten getrieben – z.B. Einsparungen zu erwirtschaften, Reputation aufzubauen, stressfrei durch die Woche zu kommen. Beim Überwinden des eigenen Bias unterstützt das Mindset Alles ist möglich. Um die gegebenen Möglichkeiten zu finden, hilft es, Selbstverständliches loszulassen, vorhandene Strukturen infrage zu stellen und grenzenlos zu denken.
  • Den Brennpunkt beschreiben
    Ausgangspunkt für die Betrachtung ist die druckbare Situationsbeschreibung. Es empfiehlt sich dabei immer, ein Thema ins Auge zu fassen, da ansonsten die Lösung verwässert oder sogar verunmöglicht wird. Steht beispielsweise die Verzögerung eines Projektes im Mittelpunkt, dann bringt die generalisierte Diskussion der Defizite in der Projektarbeit nichts.
    Neben den sachlichen Punkten (i.e. Wo passiert, Was, Wann, Wie und Wer ist beteiligt) erkennen wir an den Absichten der Stakeholder, die unterschiedliche Einflüsse auf das Geschehen haben, was überwacht werden muss. Mit ihrer Beschreibung zeigen die Projektleitenden ihre Befindlichkeiten durch die Formulierungen und Schwerpunkte – z.B. was ist ihnen wichtig; was gefällt ihnen nicht; was brauchen sie.
  • Ursachen verstehen, nicht analysieren
    Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Sachlage sich aus einer einzigen Ursache ergibt, ist gering. Meistens sind mehrere Umstände beteiligt. Allerdings bedingt das Gesetz des Instruments, dass die Ursachen nur im eigenen Bereich gesucht werden. Obwohl diese Beschränkungen den neutralen Beobachtenden klar ist, sind die Entscheidenden getrieben durch die Notwendigkeit, Situationen zu beherrschen. Das geht am besten, wenn man von einer monokausalen Lage ausgeht. Dabei schafft die Lösung einer Ursache das Problem nicht aus der Welt.
    Auch wenn nicht alle Ursachen erkennbar sein werden, ist es wichtig, den Blick über den Tellerrand zu wagen, da die benachbarten Ursachen zu den Schwierigkeiten beitragen. Einerseits empfiehlt sich der Blick durch die Bereichsbrillen: z.B. Entwicklung, Beschaffung, Produktion und Vertrieb sowie z.B. Personal, Buchhaltung, IT. Andererseits liefert die Berücksichtigung der Einflüsse der Technologie, Kultur, Organisation und Wirtschaft zusätzliche Hebelpunkte zur Klärung. In jedem Fall gilt, dass Sie die einzelnen Bereiche nicht analysieren, d.h. detailliert unter die Lupe legen. Es reicht, die Ursachen zu verstehen.
  • Folgen antizipieren, nicht durchdeklinieren
    Aufgrund der betroffenen Bereiche und den verschiedenen Stakeholdern sind immer mehrere Folgen zu erwarten. Da die tatsächlichen Effekte jedoch erst in der Zukunft zutage treten, können wir nur erahnen, welche Auswirkungen sich ergeben. Auch hier greift wieder der Maslowsche Hammer, der dazu führt, dass wir nur Auswirkungen im eigenen Einflussgebiet sehen – z.B. der Finanzer findet eben nur monetäre Vor- und Nachteile.
    Da die Zukunft sich erst später manifestiert, macht es keinen Sinn, ungelegte Eier im Detail auszuarbeiten. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, die benachbarten Folgen zu antizipieren. Um auf wesentliche Zukünfte reagieren zu können, entwickeln wir Szenarien mit möglichen kommenden Gegebenheiten. Diese alternativen Entwürfe der Zukunft machen beispielsweise Aussagen zu Unternehmen, Menschen, der Geschäftsentwicklung, verfügbaren Technologien, der Entwicklung der Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Auch hier geht es nicht um detailreiche Beschreibungen, sondern um die Vorwegnahme der benachbarten Folgen, um sie nicht zu übersehen.

Fazit: Die entscheidende Botschaft dieses Beitrags ist es, auf einen schwierigen Fall mit multi-kausalen Lösungen zu reagieren, die die bestehenden Möglichkeiten ausnutzen. Wir haben es nie mit einfachen Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu tun. Unsere Wahrnehmung ist mit dem Maslowschen Hammer eine zusätzliche Bürde, die verhindert, dass wir mehr sehen, als wir normalerweise beherrschen. Eine verwickelte Situation hat immer mehrere Ursachen und erzeugt viele Folgen, die wir nicht vor Augen haben. Einseitig zu schlussfolgern, bietet keine Ansätze, sondern schafft Auslöser für Folgeprobleme.

Der Preis der isolierten Einzellösung

Eine Folge des Informationszeitalters ist die unfassbare Datenmenge im Internet von über 33 Zettabytes –

33 000 000 000 000 000 000 000 Bytes.

Mit ca. 20 E-Mails pro Berufstätigen bemühen sich die Verantwortlichen, ihre Kosten zu senken. Zur Speicherung braucht es entsprechende Hard- und Software, Infrastruktur und Strom sowie entsprechendes Personal. Ein häufiges Mittel ist die Beschränkung der Größe der einzelnen E-Mail-Postfächer und die Verlagerung der Verwaltung dieses Engpasses durch die Mitarbeiter. Damit werden die bisher routinierten Fachleute durch eine Flut von „Amateuradministratoren“ ersetzt, d.h. in Summe alle Mitarbeiter des Unternehmens. Diese isolierte Einzellösung des IT-Bereichs kostet die Unternehmen ein Vielfaches dessen, was die Maßnahme im IT-Bereich spart.

Auf Basis dieses Beispiels betrachten wir die Folgen einer reduktionistischen Herangehensweise, die die unabgestimmte Bearbeitung von Teilen bevorzugt und vorhersehbar zu unbeabsichtigten Konsequenzen führen muss, die dem Unternehmen als Ganzes schaden. So einfach die Gründe sind, so leicht werden sie übersehen.

  • Das Einzelteil liefert keine Hinweise auf das Big Picture
    Durch die Untersuchung eines Legosteins erhalten wir Daten bezüglich seiner Farbe, Größe und der Anzahl von Anschlüssen. Der einzelne Stein sagt uns jedoch nichts über seine Funktion am Einsatzort oder den Zweck, die Größe oder Komplexität des Zusammenbaus. Unternehmen versuchen das Defizit ihrer Arbeitsteilung, durch entsprechende Strategie- und Kulturmaßnahmen zu beheben, die die Führung vorgibt. In dem obigen Beispiel stehen die für sich genommenen Kosten des Betriebs der E-Mail, den Folgen für das Unternehmen gegenüber – überlaufende E-Mailkonten; die Zeit zur sporadischen Verwaltung eines jeden Email-Postfachs durch alle Anwender; Zeitverzögerungen durch blockierte Postfächer; unzufriedene Ansprechpartner.
  • Die Maßnahmen beschränken sich auf den Betrachtungsgegenstand
    Die auf den einzelnen Stein begrenzte Aktivität verringert die Komplexität und vereinfacht durch die fehlende Beachtung der betroffenen Umwelt die Bearbeitung. Die Prüfung des Ergebnisses erfolgt mit entsprechenden Testfällen. Die vielfältigen Anwendungsfälle lassen sich dabei jedoch nur eingeschränkt nachbilden. Am Ende steht das Bruchstück, von dem man annimmt, dass es für sich genommen seinen Zweck erfüllt. In Unternehmen haben sich arbeitsteilige Vorgehen über Jahre bewährt. Die Schnittstellen zu anderen Bereichen werden als bekannt vorausgesetzt und entsprechend in Geschäftsabläufen und Projekten berücksichtigt. Eine Abteilung verfolgt bei der Versorgung der nachgelagerten Bereiche das Ziel, so wenig wie möglich zu liefern. Gleichzeitig erwartet sie für den Fall der Fälle mehr, als für einzelne Vorgänge unbedingt benötigt wird. Die fehlende Gesamtschau verhindert den sinnvollen Austausch. In unserem Beispiel führt dies zu verspäteten, unvollständigen oder schlicht falschen Sicherungen der Emailinhalte, was immense Zusatzaufwände für das Suchen und Wiederherstellen der Daten bei allen Mitarbeitern erzeugt.
  • Die möglichen Synergien sind systembedingt unsichtbar
    Ein Bereich definiert seinen Handlungsspielraum und die erforderlichen Schnittstellen aufgrund seiner Funktion. In diesem Rahmen stehen die eigenen Ziele an oberster Stelle. Engagement für darüber hinausgehende Ziele erhöht den eigenen Aufwand ohne absehbare Würdigung. Es entstehen sogar spürbare Nachteile, wenn in der Folge die eigenen Ziele verfehlt werden. Aus nachvollziehbarem Eigeninteresse konzentrieren sich die Bereiche deshalb nur auf die eigenen Belange. Die unbeabsichtigten Folgen für das Unternehmen, die sich aus dem Zusammenspiel ergeben, werden dabei ausgeblendet, da sie außerhalb der eigenen Reichweite liegen. Das Gesamtergebnis des Unternehmens fällt dadurch schlechter aus. Den gesenkten IT-Kosten für die E-Mails steht am Ende die gesunkene Produktivität der Mitarbeiter gegenüber. Einerseits weil sie ihre eigentlichen Aufgaben während dieser Zeit nicht ausüben können. Andererseits können sie aufgrund der sporadischen Verpflichtung keine Routine entwickeln. Nicht zu vergessen die Nachteile, die entstehen, nachdem das E-Mail-Postfach übergelaufen ist – das Absenden von E-Mails verzögert sich; eingehende E-Mails werden nicht mehr angenommen und müssen erneut gesendet werden.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile bedeutet nicht, dass isolierte Ergebnisse automatisch Mehr Wert ergeben. Die Bereiche erzeugen Ergebnisse, die entweder unterschiedlichen Interessen zuwiderlaufen oder die eigenen bzw. die Beiträge der anderen außer Kraft setzen. Erst wenn holistisch gearbeitet wird, besteht die Chance für mehr. Auch wenn die Nachteile des Silodenkens bereits erkannt sind und durch übergreifendes Prozessmanagement ersetzt werden, müssen immer noch die, wenn auch wesentlich geringeren, Übergabepunkte zwischen den Tunnelröhren betrieben werden. Um die weiterhin bestehenden Blind-Spots zwischen den Zuständigkeiten zu verhindern, sind neue Wege der Synergie erforderlich. Das Befreite Unternehmen, das auf Basis eines positiven Menschenbilds die Steuerung an die Mitarbeiter übergibt, ist ein denkbarer Ansatz, um die weiter zunehmende Komplexität zu meistern.

Fazit: Ein Unternehmen ist heute ein engmaschiges Netz von Aktivitäten, das sensibel auf kleinste Veränderungen reagiert. Gleichzeitig haben die Firmen es noch nicht geschafft, sich von klassischen Strukturen zu lösen. Die Folge ist ein Zielkonflikt zwischen den Absichten des Unternehmens und seinen „Sub-Unternehmen“, den Bereichen, Abteilungen und Teams. Die Silo- und Tunnelwände passen nicht mehr in diese schnelllebige Ära. Preis der abgekapselten Einzellösungen, denen der Bezug zum Ganzen fehlt, die sich nur um die eigenen Baustellen kümmern und die mögliche Synergien nicht berücksichtigen, sind die sich daraus ergebenden Nachteile, die das Risiko erhöhen und dem Ganzen schaden, sowie verpasste Vorteile, die sich aus einem gemeinsamen Vorgehen ergeben würden.