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Die Wirkung einer Grenze

Grenzen umrahmen Gebiete mit natürlichen oder menschgemachten Barrieren wie Flüssen, Bergen, Schlagbäumen, Zäunen oder Mauern. Zusätzlich finden sich abstrakte Grenzen in unseren Köpfen – zwischen uns und anderen, zwischen Fachgebieten, Kulturen und sonstigen Vorstellungen. Diese Grenzen stiften Identität, indem Gemeinsamkeiten einer Gruppe z.B. Sprache oder Weltbild, sich von denen anderer abgrenzen. Die gemeinsamen Werte und die gegenseitige Verbundenheit vermitteln Vertrauen und Sicherheit. Gleichzeitig werden durch die Abgrenzungen Zuständigkeiten abgesteckt. Innerhalb des umrahmten Gebiets sind die Aufgaben, Befugnisse und Verantwortlichkeiten klar geregelt. Am Ende liegen die Grenzen oder besser die angenommenen Begrenzungen im Auge des Betrachters. Alle legen ihre Einflusssphäre fest. Um über eine einvernehmliche Grenze zu verfügen, müssen alle Betroffenen ihr Verständnis offenlegen und einen gemeinsamen Rahmen setzen.

Egal, ob ein Grenzverlauf von innen oder außen betrachtet wird, bekannt oder akzeptiert oder vereinbart ist, wirkt er sich auf vielfältige Weise aus. Ein Bereich wird durch einen unpassierbaren, einseitig oder wechselseitig durchlässigen Rand ab-, ein- und ausgegrenzt.

  • Abgrenzen
    Die Natur trennt mit dem Strand das Land vom Meer, mit dem Fluss, das diesseitige vom jenseitigen Ufer und mit dem Berg das eine vom anderen Tal. Sobald Menschen Grenzen ziehen, brauchen sie eine ausführliche Beschreibung, um von allen gleich ausgelegt zu werden. Wissenschaften grenzen sich voneinander durch unterschiedliche Jargons ab. Arbeitsgebiete werden durch verschiedene Absichten, Tätigkeiten und Ergebnisse unterschieden. Je beliebiger die Grenzen gezogen werden, desto diffuser sind die Auslegungen, was zu einem Gebiet gehört oder nicht. Das fest umrissene Gebiet schafft Klarheit.
  • Eingrenzen
    Das Setzen von Grenzen legt Bereiche fest, die zusammengehören. Alles und alle innerhalb eines Gebietes werden durch die jeweiligen Gemeinsamkeiten zusammengehalten. Hier wird eine einheitliche Sprache gesprochen, die ein bestimmtes Denken mit sich bringt, es gelten vereinbarte Regeln und die Bewohner fühlen sich daheim. Damit wird die Reichweite vorgegeben und alles außerhalb dieser Umfriedung ist die Außenwelt – ohne in zusätzlich begrenzte Bereiche zu unterscheiden. Länder, Religionen oder Kulturkreise setzen weite Rahmen, sodass sie über viele Freiräume verfügen, wodurch diese Eingrenzungen nicht als Beschränkungen empfunden werden.
  • Ausgrenzen
    Sobald ein Rand gezogen ist, verfügt man über ein eingegrenztes Gebiet, das gleichzeitig eine Außenwelt ausgrenzt. Diese Umgebung besteht überwiegend aus nicht unterscheidbaren Bereichen, die als befremdlich, d.h. nicht zu einem gehörend aufgefasst werden. Der Ausschluss der Umwelt festigt den inneren Zusammenhalt und schützt vor fremden Einflüssen und Gefahren. Nicht nur Nationalismus und Rassismus, sondern auch Silodenken und Bereichsegoismen in Unternehmen nutzen Ängste und Generalisierungen, um das Fremde auszugrenzen und dadurch die eigene Identität zu stärken.
  • Unpassierbar
    North Sentinel Island ist ein verbotenes Eiland, das völlig von der Außenwelt abgeschirmt ist. Ein Missionar, der die Insel betrat, wurde als Unerwünschter getötet. Unüberwindbare Grenzen führen zu Konflikten und Unverständnis. Findet kein Austausch mit der Umwelt statt, dann entstehen Mythen und Fake-News. Japan und China waren über Jahrhunderte von dem Rest der Welt abgeschottet, was zu einer Unterbrechung der Entwicklung geführt hat, die schließlich auf Druck von außen aufgelöst wurde. Allerdings wirkt das bis heute in dem besonderen Umgang mit Ausländern nach – wenn verantwortliche Berufe in Japan (z.B. die Leitung eines Pflegeteams) von der dritten Generation von Einwanderern noch nicht ausgeübt werden dürfen. Die Globalisierung hat die wirtschaftlichen und kulturellen Grenzen aufgelöst. Um auszugrenzen werden neue Sperren hochgezogen – administrative und gesetzliche Regelungen sowie Werte und Verhaltensnormen sollen das eigene System schützen, wodurch neue, unpassierbare Barrieren entstehen.
  • Einseitig durchlässig
    Um das eigene Geschäft zu stärken, besteht ein starkes Interesse, die eigenen Leistungen an das Umfeld zu verkaufen – ohne jedoch die Angebote der Umwelt in den eigenen Markt zu lassen. Auf diese Weise wächst die eigene Wirtschaft auf Kosten der Anderen. Zusätzlich schaffen Landessprachen und Gewohnheiten unüberwindliche Hürden. So können japanische und chinesische Manager sich mit ihren Englischkenntnissen im Ausland informieren. Gleichzeitig haben die meisten Ausländer wenig Chancen, japanische oder chinesische Quellen zu nutzen, weil es schwer ist, die Sachverhalte auch mit viel Lernfleiß verstehen zu können. Einseitig durchlässige Grenzen verunmöglichen Win-Win-Vereinbarungen.
  • Wechselseitig durchlässig
    Die Globalisierung wurde erst möglich, nachdem die Grenzen in beiden Richtungen durchlässig wurden. Der wechselseitige Zugang von und nach innen und außen bedeutet dabei nicht, dass darüber hinaus Abmachungen geschlossen und gemeinsame Regeln aufgesetzt werden müssen. Durch Vereinbarungen entstehen so Gebiete, die sich von der verbleibenden Umwelt abgrenzen. Dabei gilt, wie bei allen sonstigen Eingrenzungen, dass die gemeinsame Identität geschaffen werden muss. Derzeit schwingt das Pendel wieder zur Nationalstaaterei zurück, da die Effekte abgeschöpft sind und sich jetzt durch den weltweiten Wettstreit um Ressourcen und Marktanteile für manche Regionen nachteilig auswirken – wenn beispielsweise die USA ihre Produkte kostengünstig auf anderen Kontinenten herstellen lassen und dadurch ihre Arbeitskräfte leer ausgehen.

Fazit: Grenzen bestimmen die Reichweite von Gesetzen und Regeln, Wertesystemen, Sprachen, Zuständigkeiten und Einflussgebieten etc. Manche Barrieren ergeben sich aus natürlichen Gegebenheiten wie beispielsweise Flüssen und Bergen. Andere werden künstlich festgelegt, wie z.B. Grenzen von Ländern, Glaubens- und Wertesystemen, Unternehmensbereichen. Allen gemeinsam ist, dass sie abgrenzen, eingrenzen und ausgrenzen sowie unpassierbar, einseitig oder wechselseitig durchlässig sind. Vor allem die künstlichen Grenzen brauchen klare Vereinbarungen, wo sie verlaufen, was dazu gehört und was nicht. So wie sich Gesellschaften in Einzelwesen, Familien, Bezirke, Orte, Regionen, Länder und Kontinente einteilen lassen, finden sich Eingrenzungen in jeder erdenklichen Größe. Im Alltag ist es von Vorteil, diese Wirkungsweisen einer Grenze zu verstehen und nutzen zu können.

Mehr gibt’s nicht

Am 24. Dezember 1968 veränderte ein Photo, das William Anders während der Umrundung des Mondes mit Apollo 8 aufnahm, das Selbstverständnis der Welt. Durch diesen ungewöhnlichen Wechsel der Perspektive wurde der Menschheit mit einem Schlag vorgeführt, wie endlich unsere Lebenswelt ist. Gleichzeitig ermöglichten es Computer, Simulationen durchzuführen, die die Entwicklung der Welt vorwegnahmen. Die Studie Die Grenzen des Wachstums erschien 1972 und sagte das Erreichen der absoluten Wachstumsgrenzen bezüglich Weltbevölkerung, Industrialisierung, Umweltverschmutzung und Nahrungsmittelproduktion bis 2072 voraus. Zur gleichen Zeit kam die Gaia-Hypothese auf, die die Erde als einen sich selbst regelnden Organismus betrachtet, der sich bei Bedarf gegen seine Zerstörung zur Wehr setzt. Unabhängig welche Vorstellung wir haben, sollten wir uns bewusst sein, dass wir uns auf dem einzigen für uns erreichbaren Planeten befinden. Alles, was hier passiert, passiert immer früher oder später allen.

In Anbetracht dieser Vernetzung ist es schwer verständlich, dass manche immer noch meinen sie wären nicht von den grundsätzlichen Entwicklungen betroffen.

  • Gemeinsame Atmosphäre
    Ohne die Lufthülle, die die Erde umschließt, gäbe es kein Leben auf der Erde. Das Zusammenspiel von Fauna und Flora ist entscheidend für die 80% Stickstoff und 20% Sauerstoff. Natürliche chemische und physiologische Prozesse halten das lebensnotwendige Gleichgewicht. Manche scheinen zu denken, dass die Grenzen ihres Landes auch für den Luftraum gelten und sie nicht Teil des Problems sind.
    Die Erde ist jedoch ein geschlossenes System, in dem auf den ersten Blick Probleme von der linken in die rechte Tasche geschoben werden – ohne zu bemerken, dass man die Nachteile nicht wirklich loswird.
  • Gemeinsames Wasser
    Wir verfügen über 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser auf der Erde – 97% Salzwasser, weniger als 1% des Süßwassers im Grundwasser und davon drei Tausendstel im Oberflächenwasser. Das Leben auf Gaia lebt von dem Süßwasser. Diese Ressourcen zu verunreinigen schadet allen, auch den Verschmutzern.
    Damit wir auch morgen noch die benötigten Mengen an Süßwasser haben, müssen wir uns selbst darum kümmern, d.h. nicht zu Gunsten von einer Handvoll Dollars diese Ressource mit Nitrat aus Düngemitteln, Mikroplastik, Öl, Medikamenten und Fracking zu zerstören.
  • Gemeinsame Rohstoffe
    Wir sitzen auf endlichen Rohstoffen – Kohle, Erdöl und -gas, Kupfer, Blei, Gold und seltene Erden. Ohne diese Stoffe können wir den aktuellen Lebensstandard nicht halten – Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser, Energie, Mobilität sowie Information und Kommunikation. Die Schätzungen diesbezüglich beschränken sich auf die uns bekannten Lagerstätten. Diese reichen zwischen 30 und zweihundert Jahre aus. Danach ist Schluss.
  • Gemeinsames Schicksal
    Das Raumschiff Erde ist so groß, dass es uns vorkommt, als wäre es eine Scheibe. Geschützt und am Leben gehalten werden wir durch die Atmosphäre. Unser lebenswichtiger Proviant ist das, was wir auf dem Land erwirtschaften und aus dem Boden und Meer ziehen. Mehr gibt es nicht. Wir verbrauchen heute mehr als doppelt so viele Rohstoffe, als vor fünfzig Jahren. Jährlich gehen durch Überweidung, ungeeignete Anbaumethoden, Erosion sowie durch Straßen- und Städtebau zwölf Millionen Hektar an Agrarflächen verloren. Gleichzeitig steigt die Bevölkerung bis 2050 auf neun Milliarden, die versorgt sein wollen. Was immer auf einer Seite der Erde passiert, hat einen Einfluss auf den Rest – ohne das aktuelle, magische Schlüsselwort zu benutzen.

Fazit: Der Blick auf die aufgehende Erde hat der Menschheit gezeigt, wie beschränkt unser Handlungsspielraum ist und für lange Zeit bleiben wird. Es gibt nur eine Atmosphäre, gemeinsame Wasserspeicher und endliche Rohstoffe, die uns zu EINER Schicksalsgemeinschaft machen. Ressourcen von der einen Seite auf die andere Seite zu verschieben, schadet der anderen Seite und bringt der Erde nichts. Trotz aller Hinweise haben einflussreiche Leute die Grenzen des Wachstums immer noch nicht verstanden, obwohl sie genauso betroffen sind, denn: Mehr gibt es nicht.

P.S.: An dieser Stelle ein Dankeschön an Greta.