Schlagwort-Archive: Überzeugungen

Der Mensch – die ideale Metapher für Organisationen

Anthropomorphe Zuweisungen geschehen immer dann, wenn wir mit Dingen umgehen, als wären sie beseelt- die Zwiegespräche mit dem Computer, der aufmunternde Klaps ans Lenkrad oder der Zuspruch zur Wasserpumpe, die ein letztes Mal den Keller freipumpen soll. Es scheint so, als sähen wir in den Dingen einen willfährigen Geist, der zu unseren Diensten steht. Erinnern wir uns an den Zauberlehrling von Goethe „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“. Der Geist wird jedoch nicht nur materiellen Dingen zugewiesen, sondern auch körperlosen Organisationen aller Art – dem Staat, der Regierung, der Partei, dem Unternehmen, dem Markt sowie sozialen Gemeinschaften und Randgruppen.

Offensichtlich hat sich das bewährt, da überall Schuldzuweisungen an solche Gruppen stattfinden: Facebook späht uns aus; die Rechten gefährden den Staat; Amazon nutzt die Mitarbeiter aus usw. Niemand erwähnt die verantwortlichen Personen. Was bewirkt diesen Blick auf Organisationen?

  • Die Greifbarkeit der unternehmerischen Persönlichkeit
    Die Personifikation beginnt, wenn einem Unternehmen die Eigenschaften einer Rolle zugewiesen werden. Dazu gehören die Aufgaben des Unternehmens, die sich nicht nur auf die Leistungserstellung beschränken, sondern auch gesellschaftliche Funktionen beinhalten, wie z.B. Gesundheitsförderung der Mitarbeiter und die Unterstützung von Veranstaltungen aller Art. Der Eindruck der AKV entsteht nicht nur von außen mit dem Fremdbild. In den medialen Zeiten überlassen Unternehmen ihr Fremdbild nicht dem Zufall, sondern sie arbeiten an ihrem Image, dem Selbstbild, indem sie ihr Engagement werbewirksam in den Medien verbreiten. Das klappt, solange kein Größter Anzunehmender Unfall (GAU) passiert. Ein gutes Beispiel für einen Gesichtsverlust war 1995 der Versuch die Brent Spar in der Nordsee zu versenken. Der Bösewicht war Shell, nicht der verantwortliche Chairman Cor Herkströter.
  • Die ausgelebten Überzeugungen
    Im Rahmen der Public Relations werden die vorteilhaften Überzeugungen zur Geltung gebracht. Dazu gehört ein hoffnungsvoller Ausblick auf die Zukunft und geht über die Werte, was richtig und falsch ist, hin bis zu Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken. Das Unternehmen erhält dadurch die Attribute, mit denen auch wir uns beschreiben. Um diese weichen Aspekte greifbar zu machen, gibt es die ISO-Leitlinie 26000, die das soziale Gewissen auf einen allgemeinen Nenner bringt – bzgl. Governance, Menschenrechte, Arbeitspraktiken, Umwelt, faire Betriebspraxis, Kundenprobleme sowie Einsatz für und Entwicklung der Gesellschaft. Und dann proklamiert man auf seiner Webseite Corporate Social Responsibility von KIK – ohne Unterschrift oder Namensnennung.
  • Die wettbewerblichen Schlüsselfähigkeiten
    Die Fähigkeiten eines Unternehmens werden durch das Wissen und die Fertigkeiten der Belegschaft, dem Stil der Leitung sowie durch die vorhandene Infrastruktur ausgeprägt. Indem die Kernkompetenzen in den Mittelpunkt rücken, bündelt das Unternehmen seine Kräfte. Da die Fertigungstiefe sich verflacht und dadurch immer mehr Leistungen im Verbund mit vielen anderen erbracht wird, braucht das Selbstverständnis Klarheit bezüglich der eigenen Schwerpunkte. Liegen die Stärken in der Auswahl der richtigen Schwerpunkte? Oder der zweckmäßigen Umsetzung? Oder in der Begabung schnell Trends zu nutzen? Oder in der Stärke Neues zu entwickeln? Oder in dem Geschick die eigenen Mittel wirkungsvoll zuzuordnen? Wir können uns den Dienstleister als Person vorstellen, der beispielsweise mit einer Software Großkonzernen hilft ihre IT besser am Geschäftserfolg auszurichten – er heißt Alfabet AG.
  • Die sichtbaren Handlungen
    Beim Blick auf das Geschehen im Unternehmen werden die Handlungen sichtbar – Welche Güter und Services werden angeboten? Wie sind die Abläufe gestaltet (vor allem an der Kundenschnittstelle)? Wie wird gesteuert? Was wird wie über die Medien verbreitet? Wie erscheint die Führungsebene in der Öffentlichkeit? Wir werden an unseren Handlungen gemessen. Hinterzieht ein Privatmann Steuern, dann wird er öffentlich an den Pranger gestellt und erhält eine Gefängnisstrafe. Unternehmen, wie Microsoft, die Unmengen an Profiten am Finanzamt vorbeischleusen, sind nicht greifbar und kommen ungeschoren davon – wer ist der verantwortliche CEO?
  • Der erkennbare Kontext
    Das publizierte Image liefert Indizien für die gefühlte Zugehörigkeit eines Unternehmens. Zusätzlich lässt die Reichweite des Geschäfts und die Wahl der Partner einen Rückschluss auf das Selbstverständnis zu. Wie einheitlich tritt das Unternehmen in unterschiedlichen Regionen auf? Werden die Werte an die ortsübliche Moral angepasst oder gelten weltweite Standards? Das kann soweit gehen, dass man die nationale Verbundenheit verliert und anstelle Made in Germany Made by Mercedes Benz einführt. Und dann gibt es Unternehmen, bei denen die Marke zusätzlich durch eine Unternehmerpersönlichkeit repräsentiert wird – denkt man an Trigema, dann denkt man an den alleinigen Inhaber Wolfgang Grupp.

Fazit: Zusammenfassend erkennt man, dass die Eigenschaften, die einem Unternehmen zugesprochen werden, denen von Menschen entsprechen. Das beginnt bei der Corporate Identity, mit der man sich als jung, gesetzt oder schöpferische Persönlichkeit präsentiert. In Ermangelung von Unterschieden werden die Werte wichtig – wer einmal die Umwelt schädigt, der …. Wie bei sportlichen Wettkämpfen treten die Unternehmen gegeneinander an, in dem Bestreben die Aufmerksamkeit des Kunden zu erhalten. Dabei reicht es nicht als Erster, sondern man muss auch mit Stil durchs Ziel gehen. Nachdem das Pendel der Globalisierung in die Nation zurückschwingt, wird die Identität wieder wichtig – egal, ob mit „Buy American“ oder „Make America great again“. Die Personifizierung von großen Gruppen erleichtert der Öffentlichkeit den Umgang mit abstrakten Unternehmen. Damit ist der Mensch die ideale Metapher für Organisationen.

Was Grenzüberschreitungen ausmacht

Es gab eine Zeit, da war Berlin von einer Mauer umschlossen, die die Stadt zu einer Insel machte. In West-Berlin ist man in allen Richtungen irgendwann auf die Wand gestoßen, die nur wenige Schlupflöcher hatte. Noch heute ist die nächtliche Fahrt durch den ehemaligen Checkpoint Charlie auch ohne Kontrolle und Mauer eine wahrnehmbare Grenzüberschreitung. Man taucht aus dem weißen Licht der Westberliner Quecksilberdampflampen und Leuchtstoffröhren in das warme Licht der Ostberliner Natriumdampflampen. Auch der aufmerksame Fußgänger bemerkt, dass das Ampelmännchen plötzlich einen Hut trägt. Das ist es, was Grenzüberschreitungen ausmachen.

Alle Arten von Systemen leben von der Tatsache, dass etwas dazu gehört und vieles anderes nicht. Häufig sind diese Grenzen nicht so klar gekennzeichnet. Aus diesem Grund ist es wichtig aufmerksam zu sein, um eine Passage von einem System ins andere zu bemerken. Die folgenden Aspekte bieten ein einfaches Raster, um Grenzüberschreitungen so zu erleichtern, dass niemand Schaden nimmt.

  • Kontext
    Der Raum bietet viele erkennbare Grenzen – Flüsse, Berge, Straßen, Mauern usw. Nicht jede Begrenzung führt automatisch in einen Bereich mit neuen Regelungen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass sich etwas ändert, wenn man die Umgebung wechselt. Wer an einem Fluss wohnt, links- oder rechtsflussig, kennt diese Unterschiede. Auch die Zeit trennt unentwegt. Sei es die Vergangenheit von der Gegenwart oder die Gegenwart von der Zukunft oder das Vorher vom Nachher. Eine Grenzüberschreitung findet auch statt, wenn man nach einem Langstreckenflug über die Fluggastbrücke ein Land betritt – viele Passagiere kommen wieder nach Hause und andere werden zu Fremden.
    Bewusst macht man sich den Kontext durch diese Fragen: Wo bin ich? Zu welcher Zeit?
  • Tätigkeit
    Besonders vielfältige Systeme bilden Tätigkeiten oder Berufen. Jede Art von Beschäftigung schafft ein geschlossenes System mit bestimmten Voraussetzungen, in dem die sich verstehen, die dazu gehören. Die anderen sind ausgeschlossen. Dies kann man erkennen an der Kleidung, an den Werkzeugen oder an dem Fachjargon – Anstoß, Einwurf, Strafstoß, Kopfball, Abseits (wer das wohl ist?). Für Außenstehende handelt es sich um eine Art Fremdsprache, die man erlernen muss.
    Der schnelle Zugang zur Bedeutung könnte dadurch erfolgen, dass man fragt: Was wird getan? Wie heißt das?
  • Fähigkeiten
    Im Laufe der Zeit haben sich die Fähigkeiten immer weiter spezialisiert. Es lassen sich jedoch Wissensgebiete abstecken, die zusammen ein geschlossenes Fachgebiet bilden, das wiederum aus spezialisierten Teilsystemen besteht, die wiederum … usw. Das führt zu unterschiedlichen Fähigkeiten zwischen Elektro- und Thermodynamikern oder Quantenphysikern sowie zu Verständnishürden zwischen Branchen. Die dazugehörigen Sprachen bilden weitere Grenzen, die ab- bzw. ausgrenzen. Der Zugang zu einer anderen Kultur wird vor allem durch die entsprechende Sprachkompetenz möglich – sprechen Europäer von Denken, dann zeigen sie auf den Kopf, während Japaner eher aufs Herz zeigen.
    Die Überwindung dieser Grenze wird durch Fragen möglich – Wie macht man das? Was muss man dafür lernen?
  • Überzeugungen
    Die mentalen Modelle der Mitglieder eines Systems sind schwer ergründbar, da sie nur in den Köpfen der Leute wirken. Sichtbar werden sie im Kontext, den Handlungen und an den vorgeführten Fähigkeiten. Die Überzeugungen bilden den Mörtel, der alle Arten von Gruppen verbindet. Die Grenzüberschreitung wird an den Reaktionen der Leute erkennbar. Verstößt man gegen deren Glaubenssätze, z.B. bestimmte Rituale oder Verhaltensnormen, dann wird man ohne Verzug sanktioniert. Gleichzeitig ist man in seinen eigenen Denkgebäuden gefangen – wenn beispielsweise Gerechtigkeit einseitig festgelegt wird. Für den einen ist eine Gefängnisstrafe das Schlimmste, für den Anderen das Auspeitschen – obwohl die Notwendigkeit einer Bestrafung beiden gemeinsam ist.
    Die Grenze der Überzeugungen lässt sich durch vorsichtiges Nachfragen ermitteln: Wie sagt man dazu? Was muss man tun?
  • Rolle
    Eine besondere Form von Grenzen bestehen zwischen Rollen. Diese überschreitet man täglich immer wieder – einmal ist man Mitarbeiter, dann Chef, dann Kollege, dann Ehepartner, dann Vater, dann Freund, dann Vereinsmitglied usw. Im Geschäftsleben werden die Rollen manchmal schriftlich mit Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung beschrieben. Die vorherigen Aspekte (siehe oben) unterscheiden sich auch je Rolle – z.B. die unterschiedlichen Sprachen des Chefs, des Ehepartners und des Vereinsmitglieds.
    Deshalb stellen sich hier alle bisherigen Fragen und zusätzlich: Welche Rolle ist das? Welche AKV gehören dazu?
  • Zugehörigkeit
    Die Zugehörigkeit ist die schwierigste Grenze, da sich hier grundsätzliche Aspekte verstecken. Hier finden der übergeordnete Sinnzusammenhang und grundsätzliche Fragen des Lebens tief verankerte Antworten. Fundamentale Grenzen, die sich nur schwer verschieben lassen, bilden Religionen sowie wirtschaftliche und politische Systeme. Sie basieren auf dem persönlichem Glauben und der Verbundenheit mit den eigenen Wurzeln.
    Um diese Grenzen überschreiten zu können, sind respektvolle Fragen erforderlich: Was bedeutet das? Worauf muss ich achten?

Fazit: Wir überschreiten permanent gedankenlos irgendwelche Grenzen. Dabei kann jede Grenzüberschreitung zu einem Konflikt führen. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich die Grenzen immer wieder bewusst zu machen. Dazu beobachtet man den Kontext, in dem man sich befindet, die Handlungen, die passieren, die Fähigkeiten, die sichtbar werden, die Überzeugungen, die erkennbar werden, die Rollen, die es gibt sowie die Zugehörigkeit, die die andere Seite der Grenze prägt. Grenzen führen zu Ab- und Ausgrenzungen, die manchmal gewollt und manchmal ungewollt stattfinden. Grenzüberschreitungen sind unumgänglich, können aber durch die entsprechende Aufmerksamkeit so stattfinden, dass niemand dabei Schaden nimmt. Dies sind ein paar Aspekte die Grenzüberschreitungen ausmachen.