Archiv der Kategorie: Bedeutungsgestaltung

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Wem die verrückte Perspektive nützt

Aus welchen Gründen sollten wir glauben, dass die Wirklichkeit etwas anderes ist als das, was wir wahrnehmen? Wir sehen die Küstenlinie im Abendlicht. Wir hören die Geräusche der Möwen. Wir spüren den Wind und das schwankende Deck des Schiffs. Wir riechen die Gerüche des Meeres und schmecken das Aroma des Ozeans. Wenn wir verstehen, dass wir die Umwelt unterschiedlich aufnehmen, da wir mit unserer Erfahrung in der Situation stecken, dann erkennen wir, dass die Wirklichkeit nicht so real ist, wie wir es annehmen. Heinz von Förster hat das auf den Punkt gebracht: „Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden.“ Diese Einsicht macht die Wirklichkeit verrückbar.

Wenn wir den Gedanken zu Ende denken, dann bemerken wir, dass der Bote damit alle noch so sachlichen Beschreibungen stets bewusst oder unbewusst prägt. Erfahrene Kommunikatoren machen sich diesen Sachverhalt zu Nutze. Sie rücken ihr Thema durch ein geschicktes Priming, eine Art von trojanischem Pferd der Bedeutung, in ein für den Empfänger akzeptableres Licht. Hierfür verstecken sie die eigenen Absichten hinter den Wünschen der Empfänger. Ein aktuelles Beispiel ist das vorgeschobene Tierwohl, aufgrund dessen den Massentierzüchtern die Zuschüsse erhöht werden sollen. Mit den folgenden verrückten Themen wird das gesellschaftliche Zusammenwirken auf die Probe gestellt.

  • Aktien
    Die Aktie ist eigentlich ein Finanzierungsmittel, um das Eigenkapital zu erhöhen. Aktiengesellschaften ermöglichen es Anlegern, Anteile der Firma zu kaufen und sich am Erfolg zu beteiligen. Ursprünglich Mittel zum Zweck, haben sie sich zum Zweck der Geldanlage entwickelt.
    Und jetzt verrückt sich die Perspektive. Es geht nicht mehr um das Wohl des Unternehmens, sondern nur noch um den Kurs der Aktie als Spekulationsobjekt. Nicht die Leistungsfähigkeit des Unternehmens entscheidet diesen Wert, sondern die erwartete Kursentwicklung der Aktie. Damit ist der eigentliche Zweck der Aktie verloren gegangen. Und die echten Unternehmen mit ihren gesellschaftlichen Beiträgen und Mitarbeitern verlieren ihre Bedeutung zu Gunsten des reichsten Zehntels der Weltbevölkerung, die ihre 85% des globalen Vermögens weiter erhöhen.
  • Abgeordnete
    Die Volksvertreter, die durch das Volk in die Parlamente gewählt werden, vertreten Millionen von Wählern bei der gesellschaftlichen Entscheidungsfindung. Sie sollen die Meinung der Menschen in den politischen Prozess einbringen. Gleichzeitig sind sie jedoch Mitglieder einer politischen Partei und unterliegen deshalb einer Fraktionsdisziplin, die in Deutschland verboten ist, da jeder nur seinem Gewissen gegenüber verpflichtet ist – oder dem Wähler?
    Und hier verrückt sich die Perspektive, wenn die Gremien der Parteien die Richtung bestimmen und ein Heer von Berufspolitikern aus ihrem Mandat wiederholt temporäre Angestelltenverhältnisse machen. Sie richten sich an den Umfrageergebnissen aus – nicht um zu verstehen, was zu tun ist, sondern um ihre öffentlichen Statements daran auszurichten. Sie behalten durch eine Wiederwahl ihren Arbeitsplatz –im Anschluss verpflichten ihre Versprechen sie ja nicht zur Umsetzung. Am Ende jagen die politischen Opportunisten die Wähler in die Arme der vermeintlich Bürgerlichen.
  • Führungskräfte
    Die Leiter eines Unternehmens bzw. eines Teils davon bestimmen das Schicksal aller Beteiligten. So wie die Mitarbeiter im Interesse des Unternehmens ihre Leistungen erbringen, sollten die Führungskräfte die Viabilität des Unternehmens durch wirksame Führung sicherstellen. Das Überleben erfordert unbequeme Maßnahmen – Schließung veralteter Betriebe, Allianzen mit Partnern am anderen Ende der Welt und Sparmaßnahmen aller Art. Die Geschäftsleitung erhält als Belohnung das mehrstellige Vielfache des Einkommens eines Mitarbeiters.
    Und hier verrückt sich die Perspektive, wenn das Wohl des Unternehmens zu Gunsten der persönlichen Karriere aus dem Fokus rutscht. Während Unternehmen im Schnitt mindestens neun Jahre und manchmal viel länger überleben, verharren Leiter auf ihren Stellen drei bis fünf Jahre. Danach retten sie sich in neue Aufgaben und umgehen damit die Folgen ihrer Entscheidungen. Gehaltsentscheidend ist nicht die langfristige Entwicklung des Unternehmens, sondern die Erfüllung der Absichten im laufenden Jahr. Wen wundert es mit den vorhandenen Rahmenbedingungen, dass die Unternehmen ihre Zukunftsfähigkeit verlieren. Bezahlen müssen die Rechnung die Betroffenen, die dieser Form von individuellem „Unternehmertum“ machtlos ausgesetzt sind.
  • Gesellschaftliche Leistungen
    Die Services, die immer schon in der Obhut der Obrigkeit waren, z.B. gesundheitliche, sicherheits- und informationsbezogene sowie beförderungstechnische Leistungen, wurden schrittweise privatisiert und Marktgesetzen (z.B. Angebot und Nachfrage, Wettbewerb, Preisgestaltung) unterworfen. Damit ist ein unbelegtes Bett im Krankenhaus ein unproduktives Asset, da es nicht verrechnet werden kann. Ein chemischer Wirkstoff, der in der einen medizinischen Anwendung einen geringen Preis und in einer anderen den zwanzigfachen erzielt, führt bei gleichen Herstellkosten zu dem zwingenden Schluss, das billigere Mittel vom Markt zu nehmen – künstlich erzeugte Verknappung des Angebots sowie die Vorstellungen von grenzenlosem Wachstum und der beständigen Erhöhung der Erträge der Eigentümer bestimmen den erreichbaren Wert. Unsere Netzwerke (z.B. IuK, Transport, Energie) sichern nach der Metamorphose zu Unternehmen nicht mehr die Versorgung der Bevölkerung, sondern ersatzweise die Interessen der Anleger. Sie beschränken ihre Aktivitäten auf einträgliche Regionen – Handynetze sowie Bahnhöfe und Buslinien lohnen sich nur dort, wo eine lukrative Auslastung gewährleistet ist. Der Rest wird weniger oder einfach gar nicht versorgt.
    Und hier verrückt die Perspektive, wenn die Versorgungsleistungen für die Allgemeinheit sich nur noch an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausrichten. Das gilt beispielsweise, wenn Allgemeingüter wie Wasser auf Kosten der Allgemeinheit für Cent-Beträge verkauft werden. Im Anschluss wird das Wasser als Wasserflaschen vergoldet und die ausgebeuteten Quellen werden leergepumpt. Geld regiert die Welt – auch die Gesellschaft?

Besonders sichtbar wird die Situation, wenn die Verantwortlichen ihr Handeln mit Systemrelevanz begründen. Dies passiert dann, wenn die Entscheider die Lage nicht mehr im Griff haben – die Banken, die Fluggesellschaften, die Automobilkonzerne, die Energiekonzerne und die Massenproduzenten in der Landwirtschaft sind nur die Spitze des Eisbergs. Missmanagement und fehlende Zukunftsorientierung, die die nachfolgenden Generationen belasten, sind die Gründe für die absehbaren Dystopien. Erfolge werden in derartigen Verhältnissen privatisiert und Misserfolge sozialisiert. Anders kann man es nicht ausdrücken.

Fazit: Es ist schon verrückt, wie sich unser Alltag verändert. Die Funktionsträger haben gelernt der Öffentlichkeit auch die unangenehmsten Entscheidungen, so zu verpacken, dass die Mehrheit sie als unumgänglich hinnehmen. Gleichzeitig haben Minderheiten gelernt nach dem Prinzip: „Wer am lautesten schreit, hat recht“ ihre persönlichen Interessen durchzusetzen – keiner möchte ein Kraftwerk in seiner Nähe, die wichtige Umgehungsstraße an seinem Grundstück, Stromkabel oder Windkrafträder, die die Aussicht stören und unangenehme Geräusche machen, oder strahlende Handysendemasten direkt vor dem Haus. Wobei keiner auf die entsprechenden Services verzichten möchte. Unsere Meinungsbildung wird so vorbereitet, dass wir stets zustimmen, obwohl wir wissen, dass alle einen Beitrag zu unserem Wohlstand leisten müssen – natürlich nur die anderen. Um geschickter mit diesen alltäglichen Manipulationen umzugehen, sollten wir uns angewöhnen zu hinterfragen: Wem nützt es? Die Antwort liefern oft die mittelbaren Nutznießer – nicht das Tierwohl, sondern die Massentierhalter. Das wird die meisten kommunikativen Verrücktheiten aufdecken.

Die Ganz-heit ist Ansichtssache

Unsere Wahrnehmung ist eine persönliche Sache. Einerseits unterscheidet sie sich von einer Person zur anderen. Andererseits ist es nicht möglich, an den inneren Vorgängen der anderen teilzuhaben. Selbst die eigenen unterbewussten Gedankengänge sind nicht immer erreichbar. Da wir uns diese Tatsachen nicht klar machen, gehen wir davon aus, dass alle die Welt gleich sehen: gleicher Blickwinkel, gleiche Inhalte, gleiche Schwerpunkte und gleiche Schlüsse. Der Blick auf das folgende Bild macht das erlebbar. Was sehen Sie?
Einen geringelten Block? Ein handgezeichnetes Bild? Einen Würfel? Die Kanten des Würfels? Oder die abgerundeten Ecken? Eine Eins? Einen schwarzen Punkt auf einer Seite? Der niedrigste Wert eines Würfels? Der bestmögliche Wurf? Der schlechteste? Diese Betrachtungen und die, die Ihnen jetzt in den Sinn kommen, sind alles gültige Sichtweisen. Die Unterschiede sind Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, einfach gesagt: Ansichtssache.

Neben einer großen Zahl von x-heiten, wie z.B. Allgemein-heit, Angelegen-heit, Befangen-heit, Bestimmt-heit, Einfach-heit, Frei-heit, Geschlossen-heit, Gesund-heit, Gewiss-heit, Gewohn-heit, Grob-heit, Klar-heit, Offen-heit, Rein-heit, Selten-heit, Sicher-heit, Unwissen-heit, Wahr-heit, Weis-heit geht es dieses Mal um die n-heiten – die Einzel-heit und die Ganz-heit.

  • Die Einzel-heit
    Einzel-heiten sind einfach die Beobachtungsgegenstände, die wiedergeben, was zu sehen ist – Linien, Punkte, Flächen, Graustufen, und andere bekannte Entitäten. Dieser Blickwinkel liefert ausführliche Beschreibungen von, idealerweise, allen Teilstücken. Auf sie kann man zeigen und sie lassen sich zählen – sofern das Konzept Zahl bekannt ist. Bei näherem Hinsehen könnten die Teile noch weiter untergliedert werden – prinzipiell ohne Ende. Wir betrachten die Einzel-heiten auf dem Detaillierungsgrad, der uns naheliegend erscheint – in unserem Bild vielleicht der Würfel oder die Fünfer-Seite. Die sichtbaren Einzel-heiten sind fünf schwarze Punkte und die Fläche. Jeder Punkt hat einen Durchmesser und wir können sie zählen: 1 + 1 + 1 + 1 + 1 = 5. Der Zusammenhang lässt sich aus den Einzel-heiten ableiten, wenn wir die Punkte als Ganz-heit betrachten (s.u.). Gleichzeitig könnten wir auch einen einzelnen Punkt als Ganz-heit betrachten, was jedoch zu völlig anderen Erkenntnissen führen würde (z.B. bezüglich der Herstellung des Würfels, der genutzten Farbe).
  • Die Ganz-heit
    Das große Ganze in der aktuellen Situation zu erkennen, hängt auch von den Betrachtern und deren Erfahrungsschatz ab. Manche sehen den Würfel. Der Spieler das Glücksspiel? Leser das Symbol des Glücks? Mathematiker den Zufall? Die Ganz-heit ist weniger greifbar, da sie Beziehungen und Zusammenhänge berücksichtigt, die nicht für alle erkennbar sind. Die Umwelt der Ganz-heit liefert Zusatzinformationen – z.B. abhängig davon, ob der Würfel auf einem Brettspiel oder auf einem Kasinotisch liegt. Die Beobachter entscheiden mit ihrer Erfahrung wo die Grenzen gezogen werden. Im Gegensatz zu den Einzel-heiten besteht die Ganz-heit aus mehr als was man sieht. Es ist ein Unterschied, ob man fünf schwarze Punkte oder den zweithöchsten Wert und dessen Bedeutung sieht. In der Folge leiten wir unterschiedliche Maßnahmen aus fünf Punkten oder der Fünf-heit ab. Der ganzheitliche Blick liefert damit mehr als ein Abbild des Gesehenen und versteht, worum es geht. Das dieses Verstehen sich von einer Person zur anderen unterscheidet, versteht sich von selbst.

Fazit: Die Diskussion von alternativen Fakten dreht sich um Einzel- und Ganz-heiten. Während die Einzel-heiten sachlich nachvollziehbar sind, verfügen die Ganz-heiten über Raum für Auslegungen. Das erklärt die alternativen Fakten. Das was den Unterschied ausmacht, liegt im Auge des Betrachters – und der hat immer recht. Die sachliche Beschreibung einer Einzel-heit lässt sich leicht klären, indem man sie vorlegt – Ausnahmen sind gestörte Wahrnehmungen, wie beispielsweise die Sehschwäche von Farbblinden. Sobald jedoch in einer Einzel-heit verhandelbare, nicht nachweisbare Elemente vorkommen, mutiert sie zu einer Ganz-heit. Jetzt beginnt das Gerangel. Die Einzel-heiten ergeben schließlich die Ganz-heit, die jedoch mehr als die Summe seiner Einzel-heiten ist. Damit ist die Ganz-heit Ansichtssache und wird schlussendlich unterschiedlich wahrgenommen.