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Mehrere Entscheidende erzeugen immer Kompromisse

Die Pandemie hat besonders die erstarrten Abläufe der Angestellten in Bewegung versetzt. Es gibt schon lange neue Ansätze für die Zusammenarbeit – z.B. schlankere Strukturen; Bündelung von Aufgabe; Kompetenz und Verantwortung (AKV) in einer Hand; Auflösung langatmiger Bürokratie; mobiles Arbeiten. Damit erhalten die Mitarbeitenden mehr Rechte und Pflichten. Führungskräfte verlieren ihre Raison d’Être: das Entscheiden, Führung und Kontrollieren. Ein Beschluss wird am Ort des Geschehens durch die Beteiligten gefällt. Und trotzdem gibt es weiterhin eine übergreifende Stelle, die im Zweifel entscheidet.

Heutzutage sind verschiedene Bereiche an einer Entscheidung beteiligt, die alle ihre Absichten verfolgen. Dadurch werden die folgenden Aspekte bemerkenswert.

  • Das Mindset der Subsidiarität
    Um umständliche Wege der Entscheidung aufzulösen, muss der passende Ort gefunden werden. Die katholische Kirche hat 1931 eine Blaupause dafür formuliert. Das Subsidiaritätsprinzip in der Enzyklika von Papst Pius XI. zum Umbau der sozialen Ordnung beschreibt die Arbeitsteilung wie folgt:
    Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung, die nur zur Abhaltung von wichtigeren Aufgaben führen müssten, soll die Staatsgewalt den kleineren Gemeinwesen überlassen. Sie selbst steht dadurch nur umso freier, stärker und schlagfertiger da für diejenigen Aufgaben, die in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, weil sie allein ihnen gewachsen ist: durch Leitung, Überwachung, Nachdruck und Zügelung, je nach Umständen und Erfordernis. Darum mögen die staatlichen Machthaber sich überzeugt halten: je besser durch strenge Beobachtung des Prinzips der Subsidiarität eine abgestufte Ordnung zwischen den Verbänden eingehalten wird, desto stärker werden die gesellschaftliche Befugnis und Wirksamkeit, umso besser und glücklicher ist es um den Staat bestellt.“
    Die heutige VUKA-Welt kann diesen Ansatz nutzen, um das Momentum und das Engagement der Mitarbeitenden zu erhalten. Wenn ein Beschluss auf der eigenen Ebene nicht möglich ist, entscheidet die übergreifende, allgemein anerkannte Autorität.
  • Klare Rollen
    Das fortwährende Zerlegen in kleinere Teile führt zu temporären Netzwerken, die die starren Hierarchien und ausgrenzenden Silos ablösen. Es sind klare Rollen nötig, die die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung (AKV) der Beteiligten beschreiben.
    Aufgrund der Schnelllebigkeit der Umstände ersetzen Rollen die kleinteiligen Beschreibungen der einzelnen Stellen. Die Beteiligten brauchen möglichst allgemeine Anforderungen für ihr Tun mit ausreichendem Spielraum für unvorhersehbare Sachverhalte.
  • Kompromisse
    Die fachlichen Aufgaben führen zu unterschiedlichen Interessen, Absichten und Zwängen. Nur das gemeinsame Aushandeln einer Entscheidung durch die Betroffenen führt zu einem machbaren und von allen akzeptierten Ergebnis. Die sofortige Delegierung nach oben liefert zwar einen Beschluss. Allerdings führt er zu Missmut ALLER Beteiligten: a) weil sie nicht an der Entscheidung beteiligt sind; b) weil für sie wesentliche Aspekte unberücksichtigt bleiben. Am Ende müssen alle Parteien Zugeständnisse machen und auf manche Wünsche verzichten, um zu einem Ergebnis zu gelangen.
    Die Dauer für das Finden eines Kompromisses hängt von der Dauerhaftigkeit der Lösung ab – je länger, desto aufwendiger die Verhandlung. Die abschließende Bereitschaft und das entschiedene Commitment der Beteiligten ist Grundlage für die Viabilität des Übereinkommens.
  • Kontinuierliche Verbesserung
    Ein großer Feind von kreativen Lösungen ist die Vorannahme, dass die VUKA-Welt sich nach einer Entscheidung nicht mehr weiterdreht. Jede Lösung hat mehr oder weniger anhaltende Veränderungen zur Folge – der Bau von Autobahnen verändert die Landschaft langfristig; die Vereinbarung eines gemeinsamen Vorgehens kann jederzeit angepasst werden.
    In VUKA-Zeiten lernen wir unentwegt, was geht und was nicht. Das kann dazu führen, dass etwas rückgängig gemacht oder wieder verändert werden muss. Mit der einvernehmlichen japanischen Philosophie des Kaizen (改善), stehen Ansätze zur Verfügung, etwas besser zu machen, ohne frühere Lösungen zu verunglimpfen und um Gesichtsverlust zu vermeiden.
  • Folgen für Entscheidende
    Die bisherigen Punkte ergeben ein Mindset, das die Beteiligten in die Lage versetzt, Kompromisse einzugehen. Das bisherige Verhandlungsgeschick wird dabei erweitert um die Fähigkeiten, sich in Andere hineinzuversetzen, deren Absichten und Bereitschaft zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, um Win-Win-Ergebnisse zu erzielen.
    In der VUKA-Welt ist wenig von Dauer. Aus diesem Grund sollten die Parteien weniger auf eigenen Wünschen beharren. Mit Empathie und einer klaren Priorisierung der eigenen Wünsche erreichen sie viablere Ergebnisse.
  • Highlander-Prinzip
    Finden die Parteien nicht zueinander, dann braucht eine Entscheidung die Hintertür der übergeordneten Ebene. Hier gilt dann das archaische Highlander-Prinzip: Es kann nur Einen geben. Solange es mehrere ebenbürtige Verhandelnde gibt, läuft es auf einen Interessenskonflikt hinaus, der nur mit Kompromissen behoben werden kann.
    In der VUKA-Welt führen solche Beschlüsse zu einer erhöhten Gefahr eines Fehlschlags. Wenn die Betroffenen zu wenig eingebunden sind, dann braucht es zumindest das Commitment für Top-Down-Entscheidungen.

Fazit: Es ist nicht möglich, alle Betroffenen mit einem Beschluss zufriedenzustellen. Aufgrund der unterschiedlichen Absichten sind mehr oder weniger große Abstriche nötig, um ein Ergebnis zu erhalten. Mit der Nutzung des Subsidiaritätsprinzips und klaren Rollen werden die Zuständigkeiten und der Aktionsradius umrissen. Werden Kompromisse von den Beteiligten erwartet, fällt es ihnen leichter, eine Einigung zu finden. Im Anschluss ist es immer möglich nachzubessern. Für die Entscheidenden ist es wichtig, ein entsprechendes Mindset zu entwickeln, um nicht auf Anforderungen zu beharren und bei anderen nachgeben zu können. Kommt es zu keinem Ergebnis, bleibt immer die Möglichkeit EINZELNE Entscheidende nach dem Highlander-Prinzip zu nutzen. ALLE sollten verstehen, dass mehrere Entscheidende IMMER Kompromisse erzeugen.

Die Belegschaft intern pfeifen lassen

In den ersten Jahrzehnten des Internets hat sich für uns vor allem die Form von Öffentlichkeit und Teilhabe verändert. Politik, Wirtschaft und unsere Freizeit sehen heute völlig anders aus. Obwohl Unternehmen die Möglichkeiten der Informationstechnologie in allen Bereichen ausschöpfen, fehlen angemessene Lösungen für eine interne Kultur der Selbstkritik. Althergebrachte Hierarchien sind dabei genauso herausgefordert wie zentralistische Nationalstaaten. Der Dienstweg reicht nicht mehr aus, um Ordnungsmäßigkeit sicherzustellen. Informationen folgen eigenen Regeln und finden ihren Weg in die Öffentlichkeit. Konzerne können es sich nicht mehr leisten, dass Geschäftspraktiken am Rande oder sogar jenseits der Legalität durchgeführt und schließlich bekannt werden. Wie hoch die Kosten eines Lecks sein können, werden wir wissen, sobald die Kosten der aktuellen Krise bei VW feststehen. In jedem Fall wird es sich um Milliarden Euros handeln. Anstelle die Whistleblower in die Arme der breiten Öffentlichkeit zu treiben, wäre es besser, interne Kanäle zu öffnen, die es der Belegschaft erlauben, ihrem Bedürfnis nachgeben zu können und intern zu pfeifen.

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Der Vorstand und die Führungskräfte müssen verstehen, dass die frühzeitige Aufdeckung von illegalen Aktivitäten die Viabilität des Unternehmens sichert. Es handelt sich beim Enthüllen oder dem Veröffentlichen von Skandalen durch sogenannte Whistleblower nicht um Verrat, Illoyalität oder Untreue, sondern um einen Mechanismus der Selbsterhaltung. Niemand steht über oder außerhalb des Gesetzes. Ungeschickterweise empfinden Vorgesetzte das anders. Whistleblower werden als Nestbeschmutzer angesehen. Die Anstrengungen des Unternehmens beschränken sich auf den öffentlichkeitswirksamen Aufbau einer internen Revision. Deren Aufgabe ist es Schwachstellen zu suchen und Verbesserungen vorzuschlagen. Warum nicht ein System für interne Whistleblower etablieren, das es jedem Mitarbeiter ermöglicht seine Beobachtungen anonym mitzuteilen, ohne persönliche Konsequenzen fürchten zu müssen? Zu diesem Zweck könnte es helfen, die folgenden Aspekte zu berücksichtigen.

  • Fokus aufs Ganze
    Intern sollte ein Verständnis für das Gesamtunternehmen bestehen, das Bereichsegoismen und persönliche Agenden, die Nachteile für das Unternehmen nach sich ziehen, als schlecht kennzeichnen.
  • Subsidiaritätsprinzip schafft Entscheidungsraum
    Voneinander abgegrenzte Zuständigkeiten verteilen die Verantwortung in der Organisation. Am Ende ist der Vorstand nicht mehr automatisch für Fehlverhalten auf einer unteren Stufe haftbar zu machen, sondern die dafür Verantwortlichen. Dies gilt vor allem für das Anzeigen von schwerwiegenden Verstößen.
  • Unternehmenswerte veröffentlichen
    Für alle Mitarbeiter und Führungskräfte gelten Gesetze, wie für jeden anderen Bürger. Die Veröffentlichung der Verpflichtung zur Einhaltung der Gesetze in den Unternehmenswerten ist wichtig, um den Mitarbeitern das Gefühl zu nehmen, dass sie sich in einem rechtsfreien Raum befinden.
  • Fehlerkultur
    Informationen, die über eine interne Meldestelle bekannt werden, sollten nicht automatisch Grundlage für Sanktionen sein, sondern Ausgangspunkt zur Behebung von Missständen.
  • Null-Toleranz
    Ungesetzliches Verhalten sollte intern so behandelt werden wie im Rest der Gesellschaft. Nicht jeder Fall führt zu einem juristischen Verfahren. Schiedsstellen ermöglichen das Lernen aus Fehlern und erleichtern eine Anpassung, ohne das Fehlverhalten übertrieben sanktionieren zu müssen. In manchen Fällen ist es jedoch unumgänglich die entsprechenden Personen anzuzeigen, da man sich sonst der Mitwisserschaft schuldig machen würde.
  • Unrechtsbewusstsein
    Eine neue Aufgabe für die Rechts- oder der neu geschaffenen Compliance-Abteilungen wird es sein, den Mitarbeitern das notwendige Rechtsverständnis beizubringen. Erst mit diesem Unrechtsbewusstsein und in Verbindung mit dem internen Vorgehen für Whistleblower kann das Unternehmen darauf hoffen, dass kein Fehlverhalten stattfindet.
  • Internes Pfeifen
    Schwierigkeiten passieren häufig an einzelnen Arbeitsplätzen. Mitarbeiter können zum Vorteil des Unternehmens und damit zum eigenen Wohl Korrekturen von Fehlentwicklungen anstoßen. In einzelnen Fällen werden die Schwierigkeiten jedoch erst aus einer Gesamtschau sichtbar. Dann müssen sich auch Führungskräfte beteiligen.

Die Vorstellung, dass große Organisationen rechtsfreie Räume sind, ist spätestens seit der Einführung von Compliance-Bereichen vorbei. Ob ein Unternehmen rechtsbewusster wird, indem es ehemalige FBI-Beamte zur Kontrolle einstellt, mag der Beruhigung der Beziehungen zu den US-Behörden geschuldet sein. Compliance beginnt jedoch im Kopf eines jeden Mitarbeiters. Um Gewissenskonflikte der Mitarbeiter zu verhindern, wäre es sicher geschickter sie intern pfeifen zu lassen.

Fazit: Niemand steht über dem Gesetz. Und Gesetze, die befolgt werden müssen, finden sich in allen Bereichen des Unternehmens. Ein internes System zur Meldung von illegalen Praktiken ist besser, als die Mitarbeiter in die Öffentlichkeit zu treiben. Der Schaden ist dann viel größer. Aus diesem Grund sollten Unternehmen ihre Belegschaft intern pfeifen lassen.