Archiv der Kategorie: Strategie

Strategie besteht aus Vision, Mission, SWOT, Kritische Erfolgsfaktoren, Wertdisziplinen, strategische Ausrichtung, strategische Ziele und strategischen Kern.

Systemrelevanz – verbales K.O.-Kriterium

Systemrelevanz ist ein aktueller Euphemismus, mit dem alle möglichen Teile der Gesellschaft die Bedeutung von etwas zu unterstreichen. Diese Bezeichnung entwickelte sich zu einem verbalen K.O.-Kriterium, das jeglichen Widerspruch im Keim erstickt. Wir können den Begriff jedoch auch in die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen übertragen. Ein System grenzt sich von seinem Umfeld ab, indem bestimmte Elemente und Beziehungen als zueinander gehörig und miteinander in Wechselwirkung stehend festgelegt werden. Beispiel: Die Ballsportart Fußball besteht aus einem markierten Spielfeld, zwei Toren, Mannschaften mit elf plus Alpha aktiven Feldspielern, mehreren Schiedsrichtern, Wettkampfveranstaltungen in unterschiedlichen, manchmal weltweiten Ligen, Zuschauern, Fernsehrechten usw. Relevanz steht für die Bedeutung in einem bestimmten Kontext. Beispiel: Das Fußballspiel befriedigt soziale Bedürfnisse und ist damit systemrelevant. Im Gegensatz dazu ist das Business ausgerichtet auf die Befriedigung individueller Geschäftsstrategien. Diese unterschiedlichen Sichtweisen führen dazu, dass das Business seine Interessen mit den sozialen Bedürfnissen begründet, um sein Geschäft zu sichern. Die Bedürfnispyramide muss dafür als verbales K.O.-Kriterium herhalten.

Anhand der Bedürfnispyramide von Maslow können wir versuchen die Systemrelevanz zuzuordnen. Hierbei gilt es eine Grenze zu finden, die die wirklich wichtigen Aspekte beinhaltet und sich von den darüber hinausgehenden Dingen abgrenzt. Wo die Grenze ist und welche Branchen betroffen sind liegt im Auge des Betrachters.

  • Physiologische Bedürfnisse
    diese Grundbedürfnisse sind überlebensnotwendig – saubere Atemluft, sauberes Wasser, Nahrung, eine gesunde Umwelt usw. Die betroffenen Branchen sind die Wasserversorgung, Landwirtschaft und Fischerei, Energieversorgung und Umweltschutz. Auf der Befriedigung dieser untersten Ebene bauen die höheren Ebenen auf.
  • Sicherheitsbedürfnisse
    auf der nächsten Ebene sichern wir unser Dasein ab – körperliche und seelische Gesundheit, ökonomisches Auskommen, ein Dach über dem Kopf, Beschäftigung. In diesem Bereich sind die Branchen verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe, Verkehr und Lagerhaltung, administrative und Unterstützungsdienstleistungen, Bildung, Gesundheit und Sozialarbeit unterwegs. Mit dieser Ebene haben wir Arbeit und sind überlebensfähig.
  • Soziale Bedürfnisse
    Sobald die existenziellen Dinge vorhanden sind, wünschen wir uns soziale Beziehungen – Freundschaft, Zuneigung und Liebe, Familie, Gemeinschaft, persönlichen Austausch, Mobilität und Verständigung. Hier sind Kunst, Unterhaltung und Erholung, Gastgewerbe, Information und Kommunikation, öffentliche Verwaltung, Sozialversicherungswesen aktiv. Mängel auf dieser Ebene führen zu einem ungesunden Selbstbild, dem Hang zu verfehlten Generalisierungen, durch Voreingenommenheit verzerrte Wahrnehmungen und gesellschaftsfeindlichem Verhalten.
  • Individualbedürfnisse
    die Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Gemeinschaften ist der Startpunkt sich mit anderen zu vergleichen – Erfolg, Selbstbestätigung, Vertrauen, Einschätzung und, mit dem befriedigten sozialen Bedürfnis der Zugehörigkeit, wieder der Drang zur Freiheit und Unabhängigkeit. Hier wirken alle möglichen privaten Dienstleistungen. Mit dieser Ebene verlässt man die systemrelevanten Bereiche. Es geht jetzt um die Befriedigung von individuellen Wünschen und Sehnsüchten, die über die wesentlichen Lebensgrundlagen hinausgehen.
  • Selbstverwirklichung
    sind alle Bedürfnisse und Wünsche befriedigt, dann entstehen völlig neue, persönliche Gelüste – die Freiheit zu haben kreativ zu sein, Potenziale und Talente zu entfalten und dem eigenen Leben einen besonderen Sinn zu geben. Dies ist der Bereich von Branchen, die sich mit Luxusgütern und -dienstleistungen sowie dem Kredit- und Finanzwesen beschäftigen. Auf dieser Ebene entsteht für alle, die die anderen Ebenen bewältigt haben, ein starker persönlicher Druck.

Fazit: Die Systemrelevanz von Branchen wird bestimmt durch die direkte Befriedigung von Bedürfnissen der einzelnen Bürger. Auf den Ebenen der Grund-, Sicherheits-, sozial und Individualbedürfnisse sowie dem ultimativen Wunsch nach Selbstverwirklichung nimmt die Bedeutung zusehends ab. Aus diesem Grund sind jegliche mittelbaren Erklärungen, die behaupten, die Bedürfnisse zu befriedigen, stets mit Skepsis zu betrachten. Beispiele: Banken als systemrelevant zu bezeichnen, obwohl sie den Bürgern heutzutage keinen Service bereitstellen, sondern vor allem den Sparern in Deutschland Verluste von über 650 Mrd. Euro durch Niedrigzinsen erzeugen. Oder Ballsport, wie der FIFA-Fußball, der heute vor allem eine Umsatzmaschine von über vier Mrd. US-Dollar ist, auf Kosten der Allgemeinheit. Die Corona-Krise hat die Menschen auf die Ebene der Sicherheitsbedürfnisse heruntergeholt. Und kaum ist das Überleben gesichert, werden sofort die Bedürfnisse nach sozialem Kontakt eingeklagt. Wie lange es dauert, bis wir die Ebene der Individualbedürfnisse nach Erfolg wieder erreichen, ist nicht absehbar. Zwischenzeitlich wird die Systemrelevanz zu einem verbalen K.O.-Kriterium, der jeglichen Widerspruch im Keim erstickt und einen Rettungsschirm nach dem anderen einfordert.

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Der vorgeschobene Zweck

Das komplexe Zusammenspiel der Zwecke und Mittel sowie der Einfluss, der durch die unbeabsichtigten Folgen entsteht, führt zu einer gewissen Beliebigkeit des Zwecks. Im Prinzip ist es allen möglich, den Zweck entsprechend dem eigenen Interesse auszulegen und so den einen für einen anderen Zweck zu missbrauchen. Wenn beispielsweise eine Apotheke, deren Zweck es ist, Medikamente zur Heilung von Patienten bereitzustellen, billigere Mischungen liefert, um wirtschaftliche Interessen zu befriedigen; oder die Bahn nicht mehr den Zweck verfolgt, öffentliche Mobilität zu bieten, sondern Strecken aufgibt, weil sie nicht über die gewünschte Auslastung verfügen; oder wenn der Postdienst privatisiert wird und in der Folge verschiedene Dienstleister Pakete mit unterschiedlichen Fahrzeugen und Fahrplänen den ganzen Tag über zustellen – was in der Folge zu einem erhöhten Aufkommen von Vans führt. Wenn der nachvollziehbare Zweck durch einen anderen, meistens wirtschaftlichen, abgelöst wird, dann verkommt der eigentliche zu einem vorgeschobenen Zweck.

Am Ende liegt der Zweck im Auge des Betrachters. Dies bedeutet, dass man allen Maßnahmen unterschiedlichste Absichten unterstellen kann. Nichtsdestotrotz gibt es auch Versuche die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, und dafür einen Zweck vorzuschieben. Was für Gründe gibt es für einen Zweck?

  • Ursprüngliche Gründe
    Der Glaube an ein Erzeugnis, eine Dienstleistung oder eine Idee ist der Antrieb, der Erfindern und Gründern die Resilienz gibt, um den Anfang ihres Geschäfts zu überstehen. Das Vertrauen, das man für sich selbst oder für andere schafft, ermöglicht es, die enormen Aufwände und frühen Rückschläge zu überstehen und dranzubleiben. Die Familie von Carl Benz ist ein gutes Beispiel für die erforderliche Unterstützung – Bertha Benz und ihre Kinder, die es ermöglichten den Tipping-Point zur Auto-Mobilität zu überschreiten, indem sie die erste Überlandfahrt mit einem Auto gewagt und geschafft haben. Angetrieben waren sie von dem Glauben an das Automobil und die Fähigkeiten von Carl Benz.
  • Wirtschaftliche Gründe
    Die Serienfertigung durchdringt die Welt der Zwecke. Dabei ist es unerheblich, ob auf einem Band Autos, Zigaretten, Bücher oder Schnitzel hergestellt werden. Die ursprünglichen Zwecke der Mobilität, des Genussmittels, der Wissensvermittlung oder der Nahrungsaufnahme werden von dem Zweck verdrängt, das Band maximal auszulasten. Mit fortschreitender Automatisierung werden die Arbeitsplätze von Maschinen übernommen und der verbleibende Zweck ist es Mehr Wert zu erzeugen – unabhängig von dem ursprünglichen Zweck der Produkte. Angetrieben wird das immer vom Streben der Eigentümer nach mehr, egal in welcher Branche.
  • Marktgründe
    Besonders langlebige Unternehmen haben Verschiebungen des Zweckes über die Jahrzehnte mitgemacht. Ein gutes Beispiel ist 3M, die wir von Post-its kennen. Vielen ist der Ursprung, der sich im Namen wiederfindet, nicht bekannt – Minnesota Mining and Manufacturing Company. Zu Beginn hat 3M Mineralien abgebaut, um Schleifpapier für die Autoindustrie herzustellen. Heute verfügt das Unternehmen über 25.000 Patente, erzeugt 50.000 verschiedene Produkte auf der Basis von 47 Technologieplattformen. Angetrieben wird 3M von den Anforderungen der Kunden und des Marktes – und vom Erfindergeist der Mitarbeiter.
  • Marketinggründe
    In der Flut der Produkte müssen sich Unternehmen immer neue Wege einfallen lassen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Die ursprünglichen und wirtschaftlichen Zwecke treten dabei zugunsten von werbepsychologischen Zwecken in den Hintergrund. Ein Beispiel ist Greenwashing, z. B. MacDonalds Scale for good oder Nestlés NaturaALL Bottle Alliance. Hierbei wird aus Gründern der PR die Ausbeutung von Ressourcen verdeckt und gleichzeitig Kunden mit „grüneren“ Angeboten angelockt. Angetrieben wird dieser Zweck durch das zwanghafte Suchen nach verwertbarer Aufmerksamkeit.
  • Persönliche Gründe
    Mitarbeiter und Führungskräfte sind nicht unbedingt interessiert an dem eigentlichen Zweck eines Unternehmens, sondern mehr an der eigenen Weiterentwicklung. Das wird vor allem sichtbar an Managern, die von einer Branche in die andere wechseln und verschiedene Tätigkeits- und Verantwortungsbereiche sowie Vorstandsposten ausfüllen, bezeichnenderweise, bevor die nachteiligen Folgen ihres Tuns sie einholt – aus naheliegend rechtlichen Gründen stehen hier keine Namen. Deren eigentlicher Zweck ist die persönliche Karriere. Dafür werden je nach Ausgangslage passende Gründe vorgeschoben, obwohl es nur um das Eine geht. Angetrieben wird dieser Zweck durch den persönlichen Ehrgeiz.

Die größte Schwierigkeit ist heute, dass sich jegliche Unternehmungen hinter wirtschaftlichen Gründen verstecken. Dabei sollte ein Unternehmen seinen ureigensten Zweck erfüllen –

  • Krankenhäuser sollten die Krankenversorgung, nicht den Gewinn steigern durch zu viele Operationen
  • Eisenbahnen sollten die Angebote des öffentlichen Verkehrs erweitern, nicht die Schließung von Strecken im Interesse von Mehr Wert
  • Netzanbieter sollten die Abdeckung des Handynetzes erhöhen, nicht die Einführung der neuesten Bandbreite nur für die städtischen Regionen

Fazit: Der Zweck eines Unternehmens ist häufig nicht klar. Mit dem Shareholder-Value haben die Unternehmen einen Zweck gefunden, der jenseits des ursprünglichen liegt (außer: bei Banken). Dabei werden bestimmte Gruppen auf Kosten aller befriedigt. Die ursprüngliche Raison d’être eines Unternehmens wird aufgegeben im Interesse der Wirtschaftlichkeit. Damit nicht genug gibt es weitere mögliche Gründe, an denen sich ein Unternehmen ausrichtet (s.o.). Und das, obwohl in der Versorgung der Bevölkerung mit lokalen Agrarprodukten, die nicht die Umwelt zerstören, oder in der Betreuung von Senioren mehr Sinnhaftigkeit steckt, als in der Gewinnmaximierung auf Kosten des eigentlichen Zwecks. Aber Achtung: Das Commitment der Mitarbeiter und der Gesellschaft lässt sich nicht mittels eines vorgeschobenen Zwecks erreichen.