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Der vorgeschobene Zweck

Das komplexe Zusammenspiel der Zwecke und Mittel sowie der Einfluss, der durch die unbeabsichtigten Folgen entsteht, führt zu einer gewissen Beliebigkeit des Zwecks. Im Prinzip ist es allen möglich, den Zweck entsprechend dem eigenen Interesse auszulegen und so den einen für einen anderen Zweck zu missbrauchen. Wenn beispielsweise eine Apotheke, deren Zweck es ist, Medikamente zur Heilung von Patienten bereitzustellen, billigere Mischungen liefert, um wirtschaftliche Interessen zu befriedigen; oder die Bahn nicht mehr den Zweck verfolgt, öffentliche Mobilität zu bieten, sondern Strecken aufgibt, weil sie nicht über die gewünschte Auslastung verfügen; oder wenn der Postdienst privatisiert wird und in der Folge verschiedene Dienstleister Pakete mit unterschiedlichen Fahrzeugen und Fahrplänen den ganzen Tag über zustellen – was in der Folge zu einem erhöhten Aufkommen von Vans führt. Wenn der nachvollziehbare Zweck durch einen anderen, meistens wirtschaftlichen, abgelöst wird, dann verkommt der eigentliche zu einem vorgeschobenen Zweck.

Am Ende liegt der Zweck im Auge des Betrachters. Dies bedeutet, dass man allen Maßnahmen unterschiedlichste Absichten unterstellen kann. Nichtsdestotrotz gibt es auch Versuche die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, und dafür einen Zweck vorzuschieben. Was für Gründe gibt es für einen Zweck?

  • Ursprüngliche Gründe
    Der Glaube an ein Erzeugnis, eine Dienstleistung oder eine Idee ist der Antrieb, der Erfindern und Gründern die Resilienz gibt, um den Anfang ihres Geschäfts zu überstehen. Das Vertrauen, das man für sich selbst oder für andere schafft, ermöglicht es, die enormen Aufwände und frühen Rückschläge zu überstehen und dranzubleiben. Die Familie von Carl Benz ist ein gutes Beispiel für die erforderliche Unterstützung – Bertha Benz und ihre Kinder, die es ermöglichten den Tipping-Point zur Auto-Mobilität zu überschreiten, indem sie die erste Überlandfahrt mit einem Auto gewagt und geschafft haben. Angetrieben waren sie von dem Glauben an das Automobil und die Fähigkeiten von Carl Benz.
  • Wirtschaftliche Gründe
    Die Serienfertigung durchdringt die Welt der Zwecke. Dabei ist es unerheblich, ob auf einem Band Autos, Zigaretten, Bücher oder Schnitzel hergestellt werden. Die ursprünglichen Zwecke der Mobilität, des Genussmittels, der Wissensvermittlung oder der Nahrungsaufnahme werden von dem Zweck verdrängt, das Band maximal auszulasten. Mit fortschreitender Automatisierung werden die Arbeitsplätze von Maschinen übernommen und der verbleibende Zweck ist es Mehr Wert zu erzeugen – unabhängig von dem ursprünglichen Zweck der Produkte. Angetrieben wird das immer vom Streben der Eigentümer nach mehr, egal in welcher Branche.
  • Marktgründe
    Besonders langlebige Unternehmen haben Verschiebungen des Zweckes über die Jahrzehnte mitgemacht. Ein gutes Beispiel ist 3M, die wir von Post-its kennen. Vielen ist der Ursprung, der sich im Namen wiederfindet, nicht bekannt – Minnesota Mining and Manufacturing Company. Zu Beginn hat 3M Mineralien abgebaut, um Schleifpapier für die Autoindustrie herzustellen. Heute verfügt das Unternehmen über 25.000 Patente, erzeugt 50.000 verschiedene Produkte auf der Basis von 47 Technologieplattformen. Angetrieben wird 3M von den Anforderungen der Kunden und des Marktes – und vom Erfindergeist der Mitarbeiter.
  • Marketinggründe
    In der Flut der Produkte müssen sich Unternehmen immer neue Wege einfallen lassen, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Die ursprünglichen und wirtschaftlichen Zwecke treten dabei zugunsten von werbepsychologischen Zwecken in den Hintergrund. Ein Beispiel ist Greenwashing, z. B. MacDonalds Scale for good oder Nestlés NaturaALL Bottle Alliance. Hierbei wird aus Gründern der PR die Ausbeutung von Ressourcen verdeckt und gleichzeitig Kunden mit „grüneren“ Angeboten angelockt. Angetrieben wird dieser Zweck durch das zwanghafte Suchen nach verwertbarer Aufmerksamkeit.
  • Persönliche Gründe
    Mitarbeiter und Führungskräfte sind nicht unbedingt interessiert an dem eigentlichen Zweck eines Unternehmens, sondern mehr an der eigenen Weiterentwicklung. Das wird vor allem sichtbar an Managern, die von einer Branche in die andere wechseln und verschiedene Tätigkeits- und Verantwortungsbereiche sowie Vorstandsposten ausfüllen, bezeichnenderweise, bevor die nachteiligen Folgen ihres Tuns sie einholt – aus naheliegend rechtlichen Gründen stehen hier keine Namen. Deren eigentlicher Zweck ist die persönliche Karriere. Dafür werden je nach Ausgangslage passende Gründe vorgeschoben, obwohl es nur um das Eine geht. Angetrieben wird dieser Zweck durch den persönlichen Ehrgeiz.

Die größte Schwierigkeit ist heute, dass sich jegliche Unternehmungen hinter wirtschaftlichen Gründen verstecken. Dabei sollte ein Unternehmen seinen ureigensten Zweck erfüllen –

  • Krankenhäuser sollten die Krankenversorgung, nicht den Gewinn steigern durch zu viele Operationen
  • Eisenbahnen sollten die Angebote des öffentlichen Verkehrs erweitern, nicht die Schließung von Strecken im Interesse von Mehr Wert
  • Netzanbieter sollten die Abdeckung des Handynetzes erhöhen, nicht die Einführung der neuesten Bandbreite nur für die städtischen Regionen

Fazit: Der Zweck eines Unternehmens ist häufig nicht klar. Mit dem Shareholder-Value haben die Unternehmen einen Zweck gefunden, der jenseits des ursprünglichen liegt (außer: bei Banken). Dabei werden bestimmte Gruppen auf Kosten aller befriedigt. Die ursprüngliche Raison d’être eines Unternehmens wird aufgegeben im Interesse der Wirtschaftlichkeit. Damit nicht genug gibt es weitere mögliche Gründe, an denen sich ein Unternehmen ausrichtet (s.o.). Und das, obwohl in der Versorgung der Bevölkerung mit lokalen Agrarprodukten, die nicht die Umwelt zerstören, oder in der Betreuung von Senioren mehr Sinnhaftigkeit steckt, als in der Gewinnmaximierung auf Kosten des eigentlichen Zwecks. Aber Achtung: Das Commitment der Mitarbeiter und der Gesellschaft lässt sich nicht mittels eines vorgeschobenen Zwecks erreichen.