Archiv der Kategorie: Changemanagement

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Der Tritt in den Sogenannten – die ideale Metapher für eine Störung

Das Ergebnis jahrzehntelanger Standardisierungen ist Bürokratie in allen Bereichen. Sichtbar wird das an Regelungen, die das Fehlverhalten einer verschwindenden Minderheit verhindern soll. Getroffen werden aber alle Mitarbeitenden und Entscheidenden, denen damit jeglicher Handlungsspielraum genommen wird. Die Folge ist eine gleichmäßige Verteilung der Inaktivität innerhalb des Bereichs. Diese organisationale Erstarrung wird nur durch Störungen verhindert – wie zum Beispiel durch einen Tritt in den Sogenannten.

Unsinnigerweise (ver)meiden Verantwortliche Störungen wie der Teufel das Weihwasser. Dabei übersehen sie, dass sie damit ein Gleichgewicht der Regungslosigkeit erzeugen, indem der bestraft wird, der sich zuerst bewegt. Diesem Teufelskreis entgehen Sie nur, wenn Sie das Geschehen aufmischen. Beispielsweise durch Störungen.

  • Es braucht mehr als einen
    Menschen werden durch ihre Motive angetrieben. Das Ergebnis sind mehrere, oft unterschiedliche Interessen in einer Gruppe. Das Ganze erweitert dadurch seine Möglichkeiten – solange die einzelnen Interessen nicht zurückgehalten werden. Dies ist ein wichtiger Grund, stets mehrere Personen ins Team einzubauen, auch wenn trotzdem eine die Führung übernimmt – die Verantwortung ist nach dem Highlander-Prinzip nicht teilbar.
  • Diversität sicherstellen
    Je unterschiedlicher die Teilnehmer, desto vielfältiger sind die Anregungen. Ausgrenzung bringt den ewig Gestrigen nicht mehr den Selbstschutz, den Gleichgesinnte brachten. Im Gegenteil. Es ist geschäftlicher Selbstmord, Gleichartigkeit der Meinungen anzustreben, da das gegenseitige Schulterklopfen die Entropie erhöht. Andere Sichten werden nicht gesehen und die Möglichkeiten der Diversität werden nicht ausgeschöpft – was zu hausgemachtem Scheitern führt. Stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeiter unterschiedlichste Geschlechter, Alter, Weltanschauungen und betriebliche Funktionen abdecken und schöpfen Sie die vielfältigen Perspektiven aus.
  • Überraschungen würdigen
    In der Vergangenheit war es eine der schlimmsten Verfehlungen, Überraschungen nicht vermieden zu haben. Inwieweit ein unerwarteter Sachverhalt absehbar war oder nicht, spielte keine Rolle. Es wurde einem unterstellt schlechte Nachrichten zu vertuschen, kein Vertrauen zu haben oder zumindest sich nicht ausreichend abgesichert zu haben, um Veränderungen frühzeitig melden zu können. Für Sie ist es entscheidend, eine tolerante Fehlerkultur aufzubauen, die Fehler verzeiht und als Lernchance betrachtet, sowie die Fähigkeiten auszubauen, um Schwierigkeiten kommen zu sehen – z.B. durch pro-aktives Stakeholdermanagement.
  • Feedback umdenken
    Die Vermeidung von Austausch von Ideen, Skizzen, Konzepten und Ergebnissen ist ein natürlicher Selbstschutz, um sich vor Kritik zu schützen. Dieser Stolperstein ist dabei ein ver-rücktes Mindset, das unterstellt, dass die anderen Gegner sind, Beanstandungen einem schaden sollen und die eigene Erfüllung von Aufgaben dadurch gestört wird. Sie sollten alles tun, um diese Chancen einfacher nutzen zu können. Es helfen Werte und Regeln für den Austausch von gutem Feedback. Die Rückmeldungen von anderen sollten klar, sachlich, wertfrei, zeitnah und unter vier Augen ausgetauscht werden – ohne toxisches Feedback auf Feedback.
  • Unordnung ist das Zwischenziel
    Zur Erinnerung: Es geht um die Erhaltung einer kreativen Unordnung, die verhindert, dass die Beteiligten in Trägheit versinken. Die letztendlichen Ergebnisse sollten so frei von Unordnung sein wie möglich und den Kunden die Leistung liefern, die sie bezahlt haben – nicht übertrieben mehr, auf keinen Fall weniger. Das Zwischenziel ist ein Arbeitsergebnis, das der Amelioration dient. Als Führungskraft sind Sie der entscheidende Faktor. Sie müssen einerseits die fruchtbare Unordnung sicherstellen, indem Sie gegebenenfalls die Rolle des Advocatus Diaboli übernehmen, um Ermattung der Beteiligten zu stören. Andererseits müssen vor allem Sie die geschaffene Unordnung aushalten und dem Impuls eine Mikromanagers widerstehen, sich in die Aktivitäten der Mitarbeiter einzumischen.

Fazit: Entgegen der Vorannahme, dass Unordnung etwas Schlechtes sei, sollten Führungskräfte lernen, die Kraft anderer, manchmal widersprüchlicher Meinungen für sich zu nutzen. Machtmenschen unterdrücken jegliches Engagement anderer, die anders denken als sie selbst. Das passt nicht mehr in eine Zeit, in der alles rasant in Bewegung ist. Es ist besser, Gegenargumente im Team aufzudecken und zu reagieren, als sie später vorgeworfen zu bekommen, wenn alles bereits in der falschen Richtung unterwegs ist. Aus diesem Grund braucht es immer mehr als einen zur Lösung von Aufgaben. Die Arbeitsteams sollten in jeder Hinsicht möglichst divers sein, da dadurch unterschiedliche Sichten und Schwächen schneller erfasst werden. Passieren trotzdem Überraschungen, dann ist das der eheste Zeitpunkt, um eine Schwierigkeit zu lokalisieren und gegenzusteuern. Damit Meinungen reibungsfrei ausgetauscht werden können, braucht es eine offene Feedback-Kultur. Die vielen Zwischenergebnisse werden durch die obigen Maßnahmen reif für einen Diskurs. Am Ende sollte die Kundenleistung bestmöglich ausgestaltet sein und von allen mitgetragen werden. Eine Störung mischt die Lethargie einer harmonieüberladenen Arbeitsgruppe auf, wie der Tritt in den Sogenannten. Das macht ihn zur idealen Metapher für eine Störung.

Lernen aus eigener Erfahrung

Wir lernen durch Beobachtung von Lehrern oder anderen und aus den Erfahrungen, die wir selbst machen. Dabei spielt sich alles in unseren Köpfen ab – in jedem Einzelnen. Die Lektionen werden durch mündliche Weitergabe und entsprechende Trägermedien übermittelt – z.B. Werkzeuge, Instrumente, Skulpturen, Visualisierungen und multimediale Medien. Wenn Zeitzeugen fehlen, werden vergangene Erfahrungen nur durch Objekte sichtbar. Aus historischen Funden leiten wir die Erkenntnisse früherer Menschen ab. Mündliche Überlieferungen wie die der Aborigines, die Ereignisse und Erfahrungen der Vergangenheit seit undenklichen Zeiten von Generation zu Generation weitergeben, sehen klassische Medien nicht als bestätigte Nachweise. Deshalb akzeptieren beispielsweise die Regeln von Wikipedia keine Beiträge, die Mund zu Mund überliefert sind. Damit liegt ein großer Teil unseres Wissens im Dunkeln des Undokumentierten. Das vorzeigbare Know-how ist beschränkt auf die gefundenen Artefakte – Faustkeile von vor 1,75 Millionen Jahren; über 40.000 Jahre alte Flöten; Höhlenmalereien und Skulpturen, die über 30.000 Jahre alt sind. Bei aller Körperlichkeit der Objekte bleiben uns die Bedeutung und die damit verbundenen Gedanken und Fähigkeiten unerreichbar.

Durch entsprechende Auslegung können Erkenntnisse, wie z.B. das Wissen über vergessene medizinische Wirkstoffe wieder zum Leben erweckt werden. Eine entscheidende Rolle bei der Wiederverwendung spielen die Sprache, das Übertragungsmedium und der Kontext. Diese Aspekte gelten auch für die Flut an begutachteten wissenschaftlichen Veröffentlichungen (mehr als 2,5 Mio. Artikel in 2018). Was sollten wir bedenken, wenn wir aus früheren Erfahrungen lernen wollen?

  • Die Sprache offenbart – wenn auch nicht alles
    Wir leben mit der Illusion, dass Überzeugungen nachvollziehbar in eine sprachliche Form gebracht werden können. Dabei übersehen wir, dass die Formate des Ausdrucks nicht in der Lage sind, die tatsächliche Bedeutung vollständig zu transportieren (s. Meta-Modell der Sprache). Das gilt vor allem für die genutzten Zeichen und Worte und das abweichende Vokabular von Sprachen (Fachjargons und Übersetzungen) – wenn beispielsweise das Verständnis von kurz-, mittel- und langfristig von einem bis zehn Jahre auf einen Monat bis drei Jahre verkürzt wird, hat dies unterschiedliche Auswirkungen. Im ersten Fall kann die Zukunft gemeinsam gestaltet werden. Im zweiten Fall läuft die Belegschaft immer neuen Vorgaben hinterher, ohne eine Chance zu haben, sich zu beteiligen.
    Historische Aussagen können wir nur durch Annahmen nutzen. Obwohl wir die Zeichenfolge eines Wortes lesen können, wissen wir nicht, was sie ursächlich bedeuteten. Die alten Griechen unterschieden projekthafte Geschäftstätigkeit zum Erwerb des Lebensunterhaltes und der Finanzierung der Muße von der körperlichen Sklavenarbeit. Das entspricht nicht mehr unserer heutigen Sicht, bei der die Work-Life-Balance im Vordergrund steht. Der Anreiz zu arbeiten (Work) ergibt sich heute intrinsisch aus dem Verlangen nach Anerkennung und Selbstbestätigung sowie extrinsisch aus pekuniären und anderen geldwerten Leistungen. Der Drang nach Work-Life-Balance ist der Versuch die Belastungen der Tätigkeit durch Freizeitaktivitäten (Life) auszugleichen, nicht Muße. Die Unannehmlichkeiten der Arbeit, die Abhängigkeiten, Fremdbestimmungen und Entmündigungen sollen in der Freizeit diese Nachteile durch einen übervollen Kalender von Freizeitaktivitäten ausgleichen.
    Die Begrifflichkeiten der Arbeit und Nicht-Arbeit haben sich über die Jahrhunderte immer wieder verschoben – selbst bei der Agilisierung der letzten Jahre. Trotzdem halten Unternehmen weiter an vertikaler und horizontaler Arbeitsteilung fest. Mit ihren veralteten Vorgehen scheitern Unternehmen bei der Einführung neuer Führungsstile für die agile VUKA-Welt.
  • Das Medium überträgt – wenn auch nicht für immer
    Die Langlebigkeit und die Verfügbarkeit eines Mediums legen fest, ob Auffassungen sichtbar bleiben. Höhlenwände, die unzugänglich und vor Licht geschützt trocken liegen, haben Zeichen und Bilder über vierzigtausend Jahre erhalten – Keramiktafeln überdauern 5000 Jahre; Bücher und Handschriften erleben mehrere Jahrhunderte; Filme lösen sich nach 40 bis 150 Jahren auf. So wie die meisten Artefakte aus der Vergangenheit verschwunden sind, werden unsere heutigen Medien sich auflösen – optische Speichermedien halten fünf, 100 und in professionellen Fällen 1000 Jahre; Festplatten und Flash-Speicherüberstehen bis zu zehn Jahre. In Ermangelung von mündlicher Überlieferung verschwand durch die geringe Haltbarkeit der Medien der größte Teil der Erfahrungen. Selbst wenn sie lange Zeit überstehen, müssen sie erst mal gefunden werden und lesbar sein. Erinnern wir uns an die Schriftrollen vom Toten Meer, die nach fast zweitausend Jahren entdeckt wurden.
    Zum besseren Verständnis fehlen dann noch die undokumentierten Puzzlesteine – die Erfahrungen, die nicht aufgezeichnet wurden, und das fehlende Verständnis des Entstehungskontexts.
    Handbücher liefern allgemeine Grundlagen, aber es würde deren Rahmen sprengen, wenn das Umfeld beschrieben wäre. Damit ist der Einsatz bei den sich wandelnden Aufgaben eine Transferleistung, die nur mit viel Aufwand möglich ist. Ein Beispiel ist das aufwendige BPM der Achtziger, das nicht mehr zu den jetzigen, sich schnell ändernden Tätigkeiten passt.
  • Der Kontext unterstützt – wenn auch nicht überall
    Die Erfahrungen entstehen stets in einem bestimmten Umfeld. Das Verständnis der Begleitumstände setzen die Autoren stets voraus. In der Folge vergessen sie wesentliche Erläuterungen des Zusammenhangs. Dadurch bleiben die ausgearbeiteten Eindrücke missverständlich. Betrachten wir die Herrschaft des Volkes, die Demokratie, d.h. die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Beschlüssen. Im antiken Griechenland waren nur sogenannte Vollbürger, 10-20% der Bürger (i.e. Athener, die kämpfen konnten, allerdings keine Frauen, Sklaven oder Fremde) an Entscheidungen beteiligt. Wir verstehen unter Demokratie heute Mitbestimmung der gesamten Bevölkerung, Gleichberechtigung, Mehrheitsentscheidungen usw. – zumindest prinzipiell.
    Der Kontext setzt sich aus unterschiedlichen Reichweiten (lokal, regional, kontinental und global) zusammen. Die sich ergebende Mischung ist nur schwer greifbar – der berlinerische Charlottenburger unterscheidet sich von dem italienischen Schwabinger und gleichzeitig teilen sie miteinander die deutsche Mentalität.
    Die entsprechenden Zusammenhänge werden nicht mitgeliefert und gehen mit der Zeit verloren. Heute versuchen wir mit Kulturstudien diesen Kontext herzustellen, was sehr schwer ist, da diese Inhalte selten beschrieben sind und Zeitgenossen nicht mehr gefragt werden können. Denken wir an die Gestaltung der Abläufe nach den Prinzipien des Taylorismus: es gibt einen, besten Weg; Ort und Zeit stehen fest; fein gegliederte Aufgaben werden angestrebt; Einwegkommunikation; kleingliedrige Zielvorgaben ohne Bezug auf Unternehmensziele; Qualitätssicherung von Dritten. In der schnelllebigen Welt von VUKA lassen sich diese Ansprüche aufgrund der latenzfreien Reaktionszeit nicht mehr verwirklichen.

Fazit: Aufgrund der Beschränkungen der Sprache, den selten verfügbaren und schwer verständlichen Nachweisen sowie dem fehlenden Kontext können frühere Erfahrungen nur mit großen Anstrengungen wiederverwendet werden. Meistens werden frühere Erfahrungen genutzt, um durch den Autoritätsbias die Zielgruppe zur Zustimmung zu bewegen (i.e. die Tendenz der Aussage einer Autorität zuzustimmen, unabhängig von ihrem Inhalt, obwohl man eine andere Meinung hat). Schon Goethe proklamierte im Faust „Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“. Mit der Flut an Quellen, Erfahrungen und Fake News gibt es zu viele Ansätze, dass eine sachliche Wahl des „richtigen“ Ansatzes unmöglich wird. Aus diesem Grund müssen wir unsere eigenen Erfahrungen machen – uns irren, Fehler aushalten und es noch mal versuchen, bis es funktioniert.