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Das energiegeladene Sinn(liche)Bild

Wir stecken in dem Dilemma, dass wir in kürzer werdenden Abständen einer steigenden Flut von Daten ausgesetzt sind. Es fehlt die Zeit, um sie angemessen zu verarbeiten. Zusätzlich belasten kulturell bedingte Ausdrucksformen den Austausch. Trifft High- auf Low-Context, löst der ungewohnte Stil des Gegenübers unerwartete Reflexe aus: Langeweile oder Ungeduld, Un- und Missverständnisse und am Ende unterschiedlich ausgelegte Ergebnisse. Werden Zeichen, Worte und Ausdrucksweisen unterschiedlich ausgelegt, belastet das das gegenseitige Verständnis. Dies gilt vor allem, wenn der Inhalt nicht von Sinn(lichen) Bilder transportiert wird.

Sinnbild(lich) werden die Inhalte, indem sie sich nicht auf Zahlen, Daten und Fakten beschränken, sondern zusätzlich sinnliche Aspekte beschreiben: visuell, auditiv, kinästhetisch. Zu diesem Zweck drücken wir einen Sachverhalt über mehrere Kanäle aus. Vehikel hierfür sind Metaphern, Analogien oder Symbole, die wir schriftlich oder bildlich ausgestalten.

  • Symbol – der minimalistische Bedeutungsträger
    Ein Symbol ist ein einfaches Zeichen, das komplexe Tatbestände repräsentiert. In der südafrikanischen Blombos-Höhle befindet sich das bisher älteste gefundene Symbol (geschätzte 75.000 bis 100.000 Jahre alt) – eine Art Kreuzschraffur (mehr zu derartigen Funden: hier). Derzeit gehen Anthropologen davon aus, dass es sich um magische Glücksbringer für die Jagd handelt. Erfahrene, in Trance versunkene Schamanen malten sie an die Wände von unbewohnten Höhlen. Heutzutage kennen wir Symbole in unterschiedlichen Bereichen. In der Politik kennen wir Nationalfahnen, Wappen, Parteilogos. Die Anhänger einer Religion schöpfen viel Kraft und Gemeinschaftsgeist aus ihrem Signet. Das gilt für das christliche Kreuz, die muslimische Mondsichel oder den jüdischen Davidstern. In der PR finden wir wertvolle Logos, wie den olympischen Kreisen, die Audi-Kreisen, oder dem Apple-Apfel. Techniker stellen mit grafische Zeichen in ihren Schaltplänen, Abläufen und Strukturplänen komplexe Zusammenhänge dar.
    Ein Symbol ist ein Sinnbild und Erkennungszeichen. Es verweist auf die umfangreichen Sachverhalte eines Themenbereichs. Auf der einen Seite warnt ein Kennzeichen vor Unerwünschtem oder Abgelehntem. Es schreckt ab und warnt mit einer Warnung vor Wildwechsel oder mit einem Totenkopf vor einer giftigen Substanz. Auf der anderen Seite erzeugt ein Symbol das Gefühl von Gemeinschaft und damit eine Identität.
  • Analogie – aufgrund von gleichen Eigenschaften
    Eine Analogie liegt vor, wenn zwei Umstände oder Dinge über gleiche Attribute verfügen. Im einfachen Fall handelt es sich um übereinstimmende Eigenschaften. Ein Beispiel ist der Vergleich von Xi Jinping mit Mao Zedong (beide sind überragende Führer Chinas). Komplexe Fälle ergeben sich aus ähnlichen, mittelbar abgeleiteten Merkmalen. Das Uhrwerk und die tayloristische Struktur eines Unternehmens haben einiges gemeinsam. Nehmen wir als Beispiel die Eigenschaft, dass sie aus Teilen bestehen, die zusammen einen Zweck erfüllen und vergleichbar anfällig sind.
    Die Analogie lebt davon, dass wir ähnliche Muster in verschiedenen Sachverhalten erkennen, durch die wir die gleichen Eigenarten bemerken. Es ist unwichtig, ob und wie wir die sich überschneidenden Merkmale bewerten. Holz- und Plastikbausteine verfügen über gleiche Eigenschaften. Sie lassen sich beliebig kombinieren und unendlich wiederverwenden. Darüber hinaus trainieren sie die Feinmotorik, schaffen gestalterische Erfolgserlebnisse und lassen sich altersunabhängig einsetzen.
  • Metapher – die packende Analogie
    Metaphern beschreiben anspruchsvolle Analogien mit zusätzlichen Aspekten, angepassten Strukturen, einem zweckdienlichen Handlungsstrang und überzeugenden Argumenten. Betrachten wir den Bau eines Gebäudes, dann ähnelt er einem Projekt. Beide bestehen aus verschiedenen Aufgaben, Rollen, Interdependenzen, Abläufen (mit definiertem Start und Ende), Meilensteinen und vielem mehr. Beim Bau der Pyramiden denken wir an riesige Bauelemente, „Sklaven“, Ressourcen, Transportwege und -techniken, Räumlichkeiten, Rituale und vielem mehr.
    Die Metapher lebt von einer spannenden Geschichte. Sie reißt mithilfe eines ausgefeilten Spannungsbogens das Publikum mit und vermittelt wirkungsvoll die eigentliche Botschaft. Wenn etwa aus Bausteinen unerwartete Gebilde entstehen, wie eine Brücke, die drei Menschen trägt und einen drei Meter breiten Bach überspannt. Und mehr als 500 Personen in 60 Minuten das Ganze erbauen. Die Geschichte vermittelt, dass wir scheinbar Undenkbares erreichen, wenn wir es versuchen. Die verblüffenden Schlüsse wirken anhaltend bei den Zuschauern, die sie emotional erreichen und in ihren Köpfen verankern.

Fazit: Das Bestreben, Inhalte oder sich bestmöglich zu präsentieren, führt zu vermeintlich vollständigen, mit Daten überladenen Inhalten. Trockene Vorträge lassen sich schwer verarbeiten und merken, da sie frei von emotionalen Ankern sind. Durch die Nutzung einer sinnlich geladenen Metapher erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Publikum die gewünschten Kernbotschaften mitnehmen. Im einfachsten Fall schaffen Zeichen ein merkwürdiges Symbol, das an das Thema erinnert, wenn es auftaucht. Eine sinnlich aufgeladene Metapher macht es wahrscheinlicher, dass das Publikum die beabsichtigten Kernbotschaften annimmt. Eine Metapher wirkt anhaltend, wenn sie die Merkmale und Bestandteile spannend darstellt. Der schlüssige Ablauf begründet am Ende das vorgestellte Thema. Das Sinn(liche)Bild liefert die Energie, die alle Beteiligten und ihre Aktivitäten durchdringt und das Momentum erhält.

Gedanken sind frei

Im dunklen Zeitalter sprachen die Menschen miteinander und tauschten dadurch ihre Gedanken aus. Die Zuhörenden erzählten das Gehörte weiter – vielleicht mit einer persönlichen Einschätzung des Gesagten. Da immer mehr Menschen ihre Kräfte bündelten und sich auf das festlegten, was sie am besten konnten, entwickelten sich auch Experten für Inhalte. Sie erschufen Schöpfungsmythen, Kulturen, Wirtschaftssysteme und in der Folge Gesellschaften mit einem gemeinsamen Selbstverständnis. Die zunehmende Verfügbarkeit von Büchern führte zu unterschiedlichen und manchmal widersprüchlichen Weltbildern. Heute können alle, die einen Zugriff auf das Internet haben, sich mit allen anderen austauschen – sofern sie zueinanderfinden. Wer hätte je erwartet, dass die so steigende Verfügbarkeit von Inhalten zu einem Problem werden könnte?

Mittlerweile befinden wir uns mitten im Kampf der Kulturen, der von Samuel Huntington bereits in den Neunzigern beschrieben wurde. Heute geht es rechthaberisch nur noch darum, wer die Hoheit über die Wahrheit hat. So wie beim kochenden Frosch-Syndrom heizen sich die Diskussionen zwischen unterschiedlichen Standpunkten immer weiter auf. Zur Befriedung sollten die wettstreitenden Parteien sich die folgenden Punkte bewusst machen.

  • Wir teilen UNSERE Gedanken
    Unser Gehirn steuert überwiegend unsere Körperfunktionen und erzeugt quasi nebenbei unser Bewusstsein. Vor dem Bewusstwerden stecken die Wahrheiten verborgen in der Latenz. Ein Heureka macht uns aufmerksam und die Gedanken werden damit zu unserer Wirklichkeit. Rauscht das Meer oder rascheln die Bäume, solange es keine Beobachtenden gibt? Kann das Meer rauschen, wenn wir den Begriff rauschen nicht kennen? Raschelt es, wenn die Bäume in Wirklichkeit knarren?
    Bereits mit der Wahl unserer Worte verlassen wir die neutrale Position des unbeteiligten Beobachters. Ob wir etwas einfach so meinen, oder vielleicht glauben, es zu kennen, oder ganz davon überzeugt sind, es zu wissen, macht für andere Menschen keinen Unterschied. In allen Fällen ist unser Gedanke in der Welt. Das gilt vor allem für abstrakte Begrifflichkeiten, die sich nur geistig begreifen lassen. Die mitgeteilten Äußerungen lassen sich nur vage in Wissen, Glauben oder Meinung unterscheiden. Nichtsdestotrotz teilen wir UNSER Denken – auch jetzt.
  • Die Arroganz der Blasen
    Neue Inhalte setzen auf unseren bestehenden Vorstellungen auf. Ohne das bereits latent verfügbare Neue in unseren mentalen Modellen fehlen Anknüpfungspunkte und es wird sich kein Ach so Die oft bemängelten Filter- und Informationsblasen tragen wesentlich zur Vorbereitung neuer Einsichten bei. Der Echokammereffekt, der dadurch entsteht, dass die immer gleichen Daten zu einem bestätigenden Nachhall anschwellen, erzeugen in unserem Denken einen Resonanzraum, der mit der Zeit unsere Aufmerksamkeit auf die bekannten und irgendwann als wahr angenommenen Inhalte ausrichtet. Diese Blasen reichen von den Verschwörungstheorien bis hin zu den wissenschaftlichen Disziplinen. Wir lassen Anerkanntes leichter gelten, bewerten es höher und blenden Befremdliches aus. Schlussendlich werden Andersdenkende zur weiteren Untermauerung der eigenen Sicht diffamiert – als Unwissende, Falschgläubige und Spinner. Wenn dann noch Demagogen diese Mechanismen ausnutzen, dann befinden wir uns mitten in der Politik der gesinnungslosen Versprechungen. Wenn Anhänger einer Anschauung Andersdenkende arrogant verunglimpfen und ausgrenzen, dann wird es schwer, einen Diskurs zu führen – Vorsicht vor Dogmatikern, Demagogen und Scharfmachenden aller Art.
  • Für eine Durchlässigkeit der Blasen
    Damit sich die Ränder der Blasen nicht verfestigen, brauchen wir wechselseitig durchlässige Grenzen, die andere Sichtweisen zulassen. In der Vergangenheit hallten die Erkenntnisse im näheren Umfeld wider – in der Familie, bei der Arbeit, im Dorf oder in der Region. Die Massenmedien und sozialen Netze ermöglichen die Vernetzung von Gleichgesinnten auf der ganzen Welt. Innerhalb der Blase finden sich so viele Bestätigungen, dass eine Erkenntnis jetzt schnell zu einer globalen „Wahrheit“ wird, die das Gefühl, verstärkt, im Recht zu sein.
    Damit die Konflikte, die sich aus dieser Selbstbezogenheit ergeben, im Vorhinein vermieden oder nachträglich aufgelöst werden können, brauchen wir eine Durchlässigkeit der Blasengrenzen. Zu diesem Zweck sollten zuallererst die Erkenntnisse anderer nicht als unqualifizierte, abergläubische oder unbewiesene Aussagen verleumdet werden. Die Durchlässigkeit steigt durch direkten Austausch der Standpunkte über die Grenzen der mentalen Modelle hinweg – mehr neutrale, blasenübergreifende Diskussionsgelegenheiten als den Einsatz von Echoverstärkern (z.B. Fake-News, Verunglimpfung; Panikmache); mehr Auseinandersetzung mit Widersprüchen als bestätigendes Schulterklopfen; mehr Einbindung Andersdenkender als Ausgrenzung. Der Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 ist ein gutes Beispiel, dass undurchlässige Grenzen nicht überlebensfähig sind – Offenheit ist eine wichtige Voraussetzung für die nächste Stufe der Viabilität.
  • Denken n.0
    Mit der Auflösung der geographischen und zeitlichen Distanzen, wenn alles nur noch einen Klick entfernt ist, brauchen wir einen angemessenen Umgang mit den Echokammern und der gleichzeitig unüberschaubaren Verfügbarkeit von mentalen Modellen – ein Denken n.0.
    – Unterschiedliche und widersprechende Denkwelten sind auf der gleichen Augenhöhe.
    – „Friedliche“ Diskurse, die auf einer klaren Problem-/Zielbestimmung, der Trennung von Person und Thema, der Berücksichtigung der Botschaftsaspekte, und einem entsprechenden Verhaltenskodex aufbauen (z.B. schlüssiger Ablauf, keine Killerphrasen, aktives Zuhören, Kurzfassen, Aussagen würdigen), sind unerlässlich.
    – Das Mindset sollte sich seiner kognitiven Verzerrungen und sonstigen Denkfallen bewusst sein.
    – Verbesserte Computer- und Informationskompetenzen sind erforderlich – z.B. ein angemessener Umgang mit den verfügbaren Kanälen (wie E-Mail, Foren, Chats usw.), einen an die Bedarfe angepassten Umgang mit Daten (z.B. bei der Formulierung, Suche, Bewertung, Verarbeitung und Weitergabe), eine Verstärkung der eigenen Aufmerksamkeit durch Achtsamkeitstraining sowie einen bewusst aufgeschlossenen und respektvollen Austausch von Ideen.
    Bisher hat die fehlende Regulierung des Internets zum Ausprobieren der Möglichkeiten und zu der aktuellen VUKAWelt geführt. Dadurch gehen wir mit wehenden Fahnen in der Informationsflut unter. Alt und Jung benötigen Einweisungen in ein Denken n.0.

Fazit: Es wird immer auffälliger, das sich Richtig und Falsch nicht mehr unterscheiden lässt. Es liegt daran, dass alles in Bewegung ist, wie es Heraklit formulierte (Panta rhei – Alles fließt). Die Trennung von Aussagen in Wissen, Glauben und Meinung passt nicht mehr. Wissen basiert auf dem Glauben an bestimmte Fakten, Glauben beinhaltet die Kenntnis von etwas und die Meinung ist ohne Wissen und Überzeugung schwer vorstellbar. Die Blasenbildung kommt vor allem von unserer Unfähigkeit, mit der Menge an Daten umzugehen. Die Durchlässigkeit der Blasen ist die Voraussetzung für einen „friedvollen“ Umgang miteinander. Damit das möglich wird, müssen wir das Denken n.0 lernen, das alles Erdenkliche als ebenbürtig ansieht, die Gelegenheit für einen fruchtbaren Diskurs bietet, uns unsere Bias bewusst macht und die erforderlichen Fähigkeiten für den Umgang mit der Infoflut vermittelt. Technische Lösungen erhöhen das Rauschen durch noch mehr schwer zu verstehende Daten. Die Tendenz Andersdenkende zu diffamieren, indem sie als unqualifiziert, abergläubisch und spekulativ bezeichnet werden, passt nicht mehr zur aktuellen Lage. Alle Erkenntnisse entstehen im Rahmen bestimmter Denkmodelle und beeinflussen durch politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, technologische, rechtliche und ökologische Gegebenheiten. Und sie gelten nur für den abgesteckten Kontext, was es erschwert, darüber zu debattieren. Wir entwickeln uns weiter und finden Lösungen, solange wir Meinungen frei äußern und diskutieren können. Es muss gelten: Gedanken sind frei.