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Was anders sein kann, ist tatsächlich anders

Die unzähligen Parallelwelten, die durch die Digitalisierung und Vernetzung möglich werden, konstruieren für sich eigene Wirklichkeiten, die vom Zielpublikum willig aufgenommen werden. Beim Beobachten schauen die unterschiedlichen Gruppen aus verschiedenen, sich oft widersprechenden Blickwinkeln auf die gleiche Situation. Ein Foto liefert ein sachliches Abbild der Wirklichkeit und wir glauben, dass was wir sehen, so ist, wie es scheint. Dabei ist jede Aufnahme das Ergebnis der Auswahl des beabsichtigten Bildausschnitts. Wer würde hinter der Frau, die im Hochformat alleine auf der Straße steht, eine Demonstrantin vermuten. Wird der Bildausschnitt etwas erweitert, entsteht eine neue Situation. Das Gleiche passiert bei dem Austausch von Inhalten. In dem, was gesagt wird, steckt vor allem die Unmenge an Ungesagtem. Das macht alles, das anders sein kann, tatsächlich anders – für jeden einzelnen Betrachter.

Da sich heute jeder Zugang zum Internet verschaffen kann, entweder über einen Post in einem Diskussionsforum oder einem Blogbeitrag oder in der eigenen Webseite, finden alle Blickwinkel ihren Weg in die Öffentlichkeit. Und dabei gilt: Nichts geht mehr ohne, dass jemand etwas Negatives in den Taten oder den Aussagen von Anderen findet und diese entsprechend neu auslegt.

  • Richtig gibt es nicht mehr
    Sobald ein Nationaldenkmal in Flammen steht, schafft das unzählige Handlungsoptionen, die weder notwendig noch unmöglich sind. Diese Kontingenz wird von Einzelnen aufgenommen und aus allen denkbaren Gründen ausgeschlachtet. Kümmert man sich sofort um das Beheben der Schäden, die das Feuer angerichtet hat, kommen die Fragen hoch, warum man sich nicht um andere brennende Themen kümmert. Bleiben die Menschen untätig, dann wird ihre Untätigkeit beklagt. Diese besondere Form von Double Bind, die dazu führt, dass man immer etwas falsch macht, wenn man sich für etwas engagiert, wird langfristig die Bereitschaft sich für etwas einzusetzen bremsen.
    Wir müssen aus diesen opportunistischen Schuldzuweisungen heraus und mal wieder lernen, die Leistungen anderer einfach mal wertzuschätzen als das, was sie sind, eine wirksame Tat.
  • Dagegen sein geht immer
    In jeder richtigen Handlung stecken heute viele Argumente dagegen. Macht man etwas, dann kommt die Frage hoch, wieso nicht etwas anderes oder noch anderes. Werden die Brandschäden mit Steuermitteln behoben, dann werden dringend benötigte Steuergelder verschwendet. Stiften die Menschen freiwillig ihr Geld, dann steht irgendwer auf und redet ihnen ein schlechtes Gewissen ein, da sie sich nicht für andere soziale Projekte engagieren – obwohl wir das nicht unbedingt wissen. Den Anderen immer das Schlechte zu unterstellen übersieht, dass wir nach den gleichen Regeln beurteilt werden. Egal, auf welche Seite wir uns stellen, finden sich schnell Zeitgenossen, die einem diesen Standpunkt vorwerfen.
    Für den Weg aus diesem Teufelskreis braucht es eigenständige Persönlichkeiten, die sich mehr ihren ethischen Werten verbunden fühlen, als irgendeinem Fraktionszwang.
  • Substanzlosigkeit durch Gegnerschaft kaschieren
    Populisten sind darauf spezialisiert sich Gehör zu verschaffen, indem sie stets die Aktivitäten der Gegner kritisieren. Auf der einen Seite Stärke durch Einfuhrzölle simulieren und andererseits Europa zu beschimpfen, die dann das Gleiche machen und damit nationale Arbeitsplätze bei Harley-Davidson gefährden. Auf eigene Ideen gibt es keine Hinweise. Braucht es auch nicht, da die Pro-Aktiven den Stoff liefern, den die Trittbrettfahrer für ihre Interessen ausbeuten.
    Irgendwie müssen wir es wieder schaffen uns von den Manipulationen opportunistischer Bewegungen zu lösen, bevor alles sich verschärft und die mentalen Mauern gefährlich werden.
  • Angriff ist die beste Verteidigung
    Die Anschlussfähigkeit der Aussagen führt zu einem längeren Hin und Her der Argumente. Wird man beschuldigt sich undemokratisch zu verhalten, dann ist die beste Verteidigung darauf hinzuweisen, dass man selbst undemokratisch behandelt wird. Wie man in der Tatsache sehen kann, dass bestimmte Parteien, die nicht in Gremien des Bundestags gewählt werden, dies als undemokratisch bezeichnen. Der politische Diskurs verkommt. Politiker spulen ihre auswendig gelernten Botschaften ab, ohne Rücksicht auf den Gesprächsverlauf. Und Journalisten können offensichtlich ein Gespräch nicht mehr moderieren.
    Während jedes öffentliche Gespräch nur noch eine Wahlkampfrede für die eigene Zielgruppe ist, sollten wir auf diese Gespräche verzichten. Die Protagonisten müssen wieder miteinander sprechen, anstelle zu ihrem Wahlvolk.
  • Alle sehen nur, was sie sehen können
    Es ist sehr schwer in den Nachrichten nach Wirklichkeit zu suchen, da sie immer eine Konstruktion des Beobachters sind, die sich nicht versachlichen lassen. Man kann zu Trump stehen, wie man will, aber seine Pressesprecherin Kellyanne Conway hat die richtige Formulierung gefunden – alternative Fakten. Bereits die radikalen Konstruktivisten haben es auf den Punkt gebracht: „Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, ist unsere eigene Erfindung.“
    Die Aufgabe ist es jetzt einen Weg zu finden, mit dem die unterschiedlichen Sichten wieder in die Lage versetzt werden, sich auszutauschen.

Fazit: Die allgemeine Verfügbarkeit von Daten schafft ein neues Universum der Möglichkeiten, die alle für sich lebenswert sind oder nicht – je nach Betrachtungswinkel. Was dabei immer mehr verloren geht, ist es, den gemeinsamen Nenner zu finden, um miteinander bestehen zu können. Wenn nichts mehr so sein kann, wie es ist, sondern stets Angriffsfläche für Beanstandungen ist, dann entstehen sich selbstverstärkende Konflikte, die sich schwer auflösen lassen. Wenn es Richtig nicht mehr gibt, immer jemand dagegen ist, Substanzlosigkeit durch Gegnerschaft kaschiert wird, Angriff die beste Verteidigung ist, sowie der letzte Ausweg die Zweifel an dem Wahrheitsgehalt ist, dann verlieren alle Kraftanstrengungen für etwas ihren Antrieb. Dann werden Gespräche zu Monologen mit Dritten, anstelle zu Dialogen mit dem Gegenüber. Wir müssen raus aus diesem Teufelskreis, der zu einer immer aggressiveren Auseinandersetzung mit Andersdenkenden führt. Aktives Zuhören und eine vorauseilende Wertschätzung entspannen den Gedankenaustausch und verbessern das Verständnis der anderen Meinung. Und dabei gilt: Was anders sein kann, ist tatsächlich anders.