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Wenn optimierte Prozesse trotz der Krise funktionieren müssen

„Wir müssen weiter. Jetzt heizt das Schiff mit dem Schiff ein!“ Am ersten Tag wurden die Aufbauten und das Zwischendeck verfeuert. Am zweiten Tag wanderten die Masten, Takellagen und Segeln in den Kessel. Am dritten Tag verschwanden die Reling und die Planken in der Maschine. Phileas Fogg verzichtete auf alles Unnötige, um sein Ziel zu erreichen, was er schließlich auch schaffte – in achtzig Tagen um die Erde. Wenn die Gegebenheiten es erfordern, dann bleibt einem nichts übrig als sprichwörtlich alles ins Feuer zu werfen, um das Ziel zu erreichen.

Im Moment passiert eine weltumspannende Krise in einer bisher nicht erlebten Geschwindigkeit. Und die Reaktion ist eine panikartige Schockstarre. Glücklicherweise laufen noch die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern, die fundamentalen Infrastrukturen (Wasser, Elektrizität, Entsorgung) und die medizinische Versorgung – vor allem durch das Engagement der Belegschaft. Die wie geölt laufenden Abläufe im Business kommen weitgehend ins Stocken – Dinge werden nicht mehr hergestellt, verschickt, transportiert, angeliefert und verbaut sowie persönliche Dienstleistungen können nicht mehr erbracht werden. Unter völlig neuen Bedingungen laufen die noch aktiven und irgendwann auch wieder die stehengebliebenen Geschäftsprozesse. Was bedeutet das für die durchdachten, engmaschigen und im Korsett der IT steckenden Geschäftsprozesse? Welche Aspekte müssen bedacht werden?

  • Nicht jeder Arbeitsschritt ist notwendig
    Über Jahre wurden die Prozesse zu einem dichten Netz geflochten – Eins nach dem anderen. Und die so geschaffene Maschine läuft mittels IT wie geschmiert. Mit Corona stottert diese Maschine oder bleibt sogar stehen. Dies ist für das Zusammenspiel der Abläufe fatal (s. unten). Ein Wiederanlauf dieser Art dürfte in keinem Risikoplan stehen. Damit das Geschäft wieder anlaufen kann, sollten Sie:
    1) Ihre Erwartungen anpassen, d.h. nicht erwarten, dass alles so geschmiert läuft, wie vorher;
    2) Die Bereiche undogmatisch schrittweise hochfahren, d.h. nicht alle Pflichten erfüllen, sondern sich erst mal auf die konzentrieren, die ergebnisrelevant sind;
    3) Sich stressfrei mit Zulieferern, Mitarbeitern und Kunden abstimmen, da alle im gleichen Boot sitzen;
    4) Auf Maßnahmen für noch weiter, noch höher und noch besser während einer bestimmte Zeit verzichten, d.h. nicht Gewinne maximieren, sondern Schäden minimieren;
    5) Weniger an bestehenden Vorgaben festhalten und dafür mehr Eigeninitiativen zulassen, da die vielen Augen der Mitarbeiter mehr sehen als die wenigen des Managements.
  • Jeder Übergabepunkt ist latent notwendig
    Die Schnittstellen zwischen den Abläufen, den Unternehmensbereichen und den Unternehmen sind über die Jahre so zusammengewachsen, dass sie von alleine laufen. Jeder wusste was, wann zu tun ist und was, bis wann, in welcher Qualität geliefert werden musste. Das hat so gut funktioniert, dass man sich beispielsweise auf rollende Lagerplätze im Rahmen von Just-in-time verlassen konnte. Jetzt sind alle Anknüpfungspunkte ins Stocken geraten – Rohstoffe und Material können nicht geliefert werden; Komponenten werden nicht mehr hergestellt und auf die Reise geschickt; Produkte können nicht mehr zusammengebaut werden; Kunden erhalten ihre Produkte nicht mehr; und die IT kommt durcheinander, da der gleichmäßige Datenfluss fehlt. Damit das Ganze wieder anlaufen kann, sollten Sie:
    1) Die stecken gebliebenen Lieferungen auf ihre Qualität prüfen, d.h. Erkennen und Trennen von nicht mehr nutzbaren Gütern;
    2) Die Beschaffungs- und Logistikprozesse aktiver betreiben, d.h. engere Abstimmung und Verfolgung der Lieferungen;
    3) Die Vollständigkeit der Lieferungen sicherstellen, damit Staus in der Folge vermieden werden;
    4) Vor allem die Interfaces der IT im Auge behalten, da die Abläufe hier so schnell laufen, dass man schnell weitere Desaster erzeugen könnte.
  • Das optimierte Zusammenspiel ist durcheinandergewürfelt
    Die ersten beiden Punkte zeigen bereits, dass das Zusammenwirken der verschiedenen Bausteine des Geschäfts durch diese Zwangsunterbrechung gestört ist. Auch wenn die Mauern noch stehen, passt eher das Bild einer Ruine. In diesen Trümmern können erst einmal keine optimierten Abläufe stattfinden, obwohl alle Bestandteile ja noch da sind. Kraftwerke und IT-Rechenzentren verfügen über Wiederanlaufpläne. Aber die zertifizierte Business Continuity deckt unter Umständen nicht die Prozesswelt ab. Aus diesem Grund sollten Sie jetzt:
    1) Störende Trümmer aus dem Weg schaffen, d.h. hemmende Bürokratie und unproduktive Schritte aussetzen;
    2) Krisenmanager einsetzen, die für die Zeit des Ausnahmezustands die Koordination der wichtigsten internen und externen Funktionen übernehmen;
    3) Verlorengegangene Schnittstellen sollten durch neue ersetzt werden, wenn beispielsweise Zulieferer aufgrund der Krise in die Insolvenz geraten und nicht mehr verfügbar sind;
    4) IT-Schnittstellen prüfen und ggfs. reparieren oder zumindest durch Notlösungen überbrücken.
  • Zuständigkeiten fehlt die Übersicht
    Vor der Krise lieferte das Geschäft einen Überblick des Geschehens mittels eines entsprechenden Berichtswesens. Ein ausgeklügeltes Ampelsystem zeigte den Verantwortlichen einen Überblick der kritischen Abweichungen. Jetzt stehen die meisten Ampeln auf Rot und es ist schwer zu entscheiden, wo man zuerst hinschauen soll. Auch wer bisher ohne derartige Berichte entschieden hat, wird von der Flut der Probleme überrollt. Aus diesem Grund sollten Sie jetzt aktiv:
    1) Schwerpunkte zur Schadensbegrenzung identifizieren und beobachten, damit die richtigen Entscheidungen getroffen werden;
    2) Zuständigkeiten bündeln, um ein Durcheinander von widersprüchlichen Entscheidungen zu vermeiden;
    3) Klare Entscheidungswege für die Zeit der Krise festlegen, d.h. wer ist für was verantwortlich;
    4) Notlösungen schaffen, d.h. Programme unbürokratisch bereitstellen, die Transparenz schaffen, ggfs. auf Papier, damit Blindflug vermieden wird.
  • Das Geld fehlt überall
    Die finanzielle Situation ist für kleine und mittelständische Unternehmen, die keine Finanzer und Rechtsanwälte beschäftigen, nur schwer zu meistern – keine Einnahmen, weiterlaufende Kosten, und fällige Zahlungen. Die Insolvenz vor Augen erzwingt, dass man alles selbst machen muss. Aus diesem Grund sollten Sie:
    1) Keine neuen Kosten erzeugen, d.h. Verschiebung von Neuanschaffungen und Beschränkung auf die Kosten, die kurzfristig Einnahmen versprechen;
    2) Initiativen mit Bordmitteln umsetzen, d.h. interne Fachleute übergreifend nutzen;
    3) Ausschöpfen der vorhandenen, häufig kostenfreien Möglichkeiten, auch wenn sie nicht dem gewohnten Standard entsprechen (z.B. Gratissoftware im Internet, auch wenn sie aus unzuverlässigen Regionen, wie den USA, stammt).

Eine derartige Krise ist für global vernetzte Wirtschaftssysteme nicht zu handhaben. Zu viele gegenläufige Interessen und vor allem Stakeholder, die sich gegenseitig übervorteilen und sich an der Gesellschaft schadlos halten wollen. Und Politiker haben sich an die Spitze geschoben, um Entscheidungen zu treffen. Wenn sie sich als falsch herausstellen, sind, in Ermangelung eigener Expertise, die Experten Schuld. Es gibt für eine solch weitreichende Krise keinen Plan, mit dem man das Ganze zuverlässig managen könnte. Die Lösung liegt bei allen Beteiligten, die in einer Richtung an einem Strick ziehen – Mitarbeiter, Gewerkschaften, Manager, Anteilseigner, Lobbyisten, Politiker und vor allem die Öffentlichkeit. Gnadenlose Unterstützung ist erforderlich. Lieber ein positiver eigener Beitrag als eine Kritik an dem Engagement der Anderen. Unsere Chance liegt in der Nutzung jeder Initiative, egal wie groß oder klein sie ist, um den Wagen aus dem Graben zu ziehen – gemeinsam.

Fazit: Phileas Fogg hat es uns vorgemacht. Mit einem klaren Ziel vor Augen kann man alles ins Feuer werfen, um das Erforderliche zu erreichen. Die Aufgabe, die noch kommt, ist viel größer als die umfangreichsten Vorschläge zur Verbesserung. Ist die aktuelle Situation so dramatisch, wie oben beschrieben? Vielleicht (noch) nicht. Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass der/die Eine oder Andere angeregt wird, die Abläufe frühzeitig zu durchdenken, um mit möglichst wenig Schaden die Krise zu überleben, vor allem jetzt, wenn optimierte Prozesse trotz der Krise funktionieren müssen.

Regeln regeln Regeln, die Regeln regeln

In Zeiten zunehmender Bürokratisierung wird es immer schwieriger die unzähligen Regelungen, die man befolgt werden müssen, zu überschauen. Da die Mitarbeiter eigenverantwortlich handeln und nicht jedes Detail von oben geregelt werden kann, brauchen sie ein überschaubares Set an Regeln. Um die bestmöglichen Vorschriften bereitzustellen, nutzen die Unternehmen beispielsweise COSO und COBIT als Leitfaden, d.h. Standards um die Governance einzuführen. Der Trend zu einer stetig wachsenden Zahl an Standards ist absehbar. Denken wir nur an die unterschiedlichen Standards im Projektmanagement. Müssen wir uns darauf einstellen, dass in Zukunft Regeln Regeln regeln, die Regeln regeln?

Schlangebeisstschwanz

Gemeinsam ist den Regeln, dass sie bestimmten Regeln folgen. Die folgenden Aspekte bestimmen die Güte der Governance.

  • Nachvollziehbarkeit
    Dabei sollen den Mitarbeitern die Entscheidungen, der Weg zu einer Entscheidung und die Grundsätze der Führung zugänglich gemacht werden. Sie sollen jederzeit nachvollziehen können, aus welchen Gründen die Leitung bestimmte Vorgaben erteilt. Gleichzeitig soll diese Nachvollziehbarkeit ihnen die Stellen für ihren eigenen Einfluss aufzeigen.
  • Wirtschaftlichkeit
    Um einen vernünftigen Umgang mit knappen Mitteln sicherzustellen, werden die Prozesse entsprechend ausgestaltet. Diese Festlegungen verhindern einen Wildwuchs von Regeln und Abläufen. Darüber hinaus wird der Aufwand zur Einführung der Richtlinien reduziert und kann im Laufe der Zeit verbessert werden.
  • Beteiligtsein
    Die Mitarbeiter werden durch persönliche Teilhabe und Teilnahme an der Gestaltung des Unternehmens motiviert. Sie erhalten durch die Regelungen das Recht und die Pflicht, sich an den Entscheidungen und Umsetzungen aktiv zu beteiligen. Aus diesem Grund sind in den Abläufen klare Stellen zur Beteiligung der Mitarbeiter eingebaut.
  • Zuständigkeiten
    Durch die eindeutige Verteilung der Befugnisse und Verantwortung verhindern klare Aufgaben Muda und Reibungsverluste. Dabei werden alle Bereiche berücksichtigt und verhindert, dass sich Zuständigkeiten überschneiden und in der Folge gegenseitig behindern. Die Mitarbeiter wissen durch die ihnen übertragenen Rechte und Pflichten, was sie zu tun haben – und was nicht.
  • Rechtsstaatlichkeit
    Durch die Verbindlichkeit, dass alle an das Recht gebunden sind, ohne Ausnahme, stärkt den Einzelnen. Damit das Zusammenspiel funktioniert, muss garantiert werden, dass alle gleichbehandelt werden. Zu diesem Zweck braucht es das klare Vorgehen im Fall von Konflikten sowie eine unabhängige Schiedsstelle, die alle anrufen können.
  • Gerechtigkeit
    Durch einen angemessenen und einforderbaren Ausgleich der Interessen, bietet die Gerechtigkeit einen allgemeinen Rahmen, der über die detaillierten Regeln hinausgeht. Die Werte des Unternehmens brauchen ein gemeinsames, grundsätzliches Verständnis, was recht ist und was nicht. Ein entsprechendes Verständnis erspart eine Vielzahl von detaillierten Regelungen.

Um sicherzustellen, dass die Governance an die jeweiligen Bedingungen angepasst wird, brauchen die Unternehmen ein klares Kontrollmodell. So bietet COSO einen Rahmen für die Finanzberichterstattung und Cobit für die IT. Mit diesen Frameworks kann die Governance an den richtigen Stellen richtig eingeführt werden.

Fazit: Der Aufbau eines Regelsystems, der Governance, ist ein wirksames Mittel, um Unternehmen oder Bereiche zu führen. Standards erleichtern sicher die Einführung. Es ist jedoch wichtig, dem Regelungswahn zu widerstehen. Mehr ist nicht notwendigerweise besser. Regeln reglen Regeln, die Regeln regeln sind das Ende von wirksamen Regelwerken.