Archiv der Kategorie: Kultur

Hier finden sich Posts bezüglich Lebens- und Denkstilen verschiedener Länder, Branchen oder Geschäftsfunktionen.

Was bleibt für die meisten von uns?

Ein Mitarbeiter einer US-amerikanischen Fluglinie hat kürzlich das Boarding von Passagieren aufgrund von unangemessener Bekleidung (Leggings) untersagt. Die Pariser Oper verwies eine Muslimin aufgrund ihrer Nikab des Saales. Auf Mallorca darf niemand in Badekleidung durch die Stadt spazieren. Der quasi-öffentliche Raum wird immer stärker beschränkt und geregelt. Ab wann werden das Einkaufen im Supermarkt, das Fahren im Bus, der Kinobesuch und andere profane Dinge des Alltags einer Ordnung unterliegen, die die persönlichen Rechte und die Privatsphäre weitreichend beschneiden? Was bleibt für die meisten von uns?

Verstärkt wird das Ganze dadurch, dass immer weniger Bereiche Allgemeingut sind, dass man nach Belieben benutzen kann. Das gewünschte Verhalten innerhalb dieser Bereiche, wie Gebäuden, Straßen, Parks und Wälder, werden von privaten oder staatlichen Stellen geregelt. Durch die fortschreitende Bereitstellung von allgemein zugänglichen Orten durch wirtschaftliche Unternehmen und dem Rückzug der öffentlichen Bereiche werden die Freiräume eingeengt, in denen sich die Allgemeinheit verwirklichen kann – manchmal kostenlos und ein anderes Mal mit einer Zugangsgebühr.

Alle diese Orte unterliegen verschiedenen Regelungen. Der Rasen darf nicht betreten werden. In öffentlichen Straßen finden sich immer weniger Parkplätze. Das führt soweit, dass man in der einen Airline mit Leggings fliegen darf und in der anderen nicht; in der einen Oper verschleiert eine Aufführung genießen darf und in der anderen nicht; ein Gebäude mit Hund und das andere nur ohne Hund betreten werden darf; man in der einen Straße videoüberwacht wird, ohne zu wissen, was mit den Aufnahmen geschieht und in der anderen nicht; in einem Park die Nacht verbringen kann, in dem anderen nicht;  in dem einen Wald mountainbiken darf und in dem anderen nicht.

In den USA entleeren einige Konzerne gegen eine geringe Gebühr die Wasserreservoirs von Gemeinden. Hinterher verkaufen sie das in Flaschen gefüllte Wasser für viel Geld an Kunden – auch an die Einwohner der Gemeinden, die zwischenzeitlich Wasserprobleme bekommen haben. Das verbleibende Allgemeingut, wie Luft, Straßen und Bildung, werden früher oder später ebenfalls treuhänderisch verwaltet und gebührenpflichtig – bei jedem Atemzug.

Die Regelung des Alltags schreitet immer weiter voran. Die Folgen sind bereits sichtbar, obwohl abschreckende Zukünfte bereits ausgiebig in der Literatur und im Film beschrieben wurden.

  • Der große Bruder sieht Dich in 1984 von George Orwell – heute auch bei der Internetnutzung (mehr hier).
  • Das Verbot Bücher zu lesen in Fahrenheit 451 von Ray Bradbury – niemand weiß, welche Filter uns heute bereits den Zugang zu Information wegzensieren.
  • Die Folgen der Virtualisierung in Matrix von den Wachowski-Brüdern – es rentiert sich ein Blick in die nahe Zukunft mit Ray Kurzweil (Transcendent Man).
  • Der assistierte Selbstmord in Soylent Green von Harry Harrison – im Moment fehlen nur die multimedialen Attraktionen.
  • Die prophylaktische Verfolgung von zukünftigen Tätern in Minority Report von Philip K. Dick – im Moment erhalten potenzielle Selbstmordattentäter bereits vor der ersten Tat elektronische Fußfesseln, die verhindern sollen, dass sie sich in die Luft sprengen.

Im Extremfall kann man in Zukunft seinen persönlichen Stil nur noch im Rahmen bestimmter Regeln praktizieren. Die dafür notwendigen Überzeugungen werden die Vielfalt und die Buntheit der Welt beschränken. Ob wir das wirklich wollen?

Fazit: Da immer öfter Beispiele auftreten, die Einschränkungen für die Masse der Bevölkerung bedeuten, ist es an der Zeit, diese Trends zu beobachten. Die Allgemeinheit wird immer mehr beschränkt. Es entwickeln sich überall geregelte Zonen. Gleichzeitig wird auf andere Kulturen gezeigt und deren lokalen Regeln als unfrei gebrandmarkt. Die Frage, die sich dabei aufdrängt, ist, was bleibt, wenn uns in den quasi-öffentlichen Bereichen immer mehr Bestimmungen auferlegt werden. Welcher Dresscode gilt beim abendlichen Spaziergang oder beim Einkauf? Ab wann verdienen Einzelne an Gemeingütern, wie frischer Luft, guten Straßen oder Bildung? Und was kostet die Nutzung? Was bleibt für die meisten von uns?
Folgsamkeit?

Vorteile der Bescheidenheit

Zurückhaltung (遠慮) ist im Laufe der Jahrhunderte zu einer zentralen Eigenschaft der japanischen Kultur geworden. Die damit verbundene, scheinbare Unverbindlichkeit, die im Westen als zugeknöpft wahrgenommen wird, hat den Zweck die Anderen nicht in Verlegenheit zu bringen. Dies geschieht, indem man in formalen Sitzungen mit mehreren Teilnehmern selten die eigene Meinung direkt ausdrückt. Botschaften werden eher indirekt, ohne Worte und vage, kundgetan. Im Gegensatz zu der westlichen „Der Gewinner bekommt alles“-Mentalität, in der es stets nur einen Gewinner gibt, bietet die Bescheidenheit allen Beteiligten die Möglichkeit ihr Gesicht zu wahren. In den letzten siebzig Jahren hat das nicht verhindert, dass Japan trotz allem zu einer wirtschaftlichen Weltmacht geworden ist.

Welche Vorteile könnte man auch im Westen ausschöpfen?

  • Mehr Sein als Schein
    Viele Ergebnisse sind gar nicht so schlecht, wie es auf den ersten Eindruck scheint. Da jedoch die Beteiligten in ihrer Kommunikation dazu tendieren zu hohe Erwartungen aufzubauen und, selbst bei am Ende bescheidenen Ergebnissen, oft Superlative nutzen, ist es schwierig, eine realistische Bewertung zu erhalten. Darüber hinaus bleibt kein Spielraum mehr zur Bewertung von echten Spitzenergebnissen. Das führt dazu, dass die Protagonisten auch hohe Ansprüche an sich selbst haben – ich kann alles. Gleichzeitig werden die Erwartungen der Anderen in illusorische Höhen getrieben. Derartig hohe Erwartungen lassen sich nicht mehr erfüllen.
    Mit der entsprechenden Bescheidenheit würden Ziele so smart vereinbart, dass sie auch wirklich erreicht werden. Um mehr Sein als Schein zu praktizieren, sollte man Superlative, wie z.B. beste, schnellste, sicherste, zuverlässigste oder günstigste, nur in Ausnahmefällen nutzen.
  • Lieber Daedalus als Ikarus
    Ikarus ist das klassische Beispiel von Hybris. Diese extreme Form des Hochmuts und der Überheblichkeit erzeugt unrealistische Strategien. Ikarus hat das mit dem Leben bezahlt. Solange der Einzelne jedoch seine Fehleinschätzung überlebt, wird er immer riskantere Unternehmungen planen. Und wenn der Moment der Wahrheit gekommen ist, dann verlässt der Verantwortliche den Ort des Geschehens, nimmt seine Hybris mit und dreht beim nächsten Mal ein noch größeres Rad. Der entstehende, kollaterale Schaden zerstört die Referenzpunkte in dem jeweiligen Bereich. Die Mitarbeiter werden angesteckt und verfallen ebenfalls einem überheblichen Übermut.
    Mit der entsprechenden Bescheidenheit würde die selbstgefällige Hybris auf ein gesundes Maß beschränkt. Dafür muss man sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern sich an Daedalus orientieren. Durch die entsprechende Achtsamkeit bezüglich des eigenen Verhaltens hat man eine Chance die Hybris im Keim zu ersticken.
  • Kolonialismus vermeiden
    Die Vermessenheit führt nach einer gewissen Zeit zu einer Form des Kolonialismus. Die Anderen werden als minderwertig wahrgenommen. Das stetig stärker werdende Geltungsbedürfnis führt zu immer unrealistischeren Vorstellungen. Irgendwann werden die Kolonialisten nicht mehr ernst genommen.
    Mit der entsprechenden Bescheidenheit würde der Schwung reduziert, andere am eigenen Wesen genesen lassen zu wollen. Alle Aktionen, die das Team mit negativer Energie laden, schaden am Ende einem selbst. Sobald das einem klar geworden ist, hat man die Wahl – weiter wie bisher mit dem Risiko langfristig zu scheitern oder den Kolonialismus zu unterdrücken und durch einen wertschätzenden Umgang alle erfolgreich zu machen.
  • Populismus meiden
    Populismus zeigt sich an aktiven Beleidigungen und fortwährenden Verunglimpfungen. Die Anderen sind blöd. Nur wir sind im Besitz der Wahrheit. Dadurch werden alle, die nicht dazugehören, systematisch ausgegrenzt. Dies erzeugt Widerstand bei den Betroffenen und lässt die Populisten in ignoranter Hybris stecken.
    Mit der entsprechenden Bescheidenheit wäre ausreichend Raum für Respekt. Und Respekt würde den Betroffenen die Möglichkeit bieten, die gestellten Aufgaben zu meistern. Die größten Vernichter von Schaffenskraft sind negative Botschaften. Die scheinbare eigene Aufwertung nützt dann auch nichts mehr.

Manche glauben, dass Bescheidenheit einen zurück wirft. Da jedoch die überzogenen Versprechungen der Anderen nur selten befriedigende Ergebnisse erzeugen, trennt sich bald die Spreu vom Weizen. Das Resultat wird durch die Lattenhöhe bestimmt, die überwunden werden soll. Liegt die Latte zu hoch, kann man sie nur reißen. Nur der erfüllte Auftrag ist der erfüllte Auftrag – und achtzig Prozent ist ein gutes Ergebnis, zwanzig Prozent nicht.

Fazit: Da mittlerweile zu oft Superlativen genutzt werden, ist es Zeit, die bewährte asiatische Bescheidenheit auch im Westen auszuprobieren. Dadurch werden die immer höhere Anspruchshaltung und die schwer erfüllbaren Erwartungen auf ein realistisches Maß gebracht. Die Hybris, der damit verbundene Snobismus und die beleidigenden Schmähungen entwickeln sich dann seltener. Am Ende werden bessere Ergebnisse durch die Vorteile der Bescheidenheit ermöglicht, da alle Beteiligten ihren möglichen Beitrag leisten können.