Archiv der Kategorie: Governance

Governance deckt Regelungen und Steuerungsaspekte ab.

Wenn Demokratie eigentlich keine ist

Seit den Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Weltbevölkerung auf 7,5 Mrd. verdreifacht. Gleichzeitig gehört einem Zehntel der Weltbevölkerung mehr als 85% des privaten Vermögens. Dies erzeugt ein Spannungsverhältnis, das es erfordert, die Mehrheit ruhig zu halten. Über die Jahrtausende hat sich die Herrschaft des Staatsvolkes, die Demokratie, als eine geschickte Herrschaftsform durchgesetzt. Dabei wird den Massen suggeriert, dass sie die Kontrolle über die gesellschaftliche Entwicklung haben. Was aber, wenn sich über die Zeit Mechanismen und Verhalten herausgebildet haben, die aus der Mitbestimmung eine Illusion machen – wenn Demokratie eigentlich keine ist.

Die Wurzeln dieser Entwicklung waren bereits zu Beginn sichtbar. Über die Jahre sind dann weitere pragmatische Ansätze hinzugekommen.

  • Nur Bestimmte dürfen wählen
    Bereits in der Wiege der Demokratie durften nicht alle Menschen wählen, sondern nur die Vollbürger – nur ca. 10% der Bevölkerung. Frauen und Sklaven wurden gar nicht erst in Betracht gezogen. Heute werden Wähler auch ausgeschlossen, wenn sie zum Beispiel ein bestimmtes Alter noch nicht erreicht haben, oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, oder durch das Streichen aus der Wählerliste, oder durch Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Verfassung, oder durch Einschüchterung, oder durch Fehlinformationen, oder sogar durch gezielten Stimmenkauf.
  • Fehlende Auswahl an Kandidaten
    Steht nur ein Kandidat oder eine Kandidatin zur Wahl, hat der Wähler keine Wahl – wie in Singapur oder Haiti. Dies kann auch dadurch passieren, dass die Mitbewerber chancenlos sind, wie in Russland oder Ägypten. Eine interessante Variante ist die Wahl einer Partei, ganz ohne Kandidaten, wie in Kasachstan.
  • Vorauswahl von Kandidaten
    Sobald die Kandidaten erst eine Zulassung zur Wahl benötigen, kann man nicht mehr von einer freien Wahl sprechen. So müssen im Iran die Kandidaten erst vom Wächterrat gebilligt werden. In Russland müssen Kandidaten über 35 Jahre alt sein, dürfen nicht vorbestraft sein und Parteilose brauchen 300.000 Unterschriften, um überhaupt teilnehmen zu können. Eine Vorselektion findet auch statt, wenn nicht alle Kandidaten es zur Wahl schaffen, weil sie durch körperliche Gewalt eingeschüchtert oder inhaftiert werden.
  • Der Gewinner bekommt alles
    Im amerikanischen Wahlsystem wird der Präsident indirekt über sogenannte Wahlmänner gewählt. Jeder Staat verfügt über eine bestimmte Anzahl. Die Wähler entscheiden durch ihre Stimme, welche Partei einen Bundesstaat gewinnt und nach dem Mehrheitswahlrecht bekommt der Gewinner dann alle Wahlmänner. Dies verzerrt das Wahlergebnis auf bizarre Weise. Von 232 Mio. Wahlberechtigten haben 123 Mio. tatsächlich gewählt. Mit 46,9 % haben eigentlich die Nichtwähler die Wahl gewonnen. Der derzeitige Präsident konnte aufgrund der höheren Anzahl Wahlmänner mit 59 Mio. oder 25,5% Stimmen die Präsidentschaft gewinnen, obwohl seine Gegenkandidatin mit 25,6% real 2 Millionen mehr Wähler hinter sich vereinigen konnte.
  • Ungewählte Koalitionen
    Die Parteienlandschaft fragmentiert sich in immer mehr kulturelle Parallelgesellschaften, die sich auch sonst ihr eigenes Soziotop erschließen. In Deutschland schaffen es die früheren Volksparteien nicht mehr, Mehrheiten hinter sich zu versammeln. Die christliche Union hat nur noch einen leichten Vorsprung durch ein künstliches Gebilde, dass außer einem C nichts mehr gemeinsam hat. Und selbst das reicht nicht für eine absolute Mehrheit. Nach der Wahl werden deshalb Koalitionen über die Köpfe der Wähler hinweg entschieden. Mit dem Koalitionsvertrag bestimmen dann die Parteien unter sich, ohne Wählervotum, was man gemeinsam erreichen möchte – der Wille reicht aber nicht aus, um die Bekundungen zu erledigen und mehr ist nicht zu erwarten, da es nicht vereinbart ist. Politische Diskussion wird in der folgenden Legislaturperiode nur eingeschränkt stattfinden, da vorab alles bereits festgelegt ist. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass obwohl nur 76,2% der Wahlberechtigten gewählt haben, die Mandate von 631 auf 709 gestiegen sind.

Fazit: Die Geschwindigkeit, in der sich manche Länder wie China mit einem alternativen politischen Führungsstil bewegen, sollte unseren zögerlichen, politischen Entscheidern zu denken geben. Was braucht das Demokratiemodell des Westens, das feststeckt in Routinen und behördlicher Überregulierung? Mehr Mitbestimmung? Weniger Berufspolitiker? Was? Wenn nur Bestimmte wählen dürfen, es keine Auswahl gibt, sich hinterher ungewählte Koalitionen bilden oder die Auszählungsverfahren zu einem verfälschten Ausdruck des Wählerwillens führen, haben sich die demokratischen Routinen überholt. Vor allem braucht es eine Idee, wie man es anders machen könnte. Zumindest ist eine Übertragung des “besten” politischen Systems auf eine tatsächliche Repräsentation des Willens der Mehrheit nötig, damit Demokratie wieder eine ist.

Wenn wir regelten, was wir regeln

Rückblickend war es in großen Unternehmen immer schwer das gültige Regelwerk zur Kenntnis zu nehmen. Im besten Fall gab es eine Liste von offizialisierten Richtlinien. In der entsprechenden Liste war die Richtlinie Nummer eins stets die Anleitung, wie man eine Richtlinie erstellt. Zur Besiegelung gehört in manchen Kulturen, dass sie nur dann befolgt werden, wenn sie in das offizielle Verzeichnis aufgenommen und in einer Sitzung durch ein Ritual verpflichtend von den Betroffenen angenommen werden. Diese Regelungen sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Daneben gibt es eine unüberschaubare Anzahl von weiteren Konventionen. Wäre es nicht praktisch, alle Regeln allen sichtbar zu machen? In dem wir regelten, was wir regeln.

Regelungen werden immer wieder überarbeitet und vereinfacht. Irgendwie wird jedoch dabei vergessen, die veralteten Bestimmungen zu streichen. Als Folge explodiert die Bürokratie. Eigenverantwortliche Handlungen haben immer weniger Platz, da ein Verstoß gegen bestehende Regeln schnell zur Auflösung eines Vertrages führt. Wie könnten die Bestimmungen eines Unternehmens wirksamer werden?

  • Klare Definition der Regeln
    Eigentlich sollten allen Beteiligten eine Struktur der einzuhaltenden Vorschriften zur Verfügung stehen. Das beginnt bei Gesetzen, die die stärkste Rechtsverbindlichkeit haben. In großen Konzernen, die weltweit agieren, ist es wichtig zu klären, welche Gesetze in welchem Land gültig sind. Darüber hinaus ist das Gesetz mit der ultimativen Verbindlichkeit festzulegen. Die offiziellen Richtlinien eines Unternehmens sind die nächste Stufe der Verbindlichkeit – auch wenn manche der Meinung sind, die Gesetze außer Kraft setzen zu können. Es sollte klar gemacht werden, dass die Gesetze über allem stehen. Alles andere ist illegal. Die nächste Stufe bilden die Arbeitsanweisungen, die die einzelnen Bereiche im Interesse der Umsetzung ihrer Strategie festlegen. Sie müssen zu den Übergeordneten passen. Dies wird jedoch in Ermangelung einer Übersicht selten geprüft. Die einfachsten Regelungen sind die Algorithmen, die Teil von IT-Programmen und Arbeitsabläufen sind. Je länger diese existieren, desto weniger Personen kennen die tatsächlichen Regelungen, die den Ablauf vorgeben. Hier gibt es keine Transparenz mehr. Am Ende laufen manche Programme wie eine Black-Box, ohne dass jemand irgendetwas ändern könnte.
  • Ein vollumfassendes Register aller Regeln
    Heute sind nur die wenigsten Regeln in einem erreichbaren Verzeichnis zu finden. Bedenkt man die vielen Stufen von Vorgaben, so wird einem klar, dass man sich in einem bürokratischen Korsett bewegt, dass man nicht mehr in der Gewalt hat. Aus diesem Grund ist ein erster Schritt alle relevanten Gesetzte, Richtlinien, Arbeitsanweisungen und Algorithmen so gut wie möglich zu beschreiben und allen Mitarbeitern den Zugang zu ermöglichen. Zumindest die Gesetze und Richtlinien des Unternehmens sollten so jederzeit erreichbar sein. Ein geschicktes Register der Arbeitsanweisungen ist der nächste Schritt. Den Algorithmen wird man am Ende nur Herr werden, in dem die entsprechenden Programme abgeschaltet werden. Alles andere wäre Rätselraten ohne Gewähr auf Richtigkeit.
  • Erreichbarkeit der Regeln
    Die Erreichbarkeit der Regeln sollte durch die entsprechende Vernetzung im Unternehmen, dem Intranet, kein Problem sein. Schwieriger wird die Tatsache, dass es den Einzelnen schwerfallen wird, die Regeln ohne die entsprechende Beratung richtig zu interpretieren. Gleichzeitig sollte man sich bewusst machen, dass Regeln, die jemand nicht versteht, nicht den gewünschten Effekt erzielen. Sobald die Mitarbeiter anfangen Regeln keine Aufmerksamkeit zu schenken hat man verloren. Compliance bleibt dann ein unerfüllbarer Wunsch.
  • Konsistenz der Regeln
    Die gültigen Regeln sollten widerspruchsfrei sein. Keine Richtlinie sollte verfasst werden, die einem Gesetz widerspricht. Keine Arbeitsanweisung darf gegen Gesetze oder Richtlinien verstoßen. Keine Software sollte Algorithmen ablaufen lassen, die gegen das gesamte Regelwerk widersprechen. Im Prinzip ist das Top-Management verantwortlich, dass sich alle Mitarbeiter regelkonform verhalten. Da die Beaufsichtigung eines jeden Mitarbeiters nicht möglich ist, hat sich in der Praxis durchgesetzt, eine Weisung herauszugeben, die die untergeordneten Bereiche zur Befolgung der Regeln aufruft. Damit fühlen sich die Führungskräfte entlastet. Aber die steigende Anzahl von Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen und ihrem Top-Management zeigt, dass dies ein Trugschluss ist. Aus diesem Grund sollten die Firmen ihre Anstrengungen zur Regelung ihrer Regeln erhöhen und dabei sicherstellen, dass die geltenden Regeln zusammenpassen.
  • Der agile Ausweg
    Die unbefriedigende Wirkung einer schlechten Führung führt zu dem Versuch sich aus der Verantwortung zu schleichen, in dem agile Ansätze ausgerufen werden. Dabei wird den Mitarbeitern die Verantwortung für Ihr Handeln übertragen. Durch Selbstorganisation sollen die Bereiche flexibler werden. Die fatale Folge wird dabei übersehen. Sobald die Mitarbeiter die Steuerung übernehmen und selbstständig tatsächlich ihren Weg finden, werden die Führungskräfte obsolet – zumindest die mittleren Ebenen. Und damit die Agilität überhaupt reibungslos läuft, braucht es eine Plattform, die die gültigen Regelungen in einem Register (s.o.) bereitstellt.

Fazit: Die Bürokratie ist ein vernetztes System, dessen Bestandteile im Laufe der Zeit nicht mehr überschaubar sind, da zu viele Regeln entwickelt wurden und werden, ohne dass jemals welche abgeschafft werden. Um wirklich regelgerecht zu agieren, ist es erforderlich das bestehende Regelwerk zu beschreiben, auf seine Sinnhaftigkeit und Konsistenz zu prüfen und, wenn irgendwie möglich, auf das zu reduzieren, was wirklich benötigt wird – regeln, was regelt.