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Erkennen stimulieren

Wir lassen manchmal Eingebungen, die scheinbar aus dem Nichts kommen und wie ein Blitz einschlagen, ungenutzt entschwinden, obwohl wir ein anderes Mal verzweifelt danach suchen. Ein Heureka braucht eben seine Zeit, um sich zu entwickeln. Die paradoxe Aufforderung, spontan einen Einfall zu haben, verhindert mehr, als dass sie Ideen liefert. Mit zunehmender Agilität steigt jedoch die Erwartung, dass Mitarbeiter in kurzen Zyklen, den Sprints, Lösungen liefern. Dies erfordert Mittel, um Erkennen stimulieren zu können.

Ein wichtiger Motor für unsere Fähigkeit etwas Neues zu finden ist unsere Wahrnehmung. Sie ist immer aktiv und empfängt Reize zu jeder Zeit und gleichzeitig über jeden Sinn. Sobald man sich den stimulierenden Knöpfen bewusst geworden ist, liefert das Denken Ergebnisse, die für die aktuelle Aufgabe vielversprechend sind. Werfen wir mal einen Blick auf die fünf Kanäle (kurz: VAKOG), die uns zur Verfügung stehen, um einfach aufmerksam die sich aufladenden Geistesblitze auszulösen.

Visuell (V)
Unser Sehen ist mit 40 Bit/Sek. der Sinn mit der größten Bandbreite. Damit sieht man in einer dunklen Nacht den Schein eine Kerze über viele Kilometer hinweg. Damit empfangen wir Formen und Farben. Nutze diesen Kanal wie folgt:

  • Ändere die Blickrichtung!
  • Surfe durch unbekannte Internetseiten, Zeitschriften und Bildbände!
  • Schließe für eine Minute die Augen und bemerke nach dem Öffnen der Augen, wie sich die Umwelt verändert!
  • Und dann: Entdecke die aufkommenden Gedanken und verbinde sie mit Deiner aktuellen Aufgabe!

Auditiv (A)
Unser Hören schafft immer noch 30 Bit/Sek. Es erlaubt uns das Ticken einer Uhr aus über sechs Meter Entfernung zu hören. Hiermit nehmen wir Geräusche und Rhythmen, Klänge und Musik sowie Sprache auf. Dieser Kanal kann folgendermaßen angeregt werden.

  • Schließe jetzt Deine Augen oder mache einen kleinen Spaziergang und höre zu!
  • Suche Dir ein Geräusch, das Dir auf- oder gefällt!
  • Starte eine Musikkonserve und lasse Deine Gedanken treiben.
  • Und dann: Bemerke die aufkommenden Gedanken und verbinde sie mit der aktuellen Aufgabe!

Kinästhetisch (K)
Wir fühlen mit unserem Körper 5 Bit/Sek. Das reicht, um einen Bienenflügel zu spüren, der aus 1 cm Entfernung auf unsere Wange fällt. Die Fingerkuppen unterscheiden Oberflächen und Kanten. Unser Körper nimmt Schwankungen der Temperatur wahr, bevor sie uns bewusst werden. Wir spüren die Stellung und Bewegung unseres Körpers und reagieren mit Schmerzen auf thermischen, mechanischen und chemischen Stress. Diese Kanäle lassen sich in folgender Weise einsetzen.

  • Schließe einfach die Augen und streiche über eine erreichbare Oberfläche!
  • Spüre die Temperatur einer Wärmequelle in Deiner Nähe oder in der Sonne!
  • Steh auf, drehe eine Runde und nimm Deinen Körper wahr– die Füße, die Knie, den Rücken, die Schultern, den Nacken und was auch immer!
  • Und dann: Bemerke die aufkommenden Gedanken und verbinde sie mit der aktuellen Aufgabe!

Olfaktorisch (O)
Auch wenn unsere Nase nur über 1 Bit/Sek. Bandbreite verfügt, kann man damit noch einen Tropfen Parfüm in einer Drei-Zimmerwohnung wittern.

  • Schließe mal die Augen und erschnüffele Deine Umgebung!
  • Steh auf, spaziere durch Deine nähere Umgebung und achte auf die Gerüche an den unterschiedlichen Orten!
  • Nimm einen Spritzer Parfüm oder genieße den Duft von frischem Kaffee!
  • Und dann: Bemerke die aufkommenden Gedanken und verbinde sie mit der aktuellen Aufgabe!

Gustatorisch (G)
Die Geschmacksnerven arbeiten eng mit der Nase zusammen und verfügen ebenfalls über eine Bandbreite von 1 Bit/Sek. Damit schmecken wir noch einen Teelöffel Zucker, der in 7,5 Liter Wasser aufgelöst ist.

  • Schließe die Augen und erschmecke Deine Umgebung!
  • Nutze einen kleinen Snack oder Kaffee, um eine Veränderung Deines Geschmacks herbeizuführen!
  • Probiere mal etwas völlig Anderes oder sogar Ungeliebtes!
  • Und dann: Bemerke die aufkommenden Gedanken und verbinde sie mit der aktuellen Aufgabe!

Fazit: Alle Sinne sind zu jeder Zeit aktiv und empfangen Reize aus der Umwelt, ohne unsere pausenlose Aufmerksamkeit. Von den 100 % Reizen, die unsere Sinne aufnehmen, werden uns nur 10 % bewusst. Mehr würde uns wahnsinnig machen. Wir können die Wahrnehmung jedoch aktivieren und unser Denken befeuern. Die Konzentration auf einzelne oder mehrere Kanäle liefert uns eine völlig neue Sicht auf die Welt – und bietet uns die gewünschten Anregungen unseres Denkens, die unsere Eingebungen aus dem Unterbewusstsein freisetzten und anders nicht so leicht erreichbar wären. Damit bieten die VAKOG-Kanäle eine Möglichkeit, unser Erkennen zu stimulieren und zu spontanen Erkenntnissen zu gelangen.

Die natürliche Grenze

Wie unvorstellbar erscheint eine Stadt, die riesengroß ist und sich in eine Unter- und eine Oberstadt aufteilt. Die Grenze trennt die beiden wie die Berliner Mauer den Ost- von dem Westteil. Es findet keinerlei Austausch statt. Seit Jahrhunderten haben die Oberen und die Unteren die Existenz des jeweils anderen vergessen. Oben geht die Sonne nie unter – unten geht sie nie auf. In der Folge haben sich die Menschen an ihre Umgebung angepasst und sprechen mittlerweile eine eigene Sprache, die zwar gleich klingt, aber unterschiedliche Bedeutung transportiert. Eines Tages reißt eine Explosion einen riesigen Krater, der die Ober- mit der Unterstadt verbindet. Beide sperren den Krater weiträumig ab und stellen fest, dass sie direkte Nachbarn haben, die sogar ihre Sprache zu sprechen scheinen. Die Grenze löst sich auf.

Die ersten Treffen verlaufen angenehm, da die Sprachen offenbar sehr ähnlich sind und sogar gleiche Worte nutzen. Dann zeigt sich jedoch, dass die beiden Bereiche sich stark auseinanderentwickelt haben. Die folgenden Beispiele zeigen die Unterschiede.

  • Visuelle Wahrnehmung
    Die Oberstadt hat über die Jahrhunderte alle Bereiche, die nicht von Sonnenlicht erreicht werden, rund um die Uhr mit künstlichem Licht ausgestattet. Dadurch haben sie schließlich die Dunkelheit vergessen. Der Unterstadt geht es ähnlich. Mit der Zeit ist das Licht aus der Unterstadt verschwunden. Schließlich haben sie das Licht vergessen.
    Am Krater treffen sich Oberstädter und Unterstädter. Und beide sagen: „Ich sehe nichts.“ Ein erstaunlicher Konsens, da ja beide aus völlig unterschiedlichen Umgebungen stammen. Es dauert eine Weile, bis jemand versteht, dass beide etwas anderes meinen. Die Oberstädter können nichts sehen, da sie die Dunkelheit nicht durchdringen. Und die Unterstädter sehen nichts, weil sie von dem Licht geblendet sind.
  • Auditive Wahrnehmung
    Die Hörgewohnheiten haben sich in den beiden Nachbarschaften auch unterschiedlich entwickelt. Die dunklen Gänge der Unterstadt verschlucken schon nach wenigen Metern jegliche Schallwellen. Dadurch hat sich das Gehör der Unterstädter auf die tiefen Frequenzen neu eingestellt, deren lange Wellen weit hörbar sind. An der Oberfläche erfreuen sich die Oberstädter an den Klangfarben, die durch die hohen Frequenzen entstehen.
    Nach der Kraterbildung treffen sie sich im Krater und trauen ihren Ohren nicht. Und beide sagen: „Ich höre etwas Ungewöhnliches.“ Die tiefen Töne irritieren die Oberstädter und die hohen Klänge fühlen sich für die Unterstädter befremdlich an.
  • Kinästhetische Wahrnehmung
    Ober- und unterirdisch haben sich Wärmerezeptoren an die jeweiligen Lebensräume angepasst. Der permanente Sonnenschein und das künstliche Licht bräunen die Oberstädter und liefert ein gleichmäßiges Klima. Die Unterstädter sind im Gegensatz dazu ganz blass und die feuchte Frische des Untergrunds gewohnt.
    In dem Krater sind sie jedoch einer neuen Umgebung ausgesetzt, auf dass ihr Wärmeempfinden stark reagiert und beide sagen „Ich fühle mich unwohl.“ Die ungewohnte Kühle löst bei den Oberstädtern und die ungewohnte Hitze bei den Unterstädtern Stress aus.
  • Olfaktorische Wahrnehmung
    Beide Stadtteile haben in der langen Zeit an ihre Atmosphäre gewöhnt. In der Unterstadt herrscht stets eine hohe Luftfeuchtigkeit, die die Gerüche besonders gut transportiert. In Ermangelung von Licht haben sie sich daran gewöhnt ihrer Nase zu folgen, die in der Lage ist ihre Umwelt auseinanderzuhalten und die Mitmenschen an ihrem Duft zu erkennen. In der Oberstadt ist die Luft trocken und transportiert wenige Gerüche. Da sie sich auf ihre Augen verlassen können, achten sie nicht so sehr auf Düfte.
    Im Krater treffen die beiden Atmosphären aufeinander und Ober- und Unterstädter sagen „Es riecht befremdlich.“
  • Gustatorische Wahrnehmung
    Beide Stadtteile haben ihre Ernährung angepasst an ihre Umgebung. Die Oberstädter lieben scharfe Speisen, die roh gegessen werden. Die Unterstädter ziehen Gekochtes vor, dass die Geschmacksnerven weniger reizt, aber mit einer feuchten, breiten Fadheit betört.
    Bei den Treffen im Krater werden stets auch die Köstlichkeiten der Küchen ausgetauscht. Und beide sagen: „Das ist ja ungenießbar.“

Um es kurz zu machen. Der Radikale Konstruktivismus postuliert, dass es keine objektive Realität gibt, sondern jeder aus seinen Sinnesreizen und Erfahrungen sein ganz persönliches Bild der Wirklichkeit konstruiert. In dem obigen Beispiel haben wir ein simples Gedankenspiel durchgeführt, das zeigt, wie unsere Umgebung, unsere Ausdrucksweise bestimmt. Ganz offensichtlich haben sich die Ober- und Unterstädter weit auseinandergelebt. Sie haben sich ideal an ihre jeweilige Umgebung angepasst. Interessanterweise ist jedoch ihre Sprache über die Jahrhunderte unverändert geblieben. Sie haben zwar einige Worte vergessen, die nicht in ihre Lebenswirklichkeit passen, aber zentrale Ausrücke haben überlebt. Sie bedeuten jedoch stets etwas völlig anderes. Unsere Sinne liefern visuelle, auditive, kinästhetische, olfaktorische und gustatorische Reize, die wir dann mit unseren Erfahrungen mischen, um uns schließlich darüber zu äußern – in unserem Beispiel mit den gleichen Worten für unterschiedliche Bedeutungen.

Fazit: Seit Descartes versuchen wir, die Welt objektiv zu ergründen. Heute wissen wir, dass unsere Wahrnehmung nicht in der Lage ist, uns eine gemeinsame Wirklichkeit zu liefern. Die Wissenschaft hat dies schon lange erkannt. Wir versuchen jedoch immer noch, alles zu versachlichen. Das obige Beispiel soll auf einfachste Weise zeigen, wie unterschiedlich die Welt wahrgenommen werden kann, abhängig von der eigenen Sicht und Erfahrung. Nutzen können wir diese Erkenntnisse in unserer täglichen Kommunikation, indem wir uns das Folgende bewusst machen.

Erstens gilt: Der Hörer, nicht der Sprecher, bestimmt die Bedeutung einer Aussage. (Heinz von Foerster).

Zweitens gilt: Man kann nicht nicht kommunizieren (Paul Watzlawick).

Im Alltag heißt das, dass man sich der natürlichen Grenze immer wieder bewusst ist und sich anstrengt, das Gegenüber zu verstehen.