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Agilemma – Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los

Auch wenn man sich auf seinem Stuhl festschnallt, die Tür schließt und vor dem Büro eine Gruppe von Türsteherinnen platziert, kann man sich als Führungskraft nicht vor den Anforderungen der VUKA-Welt verstecken. Die Geschwindigkeit, in der reagiert werden muss, und die Menge an benötigten Fähigkeiten erlauben es nicht mehr, auf die starren Gerüste der Vergangenheit zu setzen. Wenn selbst das amerikanische Militär seine Troops mit einem neuen Führungsstil aufstellt, sollte auch dem letzten klar werden, dass die Zeit reif ist für neue Führungsstile. Da die Lösung für jeden anders aussieht, müssen wir unseren Ansatz selbst gestalten. Gleichzeitig laufen wir Gefahr, zum Zauberlehrling und von den freigesetzten Kräften überrollt zu werden. – die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.

Es gibt drei Aspekte, die einen als Führungskraft zerreißen und die Angst keimen lassen, dass man die Kontrolle für immer verliert, wenn man die Schleusen einmal geöffnet hat.

  • Neue Konzepte
    Was braucht es, um loszulassen und sich auf spontane Improvisationen einzulassen, die durch die selbst organisierten Beteiligten zu einem überzeugenden Ergebnis führen. Bisher wurde das Engagement aller durch die Verteilung der Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung auf verschiedene Schultern erdrückt. Den größten Effekt erzielt man, wenn alles in einer Hand liegt und die Gruppe für das Ergebnis geradesteht. Alle sparen dadurch nicht nur die unproduktive Zeit der detaillierten Planung, das Ausbremsen der Kollegen durch eine überzogene Steuerung oder die Entlastung durch Schuldzuweisung an Andere. Wer diese Veränderungen nicht selbst vorantreibt, der wird von den Veränderungen getrieben – jetzt, oder vielleicht erst morgen.
  • Andere Führungsstile
    Die Truppe steht nicht mehr in Reih und Glied und befolgt Befehle. Sie haben eigene Ideen und Vorstellungen, die sie umsetzen wollen. Der Wettbewerb findet nicht mehr zwischen den eigenen Teamkollegen statt, sondern mit anderen Gruppen. In Zukunft hängt das Schicksal der Einzelnen am Los des ganzen Teams. Für die Führungskraft bedeutet das, dass man nicht mehr die Organisation entwickelt, indem man die Stellen gestaltet und regelmäßig das Verhalten der Mitarbeiter kontrolliert. Der Chef ist jetzt Coach, fördert seine Mitarbeiter als verfügbarer Ansprechpartner und löst ihnen die unlösbaren Schwierigkeiten. Die Gruppe wird als Ganzes gefördert, lernt gemeinsam und teilt Freud und Leid des Ergebnisses. Wer sich darauf nicht einlässt, verliert die Gefolgschaft der Mitarbeiter und damit seine Bestimmung als Führungskraft.
  • Wertebasierte Governance
    Ohne Governance ging es in der Vergangenheit nicht und in Gruppen wird es nie ohne gehen. Die persönliche Verbindlichkeit ist der Hauptgrund für die Bereitschaft der Mitarbeiter sich einzubringen. Die Gesetze, Normen und Richtlinien machen die Vorschriften aus, an die man sich halten MUSS – ansonsten kommt es zu mehr oder weniger festgeschriebenen Sanktionen. Am Ende führt das dazu, die Dinge richtig zu tun – vor allem im ökonomischen Sinne. Verschärft wird diese Art der Governance durch gefilterte Informationen, deren Credo von „Wissen ist Macht“ geprägt ist – von Zensur zu sprechen ist auch nicht ganz falsch. Der neue Ansatz konzentriert sich darauf, aus innerer Überzeugung das Richtige zu tun. Der Treibstoff ist nicht die Angst vor Strafe, sondern die intrinsische Verbindlichkeit seiner Aufgabe gegenüber. Dies benötigt Informationsverteiler, die die Beteiligten auf einem aktuellen Stand halten. Wer diese wertebasierte Steuerung nicht umsetzen kann, wird von den alten Regeln erdrückt und schließlich obsolet.

Dies bedeutet nicht, dass der Anarchie Türe und Tore geöffnet werden. Es geht darum, dem Team und damit jedem einzelnen Mitarbeiter, Gestaltungsfreiräume zu schaffen, die es ermöglichen mit den vorhandenen Kräften mehr zu erreichen, anstelle sich mit unsinnigen (Selbst-)Beschränkungen wirkungslos zu erschöpfen.

Fazit: Der Herr dieser magischen Kräfte ist nicht der Zauberlehrling, sondern der Meister. Der Kontrollverlust des Auszubildenden kommt daher, dass er eben noch nicht genug geübt hat. Deshalb formuliert er etwas früh:

Walle! Walle!
Manche Strecke,
dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Johann Wolfgang von Goethe, Der Zauberlehrling

ohne die Fähigkeit zu haben, den Befehl rückgängig zu machen. Der eine oder andere kann sich bestimmt in die Hilflosigkeit des Zauberlehrlings hineinversetzen. Noch sind alle Betroffenen eingebunden in die alten Strukturen. Gleichzeitig erkennen viele die Möglichkeiten, aber wollen nicht in die Situation des Zauberlehrlings geraten. Aus diesem Grund sollte man sich pro-aktiv mit den neuen Ansätzen der Agilität beschäftigen. In abgegrenzten Sonderbetriebszonen, die von den alten Regeln befreit werden, können die neuen Konzepte, andere Führungsstile und die wertebasierte Governance von allen geübt werden. Das Agilemma löst sich so langsam auf und die Geister, die man rief, will man nicht mehr los werden, sondern in immer größeren Kreisen nutzen.

Zwischen den Zeilen steckt zusätzliche Bedeutung

Nicht erst seit dem Internet hat sich der Hang zu immer kürzeren Texten entwickelt. Blog-Einträge liefern Fakten, Meinungen und Klatsch mit weniger als 1000 Wörtern. Im Extremfall packt ein Tweet Ausdrücke in 140 Zeichen. Damit wird es zusehends wichtiger sich bewusst zu machen, dass ein Text nur einen Teil der Bedeutung in sich trägt. Zwischen den Zeilen steckt zusätzliche Bedeutung.

Zwizei d

Der Weg zu diesem zusätzlichen Sinngehalt führt über Fragen bezüglich der folgenden Aspekte.

  • Absichten
    Jeder Text wird mit einer bestimmten Absicht geschrieben, die sich nicht unbedingt im Text offenbart. Beschreibt jemand Missstände, wie es beispielsweise die USA im Zuge der VW-Krise macht, so vermittelt der Text hehre Gründe, wie den Schutz der Umwelt oder der Konsumenten. Könnte man hinter die Kulissen sehen, so würden vielleicht die wahren Absichten sichtbar – Beeinflussung des Automobilmarktes oder die Schädigung der europäischen zugunsten der amerikanischen Wirtschaft.
    Die Frage, die sich stellt, ist: Was sind die wahren Absichten des Autors?
  • Konzepte und Begriffe
    Die Wörter, die in einem Text genutzt werden, entstammen der Gedankenwelt des Autors, die er durch Konzepte und Begrifflichkeiten gelernt hat. Zwar lassen sich im Deutschen schnell neue Begriffe schaffen, in dem man zwei Substantive zusammenstellt, wie z.B. Freude und Hunger zu Freudehunger. Aber das so entstandene Wort wird manchen verständlich und anderen unverständlich sein. Wird das Wort im Zusammenhang mit Psychologie genutzt, entsteht eine andere Assoziation, als wenn man es in einem Kochbuch findet. Am Ende kann man nicht wissen, was der Schreiber ursprünglich gemeint hat.
    Die entsprechenden Fragen lauten: In welchem Kontext werden die Worte genutzt? Was bedeuten die Worte?
  • Normen
    Alle Texte entstehen in einem kulturellen Zusammenhang mit bestimmten Normen. Schreibt ein US-Amerikaner einen Text, so steht dort stets das Individuum im Mittelpunkt – der amerikanische Traum stachelt zu besonderen Leistungen an. In asiatischen Ländern entsteht der Text im Rahmen eines sozialen Beziehungsnetzes – der Ansporn ergibt sich aus der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft.
    Die passende Frage lautet: Welche Normen schieben die Bedeutung in welche Richtung?
  • Art und Weise des Textens
    Die Herstellung von Texten kann sehr unterschiedlich erfolgen. Handgeschriebene Texte im Elfenbeinturm haben einen anderen Charakter, als mit der Hand geschriebene Texte in einem Café, als mit der Schreibmaschine gestippte, als mit dem Computer erfasste oder mit dem Diktiergerät aufgenommene Sätze. Das Gleiche gilt übrigens auch beim Textverständnis – gelesen oder gehört. Entsprechend des Vorgehens haben Texte einen mehr oder weniger zu Ende gedachten Handlungsstrang sowie die entsprechende Konsistenz der Gedanken.
    Die Fragen lauten: Wo und wie wurde der Text geschaffen?
  • Gefühle
    „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ Mit diesem Satz hat Ludwig Wittgenstein seinen Tractatus Philosophicus beendet. Und hier findet sich auch die Grenze des Ausdrucks. Gefühle, die uns bewegen und für die uns die Worte fehlen, lassen sich entsprechend auch nicht mit Worten darstellen. Nichtsdestotrotz wirken sie auf den Fluss und die Schlüsse, die im Text niedergeschrieben oder weggelassen werden.
    Die zugehörige Frage ist: In welcher Gemütsverfassung war der Autor?

Fazit: Zusammenfassend bleibt, dass ein Text viel mehr ist als die Summe seiner Worte. Meistens wird es schwer sein, diese zusätzlichen Hintergründe zu ermitteln. Vielleicht erschließt sich zumindest ein Teil, indem man sich zusätzliche Bedeutung zwischen den Zeilen vorstellt.