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Wiederholt die Qual der Wahl

Jedes System, das über lange Zeit existiert, führt zu Effekten, die nicht beabsichtigt wurden. So zeigt sich in der Demokratie, dass die Politikenden sich nicht mehr einer Überzeugung verpflichten, sondern einem für sie positivem Wahlergebnis hinterherrennen. Nicht so offensichtlich könnte sich bereits der Entscheidungsweg der Wählenden verändert haben. In Ermangelung von echten Wahlalternativen steht das Wahlvolk vor der Qual der Wahl.

Bei genauer Betrachtung treten die eigentlichen Inhalte zugunsten anderer Kriterien in den Hintergrund.

  • Ich wähle eine Person
    Charismatische Persönlichkeiten waren früher ein wichtiges Entscheidungskriterium für die Wahl. Gleichzeitig haben diese Personen auch über einen großen Entscheidungsspielraum verfügt. Heute ist die Bewegungsfreiheit durch die Zwänge der Fraktionen und der Koalitionsvereinbarungen massiv eingeschränkt. Die Kandidierenden werden damit zu reinen Galionsfiguren, d.h. zu Werbeträgern ohne wirkliches Format, einer Hülse ohne Inhalt, die wir eigentlich nicht wählen möchten.
  • Ich wähle eine Partei
    Die Partei ist ein wichtiges Element einer Wahlentscheidung, da sie die tatsächlich Bedeutungstragenden des Wahlergebnisses sind. Das klingt nach Zeiten, in denen Parteien das Schicksal von Staaten zentralistisch beeinflusst haben bzw. bis heute bestimmen. Damit ist die Entscheidung bei der Wahl bestimmt durch die Auswahl des einen oder anderen ideologischen Systems mit seiner Bürokratie und seinen Interessensgruppen, obwohl die Wahl den Einfluss Ihrer eigenen Interessen sichern sollte.
  • Ich verhindere eine Partei
    Denken wir über den Tellerrand hinaus, dann gibt es ein weiteres Entscheidungskriterium. Häufig besteht eine Abneigung gegen eine bestimmte Partei. Wählen wir eine andere, die es nicht auf eine ausreichende Stimmenzahl bringt, die die ungeliebte Partei verhindern hilft, dann fördern wir durch eine ungeschickte Wahl die ungewollte Partei. Unter diesen Umständen kommen wir nicht umhin, eine Partei zu wählen, die eine andere verhindert.
  • Ich wähle nicht
    Eine sehr große Wählergruppe sind heute die Nichtwählenden. Dies bedeutet nicht, dass es sich um eine einheitliche Gruppe von Meinungen und politischen Interessen handelt. Im Gegenteil. Hier finden sich Unmengen an politischen Überzeugungen von ganz links bis ganz rechts. Nicht zu wählen ist die dümmste Entscheidung, die Wählende treffen können, da sie damit die ungewollten Parteien stärken.

Die Tatsache, dass die Gruppe der Nichtwählenden wächst, führt dazu, dass die Verteilung des Willens der Wählenden verzerrt wird. Gehen wir von 61 Mio. Wahlberechtigten in Deutschland aus, so haben nur knapp 25 Mio. Wähler die Große Koalition ermöglicht – das sind weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten. 15 Mio. Nichtwählende haben dieses Ergebnis indirekt in Kauf genommen, in dem sie nicht zur Wahl gegangen sind.

Fazit: Gehen wir zur Wahl, so können wir der eigenen Überzeugung folgen und das Wahlprogramm einer Person oder Partei wählen. Damit fördern wir jedoch unter Umständen Personen, die wir verhindern möchten. In diesem Fall bleibt einem nichts anderes übrig, als den stärksten Widersacher zu wählen. Damit ist die entscheidende Qual der Wahl, ob wir der eigenen Überzeugung entsprechend oder opportunistisch den wahrscheinlichsten Gegner einer ungewünschten Partei wählen. Demokratische Wahlergebnisse, die so die Parlamente bestimmen, verlieren dadurch immer mehr an Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion für andere Kulturen.

!!!Gehen Sie wählen!!!

Mediale Trittbrettfahrer

Die Informationsgesellschaft hängt am Tropf der Neuigkeiten. Sobald etwas Berichtenswertes geschieht, reagieren die unterschiedlichen Kanäle – TV, Radio und Internet. Dabei geht es nicht nur um simple Informierung, sondern auch um Trojaner, die unter dem Deckmantel der Neuigkeit die Einstellungen und Werte Einzelner transportieren. Interessanterweise lassen sich alle Ereignisse in jede Richtung auslegen. Je nach politischer Ausrichtung werden marodierende Kämpfer in Syrien, Freiheitskämpfer oder Terroristen genannt. Im Zeitalter der kontrollierten Desinformation wird eine gewisse Skepsis gegenüber allen Formen von medialen Trittbrettfahrern immer wichtiger.

trittbrettfahrer

Es passiert ein Ereignis, dass die Aufmerksamkeit von vielen Leuten erregt. Dies kann eine Veranstaltung, eine Naturkatastrophe oder ein bemerkenswertes Einzelschicksal sein. Am schwierigsten sind Anschläge mit vielen Opfern. Die Berichterstattung spricht nicht nur von dem eigentlichen Ereignis. Gruppen, die häufig nicht direkt betroffen sind, bemächtigen sich des Themas und senden unter der Flagge der Nachricht ihre eigenen Botschaften. Alle diese medialen Trittbrettfahrer beuten Nachrichten zu ihrem Vorteil aus.

  • Vor allen anderen nutzen Redakteure die Ereignisse, um ihre Nachrichten, Reportagen und sonstigen Features zu füllen. Während früher „private“ Beweise selten zum Einsatz kamen, wie z.B. das Foto der Hinrichtung einer saudischen Prinzessin (1977), werden heute immer häufiger verwackelte Handy-Videos eingesetzt, ohne dass deren Echtheit geprüft wurde. Die Berichterstattung rund um die Uhr fordert nun mal unentwegt nach neuer Nahrung. Diese informelle Flut stößt auf wenig Widerstand. Die ganze Welt schaut und hört hin. All das erschwert es dem Publikum seine eigene Meinung zu bilden.
  • Vereinigungen unterschiedlicher Couleur bemächtigen sich des Themas und drängen in die Öffentlichkeit. Die einen, um zu verkünden, dass die Mehrheit dagegen ist. Und die anderen, um zu proklamieren, dass einige wenige versuchen die Macht zu übernehmen. Richtig und falsch verschwimmt dabei völlig. Sie polarisieren mit ihren Aussagen. Selbst auf wiederholte Rückfragen von Journalisten meinen diese Demagogen nicht mehr antworten zu müssen und wiederholen gebetsmühlenartig ihre Botschaften.
  • Vor allem unsere Interessensvertreter, die Politiker, haben ebenfalls immer weniger Hemmungen ein Thema populistisch aufzugreifen. Dies beginnt bei der immer respektloseren Kritik an anderen Politikern und reicht bis zur Besetzung einer gegensätzlichen Position, nur um zu widersprechen. Alles wird dabei sofort im eigenen Interesse gefiltert, umformuliert und ausgeschlachtet. Politiker können sich nur noch selten eine eigene Überzeugung leisten. Sie verstecken sich hinter Parteidisziplin und tun nur das, was ihnen die Wiederwahl sichert.
  • Selbst im Geschäftsleben stürzen sich alle sofort auf das Fehlverhalten von hochrangigen Entscheidern. Von dem Vorstandsvorsitzenden, der die Infrastruktur seines Unternehmens zu persönlichen Zwecken benutzt, distanzieren sich alle lautstark aus ethischen Gründen. Und hinterzieht einer seine Steuern bleiben alle ruhig, da sie wissen, dass sie, wenn sie Pech haben, die nächsten sein könnten. Mit den gemeinsamen Leichen im Keller werden die Schuldigen nach verbüßter Strafe wieder in ihrer alten Funktion eingesetzt, als wäre nichts gewesen – natürlich nur, wenn es sich um gigantische Beträge handelt.

In allen Fällen sind die Medien der Verstärker, der in der Öffentlichkeit ausreichend Aufmerksamkeit erzeugt. Kann man ihnen einen Vorwurf machen? Schwer zu sagen. Letztendlich haben sie einen Informierungsauftrag, der bedeutet, dass Nachrichten mitgeteilt werden sollen – entsprechend der Interessenslage des Publikums.

Fazit: Eigentlich ist es heute nicht mehr möglich, irgendwelche neutralen Nachrichten zu empfangen – embedded oder nicht. Das Informationsgeschäft lebt von der Aufmerksamkeit des Publikums, deren Zuschauerzahlen gemessen werden. Dies kann nur zu tendenziösen Nachrichten führen. Die medialen Trittbrettfahrer profitieren von dem unersättlichen Appetit der Programme und nutzen ihn für ihre eigenen Zwecke. Aus dieser Situation führt kein Weg heraus, da alle, die daran beteiligt sind, davon leben. Sie sind die medialen Trittbrettfahrer von denen, die die eigentlichen Nachrichten sind.