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Mediale Trittbrettfahrer

Die Informationsgesellschaft hängt am Tropf der Neuigkeiten. Sobald etwas Berichtenswertes geschieht, reagieren die unterschiedlichen Kanäle – TV, Radio und Internet. Dabei geht es nicht nur um simple Informierung, sondern auch um Trojaner, die unter dem Deckmantel der Neuigkeit die Einstellungen und Werte Einzelner transportieren. Interessanterweise lassen sich alle Ereignisse in jede Richtung auslegen. Je nach politischer Ausrichtung werden marodierende Kämpfer in Syrien, Freiheitskämpfer oder Terroristen genannt. Im Zeitalter der kontrollierten Desinformation wird eine gewisse Skepsis gegenüber allen Formen von medialen Trittbrettfahrern immer wichtiger.

trittbrettfahrer

Es passiert ein Ereignis, dass die Aufmerksamkeit von vielen Leuten erregt. Dies kann eine Veranstaltung, eine Naturkatastrophe oder ein bemerkenswertes Einzelschicksal sein. Am schwierigsten sind Anschläge mit vielen Opfern. Die Berichterstattung spricht nicht nur von dem eigentlichen Ereignis. Gruppen, die häufig nicht direkt betroffen sind, bemächtigen sich des Themas und senden unter der Flagge der Nachricht ihre eigenen Botschaften. Alle diese medialen Trittbrettfahrer beuten Nachrichten zu ihrem Vorteil aus.

  • Vor allen anderen nutzen Redakteure die Ereignisse, um ihre Nachrichten, Reportagen und sonstigen Features zu füllen. Während früher „private“ Beweise selten zum Einsatz kamen, wie z.B. das Foto der Hinrichtung einer saudischen Prinzessin (1977), werden heute immer häufiger verwackelte Handy-Videos eingesetzt, ohne dass deren Echtheit geprüft wurde. Die Berichterstattung rund um die Uhr fordert nun mal unentwegt nach neuer Nahrung. Diese informelle Flut stößt auf wenig Widerstand. Die ganze Welt schaut und hört hin. All das erschwert es dem Publikum seine eigene Meinung zu bilden.
  • Vereinigungen unterschiedlicher Couleur bemächtigen sich des Themas und drängen in die Öffentlichkeit. Die einen, um zu verkünden, dass die Mehrheit dagegen ist. Und die anderen, um zu proklamieren, dass einige wenige versuchen die Macht zu übernehmen. Richtig und falsch verschwimmt dabei völlig. Sie polarisieren mit ihren Aussagen. Selbst auf wiederholte Rückfragen von Journalisten meinen diese Demagogen nicht mehr antworten zu müssen und wiederholen gebetsmühlenartig ihre Botschaften.
  • Vor allem unsere Interessensvertreter, die Politiker, haben ebenfalls immer weniger Hemmungen ein Thema populistisch aufzugreifen. Dies beginnt bei der immer respektloseren Kritik an anderen Politikern und reicht bis zur Besetzung einer gegensätzlichen Position, nur um zu widersprechen. Alles wird dabei sofort im eigenen Interesse gefiltert, umformuliert und ausgeschlachtet. Politiker können sich nur noch selten eine eigene Überzeugung leisten. Sie verstecken sich hinter Parteidisziplin und tun nur das, was ihnen die Wiederwahl sichert.
  • Selbst im Geschäftsleben stürzen sich alle sofort auf das Fehlverhalten von hochrangigen Entscheidern. Von dem Vorstandsvorsitzenden, der die Infrastruktur seines Unternehmens zu persönlichen Zwecken benutzt, distanzieren sich alle lautstark aus ethischen Gründen. Und hinterzieht einer seine Steuern bleiben alle ruhig, da sie wissen, dass sie, wenn sie Pech haben, die nächsten sein könnten. Mit den gemeinsamen Leichen im Keller werden die Schuldigen nach verbüßter Strafe wieder in ihrer alten Funktion eingesetzt, als wäre nichts gewesen – natürlich nur, wenn es sich um gigantische Beträge handelt.

In allen Fällen sind die Medien der Verstärker, der in der Öffentlichkeit ausreichend Aufmerksamkeit erzeugt. Kann man ihnen einen Vorwurf machen? Schwer zu sagen. Letztendlich haben sie einen Informierungsauftrag, der bedeutet, dass Nachrichten mitgeteilt werden sollen – entsprechend der Interessenslage des Publikums.

Fazit: Eigentlich ist es heute nicht mehr möglich, irgendwelche neutralen Nachrichten zu empfangen – embedded oder nicht. Das Informationsgeschäft lebt von der Aufmerksamkeit des Publikums, deren Zuschauerzahlen gemessen werden. Dies kann nur zu tendenziösen Nachrichten führen. Die medialen Trittbrettfahrer profitieren von dem unersättlichen Appetit der Programme und nutzen ihn für ihre eigenen Zwecke. Aus dieser Situation führt kein Weg heraus, da alle, die daran beteiligt sind, davon leben. Sie sind die medialen Trittbrettfahrer von denen, die die eigentlichen Nachrichten sind.