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Wenn das Alte wegfällt und das Neue sich abzeichnet

Das Alte war immer die Fortführung von etwas Bekanntem mit nachvollziehbaren technischen Neuerungen. Der besagte Droschkenkutscher wechselte vom Pferd auf den Motor. Der Journalist sucht sich seine Informationen nicht mehr Vorort, sondern im Internet und übernimmt persönlich das Setzen, die Korrektur und die Veröffentlichung seiner Artikel. Lageristen tauschen den Hubwagen gegen einen Computer ein, mit dem die Lagerbewegungen kontrolliert und die Pakete fahrerlos an die gewünschten Stationen bewegt werden. Die körperlichen Tätigkeiten entfallen und werden durch „willige“ Maschinen ersetzt. In diesem Umfeld ergeben sich neue Aufgaben bei der Überwachung, Steuerung und Instandhaltung der Anlagen – und natürlich bei deren Entwicklung. In diesen Zeiten braucht es neue Fähigkeiten.

Perspektiven fehlen. Einer der Wenigen, der sich konkrete Gedanken macht, ist Thomas Frey, der das zukünftige Rüstzeug und viele neue Berufe zusammengestellt hat (siehe hier). Dieses Mal schauen wir uns ein paar der zukünftigen Talente an.

  • Biegungskundschaften
    Früher wurden Kundschafter eingesetzt, um einen vor einem liegenden Weg auszuspähen, damit gefährliche Passagen großräumig umgangen werden konnten. Dafür mussten Spuren richtig gedeutet, gefährliche Stellen eingeschätzt und die neuen Routen abgesichert werden. Grundsätzlich haben die morgigen Biegungskundschafter ähnliche Fähigkeiten. Der Unterschied ergibt sich aus ihrem vukaneren Arbeitsgebiet, d.h. Volatiler, Unsicherer, Komplexer und Ambivalenter. Der erforderliche Weitblick ergibt sich aus der intuitiven Verarbeitung der Datenflut, die man in absehbarer Zeit keinem Rechner überlassen kann.
  • Überbrücken
    In vielen Fällen wird es nicht möglich sein, die Gefahrenstelle zu umgehen. Aus diesem Grund haben Armeen bis heute Pioniere, die an den bedrohlichen Stellen Brücken bauen, die die Truppen sicher von der einen auf die andere Seite bringen. Die Fertigkeit an einer x-beliebigen Stelle den Übergang zu ermöglichen, wird in Zukunft entscheidend, da immer häufiger mentale Brücken gebaut werden müssen, die die Beteiligten zuverlässig vom Alten ins Neue bringen. Da jede Situation anders ist, ist die Erfahrung von geübten Überbrückern, die alle noch so feinen Besonderheiten erkennen und bewältigen können, unverzichtbar.
  • Nähemanagen
    Die Vernetzung der Welt schafft mit RFID-Chips das Internet der Dinge. Vernetzte Rechner bewegen Dinge quasi-automatisch um die Welt. Der Chip ist überall empfangbar und ermöglicht mit ganz wenigen manuellen Eingriffen von Personen die automatische Buchung von Frachtraum sowie die zeitnahe Verfolgung, wo sich das Gut gerade befindet. Das Gleiche gilt für Daten an sich, die sich ihren Weg durch das World Wide Web suchen. Die Probleme entstehen auf den letzten Metern – vom letzten Knoten, sei es ein Verteilungslager oder ein Verteilerkasten. Die vielen Nähemanager gibt es heute schon in Form der Paketverteiler und Fahrradkuriere. Für die Strecke vom Hub bis zum eigentlichen Adressaten braucht es die nur schwer programmierbare Intelligenz der Nähemanager.
  • Demontieren
    Neues wird immer schneller geschaffen. Die Einführung von Geschäftsideen, IT-Systemen oder Industrieanlagen steigert ohne Unterlass die Leistungsfähigkeit der Unternehmen. Mit der Zeit stehen die alten Anlagen allerdings im Weg. Abbauen wird schwierig, solange sie weiter ihren Zweck erfüllen – wenn auch nicht ganz so wirkungsvoll, wie die Neuen. In diesem Umfeld wird die komplementäre Begabung eines Erfinders benötigt. Demontierer werden zuständig sein, alte Systeme aus dem laufenden Betrieb herauszulösen und abzubauen, ohne dass Kollateralschäden für das laufende Geschäft entstehen. Dieses chirurgische Geschick ist so filigran, dass diese Aufgabe absehbar kein Rechner übernehmen kann.
  • Vermachen
    Auch wenn eine Anlage abgebaut, eine Vorgehensweise abgelöst oder ein Geschäft Geschichte ist, bedeutet dass nicht, dass die damit gemachten Erfahrungen überholt sind. Viele dieser Einsichten können noch lange nachwirken. Immerhin handelt es sich um langfristige Routinen, die über die Zeit verbessert worden sind. Der Wiederverwendung stehen meist profane Gründe im Weg – die Protagonisten sind nicht mehr da oder eine ausreichende Dokumentation liegt nicht vor. Die nachhaltige Verfügbarkeit der Erfahrung sicherzustellen ist die Aufgabe der Vermacher. Die Herausforderung ist das Ausmisten von unwesentlichen, die Auswahl der interessanten und die Aufbereitung der wertvollsten Bausteine. Das dafür erforderliche Gespür, die relevanten Aspekte zu erkennen, wird für Rechner noch lange ein Problem darstellen.

Fazit: Die fortschreitende Digitalisierung übernimmt einfache Routinetätigkeiten. Die Maschinen führen an sich unattraktive Aufgaben aus und lösen sie auch noch zuverlässiger als menschliche Arbeitskräfte. Damit werden sich die Betätigungsfelder mal wieder verlagern. Die Fähigkeiten biegungsspähen, überbrücken, nähemanagen, demontieren und vermachen zu beherrschen, lassen sich nicht automatisieren, solange sich Auffassungsgabe, Intuition, Kreativität und die anderen typisch menschlichen Eigenschaften nicht mit entsprechenden Algorithmen abbilden lassen. Künstliche Intelligenz geht zwar einen Schritt in die richtige Richtung, aber die bescheidenen Hoffnungen der Achtziger aus dem letzten Jahrtausend, haben sich nach fast vierzig Jahren noch nicht annähernd erfüllt – auch wenn wir beeindruckt auf Roboter blicken, die Erstaunliches machen – aber eben nicht mehr. Das Alte fällt weg und das Neue zeichnet sich ab. Was daraus wird? Wie die Franzosen sagen – Wer lebt, wird sehen.