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Kooperative Metamorphose

Henry Ford hat das Fließband eingeführt. Beseelt vom Taylorismus bemühte er sich aber auch darum, alle Stufen der Wertschöpfung unter seine Kontrolle zu bringen. Zu diesem Zweck hatte sein Unternehmen für eine bestimmte Zeit einhundert Prozent Fertigungstiefe – Plantagen für Gummi, Glasfabriken, Stahlwerke und Kraftwerke für die erforderliche Energie. Durchschnittlich liegt die Fertigungstiefe in der Automobilindustrie heute bei ca. 20 Prozent. Tausende Zulieferer teilen sich drei Viertel des Wertes eines Autos, von einfachen Drehschaltern bis hin zu komplizierten Einspritz- oder Navigationssystemen.

Jetzt rächt sich zum ersten Mal diese Verringerung der Fertigungstiefe. Die kleinen Zulieferer haben Jahre gebraucht, aber jetzt scheinen sie auf Augenhöhe mit denen zu sein, die seit Jahren die Preise durch ihre Marktmacht bestimmen. Bei VW stehen die Bänder, weil sich der Einkauf offensichtlich verzockt hat. Stehen wir vor einer kooperativen Metamorphose zwischen Herstellern und Zulieferern?

Monopolist

Nachdem VW mit José Ignacio Lopéz die letzte Verwandlung eingeläutet und den Zulieferer eine neue Rolle gebracht hatte, wird VW nicht umhin kommen, ein Umdenken bezüglich der gegenseitigen Abhängigkeit von Herstellern und Lieferanten auf den Weg zu bringen. Der Stopp der Golf-Produktion in Wolfsburg, die voraussichtlich 20.000 Mitarbeiter Kurzarbeit bringt, ist der Weckruf für die gesamte Industrie. Die folgenden Mechanismen haben das harmonische Miteinander über die Jahre belastet.

  • Anpassung des Lieferantenportfolios
    Nachdem die internen Möglichkeiten zur Verbesserung schon alleine aufgrund der geringen Fertigungstiefe nur noch wenige Chancen für die Drosselung der Ausgaben boten, blieben den Herstellern nur noch die Senkung der Kosten, der nach außen delegierten 80 Prozent. In Ermangelung von monetären Anreizen konnte den Zulieferern nur noch das Privileg, im Kreis der Lieferanten aufgenommen zu sein, einen Vorteil bringen. Dies bedeutet, dass sie mitbieten können und manchmal den überkommenen Titel Haus- und Hoflieferant erhalten, als sogenannte strategische Lieferanten.
  • Neue Preismodelle
    Einen großen Stellhebel bieten nur noch die riesigen Mengen, die zu günstigen Konditionen und Preisen führen. Die großen Stückzahlen sind der Anreiz für die Lieferanten. Gleichzeitig erfordert die zeitnahe und variantenbezogene Anlieferung zusätzliche Ressourcen, die den Ertrag weiter schmälert.
  • Ausgereizte Zahlungsbedingungen
    Die Zahlungen sind nicht darauf ausgerichtet, dass die Zulieferer möglichst schnell ihr Geld erhalten, sondern sie orientieren sich an bilanziellen Berichtszeitpunkten. In der Folge trägt der Zulieferer den Aufwand der Finanzierung. Dabei reden wir bei der Beschaffung von Material unter Umständen von über sechs Monaten Vorfinanzierung. Bei Lieferung wird jedoch noch nicht bezahlt, sondern die Hersteller warten auch noch die vereinbarten Zahlungsziele von über drei Monaten ab, um schließlich ihre Schulden zu bezahlen. Die Überbrückung dieser Zeiträume muss der Lieferant vorhalten – neben den Rohstoffen, Löhne und Gehälter, die Lagerhaltung, den Betrieb der Infrastruktur usw.
  • Neue Verhandlungsformen
    Die persönlichen Verhandlungen unter vier Augen, die die Grundlage für vertrauensvolle Zusammenarbeit waren, sind abgelöst durch formale Ausschreibungen und elektronische Formen der Verhandlung. Der persönliche Kontakt wird aus den Geschäften entfernt. Dies führt ohne persönliche Eindrücke zu quasi-automatischen Entscheidungen auf Basis des Verhältnisses von Preis-Leistung und der allgemeinen Normen der Qualität.
  • Einseitige Kündigungen
    In vielen Einkaufsbereichen herrscht immer noch die Illusion am längeren Hebel zu sitzen, da es weltweit Unmengen an Lieferanten gibt, die bereit sind, zu geringeren Kosten zu liefern. Dies führt schnell dazu, dass ein Lieferant, der in Ungnade fällt, von jetzt auf nachher gekündigt wird.
  • Risikodelegierung an Zulieferer
    Die vorgelagerte Materialbeschaffung und die bereitgehaltenen Ressourcen erhöhen das Risiko einseitig zu Ungunsten der Zulieferer. Läuft ein Vertrag aus oder kündigt der Hersteller während der Laufzeit einseitig den Vertrag, kann das schnell in die Insolvenz führen.

Die Möglichkeiten die Beschaffungskosten zulasten der Zulieferer zu senken haben ihre Grenzen erreicht. Auch Zulieferer nutzen das Outsourcing in Billiglohnländer. In Anbetracht der engen Margen und der gegenseitigen Abhängigkeit müssen jetzt jedoch neue Modelle für die Zusammenarbeit gefunden werden. Der dafür notwendige Austausch von Informationen hat wechselseitig zu erfolgen und wieder auf Win-Win setzen. Dafür wird es in Zukunft unerlässlich, dass die Einkäufer mit den Zulieferern persönlich in Kontakt treten, sich Vor-Ort einen Eindruck verschaffen und so zu realistischen Einschätzungen kommen. Die hartnäckige Compliance, die vor allem im Interesse der Anteilseigner eingeführt wurde, hat den Missbrauch durch Einzelne nicht verhindert und schadet der Zusammenarbeit.

Fazit: Das Zusammenspiel zwischen Herstellern und Zulieferern muss auf eine neue Stufe des Vertrauens und des gemeinsamen Nutzens gehoben werden. Die Verteilung der Wertschöpfung benötigt eine Neuausrichtung in der Wirtschaft und sogar bei den Politikern, die sich jetzt für VW starkmachen, obwohl sie die prekäre Situation der Zulieferer seit Jahren stillschweigend aussitzen. Am Ende dieser Phase wird die Industrie gestärkt hervorgehen, da die aktuelle Schieflage ausgeglichen wird. Diese kooperative Metamorphose wird Hersteller und Zulieferer wieder stärker zusammenschweißen, da die Einen nicht ohne die Anderen können.

Nur erreichbare Ziele werden angestrebt

Der Weltrekord beim Hochsprung liegt seit 1993 bei 2,45 m. Die Goldmedaille im Hochsprung bei der letzten Olympiade in London erhielt Iwan Uchow für 2,38 m. Ziele sind unentwegt in Bewegung. Dabei werden die Besten der Besten stets neu ermittelt. Die Gewinner springen einfach höher als die Konkurrenz. Im geschäftlichen Alltag müssen die Ziele auch den Gegebenheiten angepasst werden. Nur erreichbare Ziele werden angestrebt.

Hochsprungbw

Die Absichten sind immer mehr oder weniger herausfordernd. In jedem Fall gilt, dass sobald sie festgelegt sind, bilden sie den Rahmen für alle. Die Einen, die die Vorgaben machen, erwarten, dass die Aufgaben gemeistert werden und der Bereich dadurch entsprechende Vorteile hat. Die Anderen, die über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen, strengen sich derart an, dass sie mit möglichst wenig Aufwand die gestellten Aufgaben in der erwarteten Güte erfüllen. Natürlicherweise haben Auftraggeber größere Erwartungen, als die Durchführenden erbringen können. Und die Ausführenden haben einen geringeren Antrieb als diejenigen, die ihre übergreifenden Ziele verfolgen. Wie findet man die richtige Lattenhöhe für ein x-beliebiges Ziel?

  1. Man könnte es dem Auftraggeber überlassen, auf welcher Höhe das Ziel angelegt wird. Sie wissen, was sie damit erreichen wollen und was dafür erforderlich ist. Damit wäre das Ziel im Interesse des Unternehmens passend, aber die Umsetzbarkeit fraglich.
  2. Man könnte den Ausführenden die Lattenhöhe überlassen. Sie kennen am Besten ihre Fähigkeiten. Damit wäre ihr Ziel wahrscheinlich ein machbares, aber die angestrebte Wirkung wäre ungewiss.
  3. Die Ausführenden und Auftraggeber könnten verhandeln. Die Latte wäre dann nicht unrealistisch hoch, nicht unbrauchbar niedrig und im Idealfall einträglich für beide Parteien.

Schwierig wird es in der Praxis, da diese Abstimmungen von Aspekten beeinflusst werden, die nichts mit den eigentlichen Zielen zu tun haben.

  1. Die Auftraggeber verfolgen weitere Interessen neben den zu verhandelnden Zielen. Sie müssen beispielsweise die Viabilität des Unternehmens und dessen Zukunft sicherstellen. Dazu müssen Leistungen erbracht werden, die Einnahmen zur Deckung der laufenden Ausgaben und zum Ausbau des Angebots sicherstellen. Nicht zu vergessen ihre eigene Vergütung. Dies führt schnell zu überzogenen Erwartungen und Zielsetzungen.
  2. Auch die Ausführenden haben eine zusätzliche Agenda. Sie wollen das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben erhalten. Die Familie, der Freundeskreis und persönliche Interessen erfordern Zeit und Aufmerksamkeit, die dadurch der Arbeit fehlen. Dies gelingt nur, wenn sie die zu erbringenden Leistungen so optimieren, dass die eigenen vertraglichen Verpflichtungen nicht übererfüllt werden. Dies führt schnell zu einem bescheideneren persönlichen Einsatz, als es die Fähigkeiten zulassen würden.

Der goldene Mittelweg ist die Verhandlung der Leistungsvereinbarungen auf Augenhöhe. Dabei können die Auftraggeber ihren Standpunkt vermitteln, die Mitarbeiter durch entsprechende Aussichten begeistern und überzeugen. Gleichzeitig können die Ausführenden ihre Bedenken ansprechen und überzogene Anforderungen zurechtrücken. Beide Parteien haben dadurch die Chance, die andere besser zu verstehen und die eigenen Ansprüche daran anzupassen. Die Ergebnisse sind die realistischen Erwartungen der Auftraggeber und das echte Commitment der Mitarbeiter durch ihre Work-Life-Balance.

Um wirksam Ergebnisse zu erzielen, müssen beide Parteien sich von alten Mustern verabschieden. Es braucht auf der einen Seite Führungskräfte, die unternehmerisches Gespür, klare Ziele und Verantwortung für das Wohlbefinden der Mitarbeiter haben. Auf der anderen Seite müssen jedoch Mitarbeiter sitzen, die verstehen, dass ihre Leistung die Grundlage für den monatlichen Gehaltsfluss darstellt und Unternehmer im Unternehmen erfordert, die ihre Arbeitszeit nicht absitzen, sondern engagiert und committet ihre Aufmerksamkeit dem Unternehmen widmen. Sobald eine der beiden Seiten das Wohl des Unternehmens aus den Augen verliert, besteht die Gefahr, dass das Schiff sinkt, in dem alle unterwegs sind.

Fazit: Die richtige Lattenhöhe darf nicht zu niedrig und nicht zu hoch sein, da in beiden Fällen Nachteile für das Unternehmen entstehen. Die beiden Parteien haben selten den Überblick, deshalb ist es unabdinglich, die Lattenhöhe zu verhandeln. Dadurch wird sichergestellt, dass die gewünschten Ergebnisse zustande kommen. Voraussetzung sind verständige, committete Führungskräfte und Mitarbeiter, die sich gegenseitig vertrauen. Man sollte nie vergessen, dass nur erreichbare Ziele angestrebt werden.