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Systemrelevante Abhängigkeiten von heute

Kurz nach dem Börsencrash in New York (1929) hat Bertolt Brecht in der Dreigroschenoper die richtigen Worte gefunden: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Damit hat er visionären Spürsinn bewiesen. Aufgrund der Staatsverschuldung haben alle Deutschen rechnerisch Schulden beim Finanzsystem von über 29.000 €, jeder US-Amerikaner sogar über 57.000 $ – inklusive aller Babys und Rentner. Gleichzeitig bezeichnen manche die Geldinstitute als systemrelevant und stützen sie deshalb. In der Folge werden fortwährend deren Verluste privatisiert und Profite privatisiert. Damit ist der Moment erreicht, einen Blick auf diese gewachsenen, systemrelevanten Abhängigkeiten von heute zu werfen.

So wie ein Drogenhändler den Junkie langsam an die Droge gewöhnt, haben die Banken über die Jahre das folgende System aufgebaut. Das Ergebnis ist das Gleiche, wie bei einer Spielbank – die Bank gewinnt immer.

  • Wenig Zinsen zahlen und viele Zinsen nehmen
    Schon die leicht verständliche Idee, Zinsen für die Kreditvergabe zu berechnen, hat frühzeitig die Regelung von Geldgeschäften erfordert, um Wucher zu verhindern – manchmal besser, manchmal schlechter. Gleichzeitig übernahmen die Banken den Service das Geld, das man nicht benötigte sicher zu lagern, bezahlten dafür Zinsen und verliehen das Geld für einen höheren Zinssatz an Kreditnehmer, die Geld benötigten. Die Differenz erzeugte den Verdienst der Bank. Die Verwaltung dieses Austauschs ist systemrelevant – der neutrale Vermittler schafft mehr Gelegenheiten.
  • Konsum auf Pump fördern
    Kredite dienten zur Finanzierung von Königreichen, Staaten und schließlich von Geschäften. Mit dem Aufkommen der Konsumgesellschaften entdeckten sie die Konsumkredite: für den Hausbau, den Autokauf, die Urlaubsreise und mittlerweile für alle Konsumbereiche. Dadurch, dass die Banken derartige Kredite ermöglichten, förderten sie die Wirtschaft, die wiederum Arbeitsplätze schafften. Dieses Angebot von Konsumkrediten hat Systemrelevanz – zumindest in einer Konsumwelt.
  • Gebühren auf alles (Konto, Kreditkarten, Kontostand, Transaktionen)
    Neben den Zinsen entdeckten die Banken irgendwann den Ansatz, ihren Service bezahlen zu lassen. Eine Überseeüberweisung hat immer schon viel gekostet (zusätzlich zu den Tarifen für den Währungsumtausch). Mittlerweile haben die Banken alle Bereiche mit Gebühren versehen: für alle Arten von Geldkarten sowie Konto- und Transfergebühren, inklusive für persönliche Überweisungen an einem Bankschalter. Besonders geschickt ist die Idee, den Kunden eine Mitgliedskarte zu bieten, die einige der alten Services weiterhin kostenlos zur Verfügung stellt – natürlich mit einigen Voraussetzungen zum Vorteil der Bank. Da man regelmäßige Zahlungen (wie die Miete, die Telefonrechnung, Kredite) über das eigene Konto abwickelt, festigt die Bank als Mittelsmann ihre Systemrelevanz.
  • Bargeld verknappen und möglichst abschaffen
    Da die Banken immer weniger „physische“ Leistungen bieten, wird es für sie wichtig die Hintertür der Konten, zu schließen, das Bargeld. Hierfür soll es sukzessive abgeschafft werden. Ohne Bargeld existieren die Werte nur noch in den Datenspeichern der Banken. Damit erreicht die Virtualisierung der Geldwerte nach der Aufgabe des Goldstandards ihren Zenit. Unser Reichtum unterliegt nun schwankenden Kursen, die sich unentwegt ändern. Da das Bargeld selbst keinen Materialwert mehr hat, kann man ja auch darauf verzichten. Sobald nur noch die Datenspeicher der Banken unseren monetären Besitz repräsentieren, sollte dem Letzten klar sein, dass Banken systemrelevant sind.
  • Was kommt noch?
    In Zukunft werden ALLE Geldaktionen gebührenpflichtig. Die höchsten Gebühren werden Banken fordern, die sich nicht so schnell ändern können, wie ihre Mitbewerber. Das Internet ermöglicht gleichzeitig neue Geschäftsmodelle – von Linden Dollars, über Bitcoins, bis hin zu Mikrofinanzierung, Crowdfunding oder Privatkrediten. Diese Verschiebungen bedeuten das Ende für klassische Geldinstitute, die meinen sich durch überhöhte Gebühren finanzieren zu können und sich nicht an die neuen Gegebenheiten anpassen. Die letzten Zuckungen wird dem System einiges abverlangen. Für die Kunden bedeutet das, einen Ausweg zu finden aus der systembestimmten Abhängigkeit von den Banken – dem Konto, den Sparzinsen, den Daueraufträgen, den Überweisungen, den Geldanlagen usw. Das Festhalten an der scheinbaren Systemrelevanz wird das System verschieben – weg von den klassischen Geldhäusern.

Fazit: Über Jahrtausende hat die Wirtschaft ohne systemrelevante Banken funktioniert. Heute stehen die Banken in der Sackgasse. Die derzeitigen Anstrengungen neue Einnahmequellen zu finden, werden die zwischenzeitlich etablierten Abhängigkeiten soweit ausbeuten, bis die Kunden daran kaputtgehen. Das Kreditsystem, der Konsum, die Dienstleistungen, das Bargeld und damit all das, was als systemrelevant bezeichnet ist, wird durch neue Anbieter mit neuen Geschäftsmodellen, wie der Mikrofinanzierung, dem Crowdfunding oder Privatkrediten, ersetzt. Die Grundlage der Wirtschaft, das Geld, das nur noch auf Glauben beruht, wird durch neue Zahlungsmittel ersetzt – egal wie, Hauptsache ist raus aus den systemrelevanten Abhängigkeiten von heute.

Flatrate für die Sinnenwelt?

Unsere sinnliche Wahrnehmung findet in jedem einzelnen Kopf statt. Nichtsdestotrotz haben wir alle scheinbar ähnliche Eindrücke. Unternehmen bemühen sich, um diese grundsätzlichen Empfindungen zu ihrem Vorteil zu schützen. Dabei ist der eigentlich schützenswerte Aspekt die Gestaltung, die original von den Unternehmen entwickelt wird – die Schriftart, das Logo, das Produkt, die Verpackung. Die Konsumwelt wird heute jedoch mehr bestimmt durch das Markenmanagement als durch Unterschiede in der Güte der Produkte. Aus diesem Grund errechnet sich der Preis aus den Herstellungskosten plus dem Markenwert. Werden Farben der standardisierten Farbpaletten jetzt auch schützenswerte Eigenschaften? Sind natürliche Geräusche eine Lizenz wert? Kann man unsere Gesten und unsere Haptik schützen? Ist der Geruch eines Parfüms schutzwürdig? Lässt sich der Geschmack eines Apfels mit einer Nutzungslizenz versehen? Im Zuge der Ökonomisierung aller Bereiche des Alltags nähern wir uns vielleicht der nächsten Stufe – einer Flatrate für die Sinnenwelt.

Ursprünglich hat sich der Markenschutz auf die originalen Produkte beschränkt. Langsam streben Unternehmen mit Patenten und dem Schutz von Marken an, sich auch Teile unserer Sinnenwelt zu sichern.

  • Mit offenen Augen
    Das eigentliche Bild, das ein Bildgestalter geschaffen hat, ist schon lange geschützt. Mittlerweile sind aber auch ähnliche Bilder eine Verletzung der Rechte eines Urhebers. Selbst Farben des natürlichen Farbspektrums werden als Eigentum eines Unternehmens behandelt – Beispiele sind Milka-Lila, Aral-Blau oder Telemagenta der Telekom.
  • Mit offenen Ohren
    Die originale Aufnahme eines Lautmalers ist heute schon geschützt. Im Falle von Musik ist sogar das Konzept eines Stückes, die Komposition, bis 70 Jahre nach dem Tod des Komponisten geschützt. Wie lange wird es dauern bis nicht nur die originalen Aufnahmen, sondern auch allgemeine Lautsignale lizenziert werden – der Schrei eines beliebigen Vogels oder das bekannte Rauschen des Meeres? Ein gutes Beispiel ist der Herzschlag am Ende einer Audi-Werbung „Duke Du ke“ oder der Klingelton der Telekom „DaDaDaDiDa“.
  • Mit bewusstem Tasten
    Das ursprüngliche Objekt mit seiner Oberfläche und seinem Material und der damit verbundene Programmcode sind geschützt. Sobald wir jedoch einen ähnlichen Reiz erhalten, beginnen die Rechtsstreitigkeiten. Wenn Apple versucht seine Schiebe-Geste zum Entsperren eines Smartphones zu schützen. Oder Verizon eine Touchscreen-Haptik anderen untersagen wollte. Wird irgendwann das Gefühl von natürlichen Oberflächen, wie Leder, Holz oder das Fell eines Pferdes, patentrechtlich geschützt?
  • Mit kritischer Zunge
    Die echte Rezeptur einer Speise oder eines Getränks ist bereits geschützt. Sobald jedoch jemand in der Lage ist ähnliche Reize auszulösen, stellt sich die Frage, ob dies erlaubt ist. Am Ende werden wir uns die Frage stellen, ob der Geschmack eines Apfels an sich geschützt werden kann.
  • Mit sensibler Nase
    Die Zusammensetzung, die einen bestimmten Geruch erzeugt, ergibt sich aus dem Verhältnis und der Qualität der einzelnen Bestandteile. Derartige Elemente dürfen heute nur nach entsprechender Lizenzierung genutzt werden. Stellen wir uns jedoch vor, jemand ist in der Lage mit einer völlig anderen Zusammensetzung den gleichen Effekt von Chanel No.5 zu erzeugen. Und was ist mit den vielen natürlichen Düften – der Duft von Zitronen, Rosen, Blumen oder Heu? Sind diese schutzwürdig?

Solange keiner seinen Widerspruch einlegt, können die Unternehmen sich langsam diese Bereiche unserer Wahrnehmung zu eigen machen und irgendwann Gebühren für deren Wahrnehmung fordern. Bei Wasser haben wir das Problem bereits. Die Ausbeutung von Wasser an den Oberläufen der Flüsse führt bereits zu Krisen im weiteren Flussverlauf. Dies könnte irgendwann auch dazu führen, dass die Luft, die wir atmen, oder ein Sonnenaufgang von uns bezahlt werden muss.

Fazit: Die Ökonomisierung von immer mehr Bereichen des Alltags schränkt das Allgemeingut ein. Diese Entwicklung wird sich nur zu einem frühen Zeitpunkt stoppen lassen. Vielleicht ist jetzt der Moment sich gegen eine Flatrate für unsere Sinnenwelt zu wehren.