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Agilität könnte eigentlich schon lange angewendet werden

Wenn die Belegschaft unabhängig von Rang und Reputation, jederzeit und überall, Zugriff auf alle benötigten Daten hat und am Ort des Geschehens sofort entschieden wird, spätestens dann werden althergebrachte Einrichtungen obsolet. Die inthronisierten Entscheider, die den Kontakt zum Geschäft verloren haben, die Weisungsketten, in denen die eigentlichen Entscheidungen verwässert und zu spät getroffen werden sowie die Anträge zur Beantragung von Anträgen, die unnötige Aufgaben generieren und den eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllen, passen nicht mehr in die Zeit. Das erklärt die Sehnsucht nach neuen Formen der Zusammenarbeit. Die Umsetzung ist schwierig, da der gewünschte Zustand geprägt ist von Selbstorganisation, die erlaubt sein muss – was einen Großteil der Aufgaben der Entscheider überflüssig macht. Diese Selbstständigkeit braucht keine neuen Strukturen, sondern ein neues Mindset. Und sobald diese Grundeinstellungen bei den Führungskräften und den Mitarbeitern gegeben wären, könnten sie sich auch in althergebrachtem Rahmen entfalten. Agilität könnte eigentlich schon lange angewendet werden.

Das Mindset ist jedoch eine persönliche Eigenschaft, die vor allem während der Ausbildung in Richtung eines opportunistisch willigen Befehlsschemas geformt wird. Was immer schon Agilität verhindert hat, sind Menschen, die Führungskräfte und die Mitarbeiter gleichermaßen, denen das entsprechende Mindset fehlte, z.B.

  • das Vertrauen, dass alle am gleichen Strang ziehen;
  • das Team-Lernen, das die gemeinsamen Fähigkeiten erweitert;
  • das Feedback, das wertschätzende Verbesserungsvorschläge liefert;
  • die Kultur, die auf ethischen Werten nicht auf Paragrafen aufbaut;
  • das intrinsische Commitment, das jedes Teammitglied verbindlich in Schwung hält.

Die folgenden Eigenschaften haben Agilität unterminiert.

  • Mikromanagement
    Dies ist keine formale Anforderung der Führung, sondern der intrinsische Druck Einzelner, sich in jede Einzelheit einmischen zu müssen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es darum geht, das Beste zu wollen oder ob die Einmischung in die Feinheiten aus fehlendem Selbstvertrauen stattfindet.
  • Fehlerintoleranz
    Allen sollte bewusst sein, dass alles immer besser gemacht werden kann. Aus diesem Grund sollten alle Ergebnisse gefeiert werden. Ab wann man von einem Fehler sprechen kann, hängt vom Betrachter ab. Besonders störend für das Team sind die Personen, die mit eigenen Fehlern großzügig umgehen und mit Fehlern von anderen Perfektionismus bis zur Aggression betreiben.
  • Schuld- statt Lösungssuche
    Bei der Arbeit wird an der Betonung von Mängeln und andauernden Vorhaltungen erkennbar, ob es um die Suche nach Schuldigen oder um die Suche nach einer Lösung geht. Agilität wirkt, wenn Lösungen erzielt werden. Am Ende bestimmen die Rückmeldungen der Kunden über die Güte.
  • Unentschlossenheit
    Eine Voraussetzung von Agilität ist die entschiedene Vorgabe von klaren Zielen. Durch die entsprechende Smartifikation von Zielen schafft man eine bestmögliche Klarheit. Schwierig wird es, wenn die Entscheider sich nicht entscheiden können und zwischen unterschiedlichen Zielen hin und her oszillieren.
  • Double Binding
    Die Welt ist nicht Schwarz oder Weiss, sondern Grau in unendlichen Schattierungen. Das Eine zu tun und das Andere nicht zu lassen, ist in diesen Graubereichen immer möglich. Gefährlich sind die Double-Binder, Leute, die sich zwei Varianten wünschen und am Ende kritisieren, wenn eine Lösung nicht so perfekt ist, wie sie es sich vorgestellt haben, unabhängig von der Perfektion der anderen Lösung – und natürlich vice versa.
  • Energiefresser
    Agilität lebt von dem eigenen Schwung und den erworbenen Fähigkeiten. Energiefresser haben gelernt, andere für die eigenen Interessen auszunutzen. Dadurch lasten sie anderen ihre eigenen Aufgaben auf, indem sie Unterstützung einfordern und unentwegt andere aus ihrem Rhythmus bringen.

Agilität ist in Zukunft ein Muss, da die Reaktionszeiten gegen null gehen. Es ist nicht mehr möglich, bei jedem Schritt nach Führung und Hilfe zu rufen. Das Geschäft gewinnt der Mitarbeiter an der Schnittstelle zum Kunden genau in dem Moment, wenn der Kunde da ist.

Fazit: Häufig wird neuer Wein in alten Schläuchen als etwas Schlechtes angesehen. In dem Fall von Agilität ist es jedoch eher Ausdruck des jahrzehntelangen Unvermögens die Fähigkeiten der Mitarbeiter so nutzen zu können, wie es die Mitarbeiter eigentlich gerne hätten. Die Hürden auf dem Weg dorthin sind einzelne Mitarbeiter, die durch den entsprechenden Auftrieb in führende Positionen gelangt sind. Sie stören durch ihr Mikromanagement, Fehlerintoleranz, Schuld- statt Lösungssuche, Unentschlossenheit, Double Binding und grenzenlosem Energieappetit. Vor irgendwelchen strukturellen Veränderungen braucht es die Entwicklung des erforderlichen agilen Mindsets, z.B. Vertrauen, Team-Lernen, Feedback, Kultur und intrinsisches Commitment. Dann erzeugt Agilität seine Wirkung – obwohl es eigentlich schon lange angewendet werden könnte.

Mehr als gesagt und gehört wird

Es ist schon verwunderlich, dass nachdem viele Jahre das Team auf der Agenda steht, tun sich die Unternehmen sich immer noch schwer, die zusätzlichen Schätze zu heben, die sich durch das Bündeln von Mitarbeitern in Arbeitsgruppen ergeben. Die Förderung von individuellen Laufbahnen, das künstlich angeheizte Wetteifern um Leistungspunkte und das Fehlen von informellen Gelegenheiten sich auszutauschen, behindern ein partnerschaftliches Verhältnis. Im Fall der Fälle werden immer noch die individuellen Kriterien bemüht, um die Leistungen zu beurteilen. Die Einzelnen stehen im Mittelpunkt – obwohl das die vertrauensvolle Zusammenarbeit belastet.

Das Unternehmen oder besser seine Repräsentanten tun wenig dafür, dass dieser zusätzliche Vorteil entstehen kann. Auch wenn jetzt mal agiler Schwung aufkommt und alle sich von den Mitarbeitern den entsprechenden Einsatz wünschen, gibt es nicht

  • die dafür erforderlichen, offenen Strukturen,
  • agile Arbeitsplätze und Besprechungsräume, um sich spontan zu treffen,
  • neue Verteilungsmechanismen für die Ressourcen, oder
  • Führungskräfte, die jeglichem Mikromanagement

Kann es eigentlich auch nicht geben, solange die Entscheider selbst nur Mitarbeiter in einer vielschichtigen Rangordnung sind. Vielleicht hilft es sich bewusst zu machen, dass eine Gruppe von Mitarbeitern mehr ist, als die Summe der einzelnen Erfahrungen – wenn mehr sagbar und hörbar ist.

  • Die Sender verfügen über mehr Gedanken, als sie ausdrücken können
    Die Zusammenarbeit lebt von Ideen, die im Team ausgetauscht werden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass ein Großteil der Gedanken, die sich ein Mitglied des Teams macht, nicht vollständig mitgeteilt werden können. Bei der Umsetzung in Sprache und Bilder gehen viele Aspekte verloren. Durch Verallgemeinerungen, die Nutzung von Klassifizierungen, unausgesprochenen Vorannahmen und dem Einsatz von mehrdeutigen Begriffen werden wichtige Inhalte herausgefiltert.
    Beispiel: Alle Vertriebler folgen dem Salesprozess mit der Überzeugung, dass alles möglich ist. Ihr Credo ist AIDAS. Warum lässt sich das nicht durch intensive Zusammenarbeit verbessern? Wir brauchen agile Vorgehensweisen.
    In dem Beispiel bleiben viele Sachverhalte unausgesprochen: Vertriebler? Salesprozess? Was ist möglich? AIDAS? Was macht Zusammenarbeit intensiv? Agil? Der Sender weiß zwar mehr, aber drückt es nicht ausführlicher aus.
  • Die Empfänger bestimmen den Gehalt des Wahrgenommenen
    Der Austausch der Ideen erfordert, dass alle die Gedanken der Anderen auch mitbekommen. Da alle Menschen über verschiedene Kanäle wahrnehmen, wirkt manchmal das gesprochene und ein anderes Mal das geschriebene Wort und manchmal ein Bild oder eine Zahlenreihe mehr als Tausend Worte – solange man die Botschaft nicht verpasst In jedem Fall übernimmt die Zielgruppe die Auslegung der Aussagen. Der Weg ins Bewusstsein nutzt die bereits vorhandenen Gedanken und Denkmuster der Zielpersonen, um die Inhalte mit nützlichem Wissen im Kopf anzureichern.
    Beispiel: Jim und John arbeiten schon lange im Vertrieb und setzen Clickfunnels ein, um seit Wochen jeden Tag 1500 neue Kontakte, sogenannte Leads, zu sammeln, die sie mit ihrem Softwaremodul priorisieren, um die interessantesten Kontakte in nur einer Woche zu interessierten Kunden zu machen, die bereit sind, sich mit unseren Verkäufern zu treffen.
    Das Beispiel zeigt, das beim Empfänger das Wahrgenommene sofort an seine Vorstellungen angepasst wird: Jim und John sind Vertriebler; Clickfunnels scheint etwas mit dem Salesprozess zu tun zu haben; möglich sind 1500 Leads pro Tag; der Rest, z.B. das Agile, ist verschwunden. Der Empfänger hat einige Botschaften angereichert und gleichzeitig andere ausgeblendet.
  • Wechselseitiger Diskurs erweitert das Verständnis
    Eigentlich läuft alles wie gewünscht. Der Sender teilt sich mit und der Empfänger versteht, was er kann. Tatsächlich hat der Empfänger sich das Ganze bisher nur gedacht. Damit die Erfahrungen ausgetauscht werden, muss jeder im Team zum Sender werden und seine Rückmeldungen teilen. Die Zielpersonen nehmen die Beiträge wieder wahr und verbinden die Inhalte mit ihrem Erfahrungshorizont. Durch wechselseitiges Nachfragen werden die Ideen zu einem immer umfassenderen gemeinsamen Ergebnis weiterverarbeitet. Je intensiver der Gedankenaustausch, umso umfassender entwickelt sich das Gesamtverständnis.
    Beispiel: Wie erreichen wir Jim und John? Wer sollte dazu kommen? Was genau macht Clickfunnels? Wie können wir die Ergebnisse für Bedarfsanalysen nutzen? Wie erhöhen wir unsere Flexibilität?
    Im Beispiel geht es nicht um rhetorisches Fragen, sondern um das Füllen von Verständnislücken und dem Erzeugen eines gemeinsamen Bildes. Sobald der Sättigungsgrad erreicht ist, arbeitet das Team auf Basis dieses Konsenses wirkungsvoller und leistungsfähiger zusammen.

Die Magie der Gruppenarbeit entsteht, wenn die Mitarbeiter sich frei von Konventionen und Zwängen austauschen können – wenn sie keine Angst haben müssen, dass ihre aktive Beteiligung ihnen Nachteile bringt. Damit die gewünschte Wirkung erzielt werden kann, brauchen sie den entsprechenden Freiraum, psychisch und physisch. Nicht alles klappt. Aber es gibt ein gutes Beispiel, das das Leistungsvermögen verdeutlicht. Erinnern wir uns an die Post-It-Geschichte. Spencer Silver hatte in den Sechzigern einen Kleber erfunden, der nicht dauerhaft festklebte. Erst als Arthur Fry in der Kirche die Idee hatte, sein Gesangbuch mit anhaftenden Lesezeichen zu markieren, war die Idee von Post-It geboren – heute werden jährlich 50 Milliarden Klebezettel verkauft. Im Schnitt nutzt jeder bei der Arbeit elf Klebezettel pro Tag.

Fazit: Ohne die Unternehmenskultur der Minnesota Mining and Manufacturing Company (heute kurz 3M) gäbe es dieses kulturelle Artefakt wahrscheinlich nicht. Es ist seit Jahrzehnten das Vorzeigebeispiel, dass man der Entwicklung neuer Ideen einen freien Lauf gewähren muss. Gleichzeitig zeigt es, dass sich Personen außergewöhnlich ergänzen können. Alles, was Unternehmen tun müssen, ist die Bereitstellung eines entsprechenden Rahmens. Die Mitarbeiter brauchen den Raum, die Zeit und wechselseitigen Diskurs, um Ergebnisse zu erzeugen, die Einzelne einfach nicht zustande bringen. Es ist immer mehr vorhanden, als gesagt und gehört wird.