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Die Verwundbarkeit von Bedeutung

Wir interpretieren in jedem Moment ein Geschehen, das sich aus dem Kontext, einer Aussage oder einer Beziehung ergibt. Unterschiedliche Perspektiven erzeugen automatisch verschiedene Interpretationen (mehr dazu http://www.memecon.de/wahrnehmungspositionen.html ). Selten wird das so deutlich, wie am 15.03.2015. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis war eingeladen via Satellit an einer deutschen, sonntagabendlichen Talkshow teilzunehmen. Dort wurde er mit einem Video konfrontiert, in dem er scheinbar den Mittelfinger in Richtung Deutschland gehoben haben soll. Anhand von einigen Aspekten wird die Verwundbarkeit von Bedeutung sichtbar.

Varoufakis

Vulgäre Gesten erzeugen viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit – unangenehm für den, der an dem Finger dranhängt; angenehm für den kritischen Rest. In Deutschland kennt man solche Fälle aus Sport und Politik.

Zwei Videos bilden die Grundlage für diesen Blogbeitrag.

  • Video1 (in Deutsch hier: http://ow.ly/Ld81d ) zeigt die Talkshow mit den Diskussionsteilnehmern in Berlin und dem aus Griechenland zugeschalteten Yanis Varoufakis. Ein Einspieler, der das bisherige Leben von Yanis Varoufakis anhand von zusammengeschnittenen Szenen beschreibt, findet sich in der Sendung von Minute 23:39 bis 26:13 (siehe unten 1). Die Antwort von Yanis Varoufakis, in der er die Echtheit des Videos bestreitet, läuft von Minute 26:16 bis 26:52 (siehe unten 2).
  • Video2 (in Englisch hier: http://ow.ly/Ld85F) zeigt die originale Aufnahme seiner Keynote zu seinem Buch „Der globale Minotaurus“, in Zagreb, am 14.5.2013. Der entsprechende Ausschnitt aus der Fragerunde im Anschluss an seine Präsentation mit der besagten Geste, findet sich von Minute 40:20 bis 40:36 (siehe unten 3).

Die Macher der Talkshow erwecken mit ihrer Präsentation den Eindruck, dass Yanis Varoufakis in seiner Funktion als griechischer Minister, Deutschland den Mittelfinger gezeigt hat, was ein respektloser Affront wäre. Die folgenden Punkte unterstreichen den Versuch der Fernsehmacher, diese Geste mit negativer Bedeutung aufzuladen.

  1. Günther Jauch, der Gastgeber, wertet den Einspieler zu Beginn mit den Worten „…sind die Deutschen zuweilen irritiert, in welcher Art gerade sie …“.
  2. Der Einspieler erzeugt einen mehrdeutigen Eindruck durch historische Ausschnitte, die aus dem Zusammenhang gerissen und unvollständig sind sowie in der falschen zeitlichen Reihenfolge montiert wurden. Der polarisierende Sprecher im Off, der einen scheinbar logischen, aber falschen Zusammenhang erzeugt, verstärkt diesen Eindruck (siehe Sprecher im Einspielertext unten 1).
  3. Günther Jauch unterstreicht seine Wertung mit den Worten „Der Mittelfinger für Deutschland …. Die Deutschen zahlen am meisten … Wie passt das zusammen?
  4. Günther Jauch fällt Yanis Varoufakis oft ins Wort.
  5. Die non-verbalen Signale der Diskussionsteilnehmer sind ein weiterer Versuch, ihre Wertung zu unterstreichen; z.B. die Überraschung von Günther Jauch, als Varoufakis den Mittelfinger bestreitet.
  6. Die Gespräche werden von zwei Dolmetschern simultan übersetzt. Zu hören ist nur die deutsche Übersetzung und Antwortfetzen von Varoufakis. Wir wissen nicht, mit welchen Worten die deutschen Beiträge übersetzt wurden. Es wäre interessant die tatsächlichen Aussagen zu hören.

Yanis Varoufakis reagiert mit einer generellen Aussage „Diesen Finger habe ich nie gezeigt.“, die offensichtlich falsch ist. Oder wollte er damit sagen, er hat Deutschland den Mittelfinger nicht gezeigt?

  1. Er wurde erst im Jahr 2015 zum griechischen Finanzminister ernannt.
  2. Es handelt sich bei dem Zitat „Mein Vorschlag war“ um eine Empfehlung für das Jahr 2010.

Die Zuschauer können sich nach der Betrachtung der beiden Videos ihr eigenes Urteil bilden.

Fazit: Was hat nun die Fernsehmacher getrieben, die Zitate so zu schneiden, als hätte Yanis Varoufakis sich respektlos gegenüber Deutschland geäußert? Darüber können wir nur spekulieren. Sichtbar wird der Versuch dem Video aus Zagreb, im Stil des Schwarzen Kanals http://de.wikipedia.org/wiki/Der_schwarze_Kanal, eine bestimmte Bedeutung zu verleihen. Es wäre wünschenswert, wenn die Öffentlichkeit nicht in populistischer Manier den Mittelfinger diskutierte, sondern die billige Verschiebung von Bedeutung in den „neutralen“ öffentlich-rechtlichen Medien. Auf alle Fälle wird die Verwundbarkeit von Bedeutung deutlich.

Anhang

1) Einspielertext
Günther Jauch: „Die Deutschen haben das Gefühl, dass sie sehr lange schon solidarisch mit Griechenland gewesen sind. Kein Land hat ja mehr Milliarden an Griechenland gegeben als Deutschland. Aber um so mehr sind die Deutschen zuweilen irritiert, in welcher Art gerade sie auch gegenüber unserem Land aufgetreten sind.“

Ausschnitt aus dem Beitrag zu Yanis Varoufakis:
Sprecher: „Dann die Euro-Krise. Varoufakis schreibt Artikel, er gibt Interviews und dreht Videos, in denen er die Krise erklärt.
Varoufakis: „Die Reichen machten Gewinne, aber die Armen hatten zu kämpfen wie noch nie.
Sprecher: „Varoufakis will den Griechen neues Selbstvertrauen geben.
Varoufakis: „Griechenland sollte einfach verkünden, dass es nicht mehr zahlen kann.
Sprecher: „und steht für klare Botschaften, besonders an Deutschland.
Varoufakis: „Deutschland den Finger zeigen und sagen: Jetzt könnt ihr das Problem alleine lösen.

Günther Jauch: „Der Mittelfinger für Deutschland, Herr Minister? Die Deutschen zahlen am meisten und werden dafür mit Abstand am stärksten kritisiert. Wie passt das zusammen?

2) Antwort Yanis Varoufakis
Dieses Video ist falsch. Das ist so montiert worden. Ich habe nie so etwas gemacht. Ich schäme mich dafür, dass man mir ein solches Video zutraut. Ich bin sicher, das haben Sie nicht gewusst. Aber das ist getürkt. Diesen Finger habe ich nie gezeigt. Das ist ein unechtes Video. Genauso wie es noch eins gibt, das man in Griechenland zeigt, wo ich angeblich meine Hand einem ausländischen Politiker hinstrecke und sie im letzten Moment zurückziehe.

3) Originaltext Zagreb
„Mein Vorschlag [Anfang 2010 hinzugefügt durch M.L.] war, dass Griechenland einfach ankündigen sollte, dass es, wie Argentinien es getan hat, seine Verpflichtungen nicht einhält, innerhalb des Euros, im Januar 2010, und Deutschland den Mittelfinger zeigen und sagen: Nun könnt ihr das Problem selber lösen.[Die fett gedruckten Stellen wurden in der Talkshow gesendet.]

The vulnerability of meaning

We interpret at any time a situation that results from the context, a statement or a relationship. Different perspectives create automatically different interpretations (more here: http://www.memecon.com/perceptual-positions.html). Rarely it becomes as clear as on March 15th 2015. The Greek Minister of Finance Yanis Varoufakis was invited to participate via satellite in a German Sunday-evening talk show. There, he was confronted with a video, in which he was to have apparently stuck the middle finger towards Germany. On the basis of some aspects, the vulnerability of meaning becomes visible.

Varoufakis

Vulgar gestures produce much attention in the public – inconvenient for the one, who hangs at the finger; pleasantly for the critical rest. In Germany people know such cases from sports and politics.

Two videos form the basis for this blog post.

  • Video1 (in German here: http://ow.ly/Ld81d) shows the talk show with discussion participants in Berlin and, from Greece connected, Yanis Varoufakis. In a clip, that describes the past life of Yanis Varoufakis with some edited scenes, can be found in the broadcast from minute 23:39 to 26:13 (see below 1). The answer of Yanis Varoufakis, in which he denies the authenticity of the video, can be found from minute 26:16 to 26:52 (see below 2).
  • Video2 (in English here: http://ow.ly/Ld85F) shows the original recording of the meeting of his key note about his book „The global Minotaur“, in Zagreb, on May 5th 2013. The relevant cutout from the Q&A following his presentation with the mentioned gesture starts from minute of 40:20 until 40:36 (see below 3).

The producers of the talk show create with their presentation the impression that Yanis Varoufakis stuck the middle finger to Germany in his function as Greek Minister, which would have been a disrespectful affront. The following points underline the attempt of the television producers to inject negative meaning into this gesture.

  1. Günther Jauch, the host, assesses the clip at the beginning with the words „… the Germans are occasionally irritated, in which manner especially you… “.
  2. The clip produces an ambiguous impression with historical cutouts that are incomplete and torn out of context as well as were mounted in the wrong chronological order. The polarizing speaker in the off, who produces a logical, but apparently wrong context, amplifies this impression (see speaker in the clip text below 1).
  3. Günther Jauch underlines his assessment with the words „the middle finger for Germany..
  4. Günther Jauch often interrupts Yanis Varoufakis.
  5. The non verbal signals of the discussion participants are a further attempt to underline their assessment; e.g. the surprise of Günther Jauch, when Varoufakis denies the middle finger.
  6. The discussions are translated simultaneously by two interpreters. You can only hear the German translation and fragments of the answers of Varoufakis. We do not know, with which words the German parts were translated. It would be interesting to hear the actual statements.

Yanis Varoufakis reacts with a general statement „ I never stuck the middle finger“, which is obviously wrong. Or did he want to say that he did not stick the middle finger to Germany?

  1. He was appointed in the year 2015 as Greek Minister of Finance.
  2. The quotation „My proposal was“ is a suggestion for the year 2010.

The audience can make their own assessment after watching the two videos.

Result: So what drove the television producers to mount the quotations in such a way as if Yanis Varoufakis would have expressed himself disrespectfully towards Germany? We can only speculate about it. Visibly there is the attempt to deliver a certain meaning with the clip from Zagreb in the style of the “black channel” http://en.wikipedia.org/wiki/Der_schwarze_Kanal. It would be desirable, if the public would not discuss in a populist style the middle finger, but the cheap shift of meaning in the “neutral“ public service media. In any case the vulnerability of meaning becomes visible.

Appendix

1) Clip text
Günther Jauch: „The Germans have the feeling that they already were solidary with Greece for a very long time. No country gave more billions to Greece than Germany. But all the more the Germans are occasionally irritated, with which manner especially you also acted towards our country. “

Cutout of the clip about Yanis Varoufakis:
Speaker: „Then the euro-crisis. Varoufakis writes articles, he gives interviews and makes videos, in which he explains the crisis.“
Varoufakis: „The rich made profits, but the poor had to fight like never.“
Speaker: „Varoufakis wants to give new self-assurance to the Greeks.“
Varoufakis: „Greece should simply announce that it is defaulting“
Speaker: „and stands for clear messages, particularly to Germany.“
Varoufakis: „stick the finger to Germany and say: Well, you can now solve this problem by yourself.“

Günther Jauch: „The middle finger for Germany, Mr. Minister? The Germans pay most and are by far most strongly criticized for it.

2) Answer Yanis Varoufakis
This video is wrong. That was doctored. I never did something like that. I am ashamed for the fact that one thinks that I am capable of such a video. I am sure, that you did not know it. But this is a fake. I never showed this finger. This is a faked video. Just like another one that is shown in Greece, where I allegedly stretched out my hand to a foreign politician and withdrew it at the last moment.

3) Original text Zagreb
“My proposal [in early 2010 added by M.L.] was that Greece should simply announce that it is defaulting – just like Argentina did – within the Euro, in January 2010, and stick the finger to Germany and say: Well, you can now solve this problem by yourself.” [The bold parts were broadcasted in the talk show.]