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Wahlwundertüte

Wir wählen jeden Tag aus der Flut des Möglichen die von uns bevorzugten Alternativen. Das beginnt beim Wachwerden, wenn wir uns entscheiden, aus dem Bett zu springen oder noch fünf Minuten liegen zu bleiben. Im Verlauf des Tages wählen wir dann noch aus vielen privaten und geschäftlichen Angeboten, die von uns bevorzugten. Solange wir sie uns leisten können, haben wir damit kein Problem. Stellen wir uns jetzt mal vor, dass wir eine neue Jacke kaufen. Beim Bezahlen stellen wir fest, dass wir eine ganz andere bekommen. Auf Rückfrage erklärt die Person hinter der Kasse, dass die KollegInnen sich abgestimmt haben, uns eine andere zu übergeben. Was ist denn hier los?

Eine Wahl sollte stets unbeeinflusst, unbeobachtet und gerecht stattfinden. Wenn dies nicht der Fall ist, wird diese Handlung zur Farce. Das Gleiche gilt für demokratische Wahlen. Für einen Urnengang sind mindestens zwei Alternativen erforderlich. Auf diesem Weg werden Personen und Parteien als Repräsentanten des Wahlvolks für bestimmte Ämter ausgewählt. Die fragmentierten Blickwinkel führen in Deutschland zu einer zunehmenden Anzahl von Parteien. Dadurch ergibt sich keine regierungsfähige Mehrheit – anders als in den USA, wo nur zwei Parteien zur Wahl stehen. Als Folge werden NACH der Wahl regierungsfähige Koalitionen gebildet – unabhängig vom Wählervotum.

  • Koalitionen erst NACH der Wahl
    Parteien werden gewählt. Sie versprechen vorher ihr Wahlprogramm, das bestenfalls dann erfüllt würde, wenn sie die Mehrheit erhielten. Tatsächlich reicht es bei den großen Parteien in Deutschland nur noch für 20 bis 30%. Um dem Wähler die tatsächlichen Alternativen für die Wahl anbieten zu können, müssten auch die Koalitionen mit ihren Zielen zur Wahl stehen. Erst dann würden die Wählenden sichergehen können, dass sie an der Politik der folgenden vier Jahre beteiligt wären.
  • Die abschließenden Vereinbarungen
    Da der Koalitionsvertrag erst nachträglich verhandelt wird, geben die Wähler ihre Stimme für eine Wundertüte ab. Die Partner einer Koalition bringen ihre Programme in die Verhandlungen ein und erarbeiten einen Vertrag, der für die Dauer der Legislatur gilt. Jedoch werden verkürzte Kompromisse vereinbart. Sie entbinden die Gewählten von den Versprechen, die vor der Wahl gegeben wurden. Das Wahlvolk kann erst vier Jahre später darauf reagieren, sofern es nicht von erneuten Versprechungen geblendet wird. Zusätzliche Vereinbarungen werden im Verlaufe der Legislaturperiode Tit-for-Tat ausgehandelt. Die Stimmberechtigten haben nach der Wahl keinen Einfluss mehr auf die Parteien. Sie verselbstständigen sich für die Laufzeit im Stil klassischer Herrscher.
  • Große Koalition – kleine Opposition
    Je mehr Prozente eine Koalition hinter sich versammelt, desto mehr Freiräume hat sie. Sobald sie mehr als drei Viertel der Stimmen auf sich vereint, führt das dazu, dass nicht mehr im Parlament debattiert wird, sondern nur innerhalb der Regierung. In der GroKo hat bereits das Bündnis der zwei größten Parteien ausgereicht, um das Parlament auszuhebeln. Diese Parallelgesellschaft hat die Macht, da die parlamentarischen Regularien nicht länger greifen. Das Parlament ist nicht mehr Teil beim Ringen um Lösungen.
  • Fraktionsdisziplin ersetzt die Verantwortung gegenüber den Wählern
    Trotz des Prinzips des freien Mandats, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterwirft, folgen die Mitglieder einer Partei den Vorgaben ihres Vorstands. Obwohl die Wählenden ihre Vertreter nach ihren persönlichen Einstellungen auswählen, gehen diese Eigenschaften im Parlament verloren. Der Fraktionszwang fordert von den Abgeordneten, sich der Parteipolitik des Vorstands unterzuordnen. Dadurch lösen sich die verbleibenden Verbindlichkeiten gegenüber den Wählenden auf.

Fazit: Die Politikenden lenken unsere Aufmerksamkeit gerne auf die „bedrohlichen“ Einflüsse des Internets, die „randständigen“ Parteien und die scheinbaren Probleme in der Gesellschaft – wie Wirtschaftsförderung, Windräder, Zuwanderung, Impf- und Maskenpflicht. Damit lenken sie von den eigentlichen Problemen der Demokratie ab. Das Wahlvolk hat keine Kontrolle mehr über ihre Parlamente. Die Parlamentarier verfolgen eigene Interessen:

1) gewählt zu werden; 2) Parteipolitik umzusetzen; 3) die eigenen Stakeholder zu bedienen.

Eine Wahl wird dadurch zur Wundertüte. Erst nachdem die Stimmen ausgezählt sind, werden die regierenden Koalitionen hinter verschlossenen Türen ohne das Wahlvolk ausgehandelt. Den Wählenden fehlen die Alternativen, da die Koalitionsprogramme vor der Wahl noch gar nicht ausgehandelt sind. Zusätzlich werden die verbindlichen Vereinbarungen zu einem maximalen Programm für die Regierung – nicht mehr. Mit der Mehrheit kann die Koalition eigenmächtig durchregieren, ohne die Bedarfe des gesamten Parlaments zu berücksichtigen. Entscheidungen werden innerhalb der Koalition ausgehandelt. Zusätzlich führt der versteckte Fraktionszwang zur Entbindung jeglicher Verantwortung der Abgeordneten. Die Macht übernehmen die Parteivorstände und deren Vertreter in den ausgehandelten Ministerien. Die Volksvertretenden haben so Wege gefunden zu regieren, unabhängig vom Wählerwillen. Mit den heutigen Größen von Parteien wird eine Wahl in Deutschland zu einer Wundertüte, deren Inhalt erst nach Abschluss der Wahl und der Koalitionsfindung und -verhandlungen sichtbar wird.

Das Auge wählt mit

Spätestens zu Wahlzeiten rücken Politiker ins Rampenlicht. Jetzt stellen sich Parteien mit ihren Programmen und Kandidaten den Wählern. Damit sich das Wahlvolk nach der Wahl nicht über falsche Zusagen aufregt, wird davor so wenig wie möglich versprochen. Es gibt jedoch einen Faktor, der zuverlässig vor der Wahl sichtbar wird – die Körpersprache der Kandidaten. Besonders die Mimik enthüllt den Menschen hinter der politischen Fassade. Das Mienenspiel ist nur schwer steuerbar. Ausnahmen bilden Schauspielende und PolitikerInnen.

Die Gefühle hat Paul Ekman mit allgemeinen Kriterien beschrieben, dem Facial Action Coding System. Mit dem FACS können wir die Gesichtsausdrücke der sieben Grundgefühle erkennen – Wut, Verachtung, Ekel, Angst, Freude, Traurigkeit und Überraschung. Entlarvend sind die Gefühle, die uns am stärksten ins Auge springen. Allerdings verstehen wir diese Gesichtsausdrücke erst, wenn wir die Gründe kennen.

  • Wut
    entsteht, wenn ungerechte, bedrohliche oder hinderliche Umstände passieren. Sie enttäuschen, stimmen mutlos und lösen Stresshormone aus. In der Folge steigen der Herzschlag und der Blutdruck. Die Augenbrauen werden zusammengezogen. Die Augenlider spannen sich an und das obere Lid hebt sich. Die Lippen werden aufeinandergepresst.
    Sobald jemand wütend ist, sollte die Situation entspannt werden. Sie können freundlich reagieren, das Problem von Personen trennen und die Ursache der Wut ermitteln (Frage: Was macht Dich/Sie wütend?).
  • Ekel
    besteht, weil einen etwas anwidert oder abgelehnt wird. Dieser Reflex führt zu körperlichen Reaktionen wie Verkrampfungen im Verdauungstrakt und Brechreiz. Entsprechend werden die Nase gerümpft, die Oberlippe und das Kinn hochgezogen sowie die Mundwinkel und Wangen gesenkt. Ekel ist ein erlernter Reflex, der uns vor ungenießbarem Essen schützt. Manchmal wird er auf Sachverhalte übertragen, die einen so stark abstoßen, dass der Körper unbewusst reagiert.
    Um Ekel zu begegnen, sollte die Ursache beseitigt und das Augenmerk umgelenkt werden. Ermitteln Sie die Gründe des Ekels (Frage: Was stört Dich/ Sie?) und lenken Sie die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung.
  • Angst
    entsteht, wenn sich jemand bedroht fühlt. Dies geschieht aufgrund eines vagen Gefühls, aus Angst vor etwas, in einer gefährlichen Situation oder aufgrund einer chronisch psychischen Erkrankung. Angst ist eine körperliche Antwort auf eine bedrohliche Lage, die seit den frühen Phasen der Evolution das Überleben sichert. Die Menschen nehmen die Umwelt aufmerksamer wahr. Die Herzfrequenz steigt. Das Atmen wird flacher und beschleunigt sich. Die Verdauung wird gehemmt sowie Übelkeit und Schwindel treten auf. Die Augen weiten sich. Die Augenlider und die Lippen spannen sich an. Die Augenbrauen werden hoch- und zusammengezogen. Der Kiefer fällt herunter und die Mundwinkel werden nach außen gezogen. Der Blick fällt erstarrt auf die Gefahr.
    Menschen können sich auf angstmachende Umstände vorbereiten, indem sie sich ihnen bewusst aussetzen: Hunde streicheln, Aufzug fahren, vor Menschen sprechen. In der bedrohlichen Lage helfen eine ruhige Atmung und vorbereitete, eigene magische Formeln zu denken oder unmerklich aussprechen – „Ich-Kann-Wie-Immer-Jetzt“. Sobald Sie Angst bemerken, unterbrechen Sie das laufende Tun. Beruhigen Sie die Person – „Alles gut – Wir machen eine Pause – Tief ein- und ausatmen.“
  • Überraschungen
    tauchen aus dem Nichts auf. Aufgrund von unerwarteten Ereignissen, intensiven Gefühlen oder anderen unvorhergesehenen Wahrnehmungen werden spontanes Verhalten und Ausrufe ausgelöst. Das jeweilige Temperament, die aktuelle Stimmung und Aufmerksamkeit haben einen starken Einfluss darauf. Unsere verletzten Überzeugungen führen zu (un)angenehmen Gefühlen bis hin zu Ängsten. Die Augen werden weit geöffnet, die Augenbrauen gehen hoch und der Kiefer fällt herunter.
    Sobald jemand verblüfft reagiert, empfiehlt es sich zu ergründen, welche mentalen Modelle verletzt wurden. Negative Resonanz ist ein Hinweis auf verletzte Werte. Positive Rückmeldungen weisen auf Vorlieben und Bedürfnisse hin, die, sobald sie verstanden sind, zu einer förderlichen Verankerung der Umstände beitragen können.
  • Freude
    entsteht, wenn etwas Angenehmes oder Vorteilhaftes passiert oder erinnert wird. Die angehobenen Mundwinkel und Wangen sowie zusammengekniffene Augen sind deutliche Signale bei „öffentlicher“ Freude. „Nicht öffentliche“ Freude wird an einer entspannten Miene erkennbar.
    Sobald sich jemand freut, wirkt das stimulierend auf die Umgebung. In „The Secret“ wird anhand des Gesetzes der Anziehung beschrieben, wie eine freudige Einstellung zu besseren zwischen­menschlichen Beziehungen, Gesundheit und anderen Effekten unseres Lebens führen. Normalerweise braucht Freude keine Erwiderung. Wenn allerdings jemand auf Geschehnisse nicht entsprechend antwortet, sollte man die Gründe ermitteln – auf einen Scherz wird üblicherweise gelacht oder zumindest gelächelt.
  • Traurigkeit
    entsteht durch unerwünschte Umstände wie dem Tod, Krankheit und unerfüllten Wünschen. Zusammengezogene, mittige Falten zwischen den Augenbrauen, hängende Mundwinkel, ein leicht angehobenes Kinn, eine flache Atmung und ein nach innen gewandter Blick sind Kennzeichen.
    Sobald Sie Trauer bemerken, überlassen Sie es den Trauernden, die eigenen Gefühle auszuleben. Sie brauchen Zeit, um die Trauerphasen zu durchlaufen (i.e. Schock, Gefühle in den Griff bekommen, Rückzug, Bewältigung und Annahme des Schicksals). Zeigen Sie zurückhaltendes Mitgefühl, durch Aufmerksamkeit und Anteilnahme.
  • Verachtung
    entsteht, wenn Personen, Gruppen oder Institutionen (un)bewusste Überzeugungen verletzen. Dies führt dazu, dass die Adressaten nicht beachtet, abgelehnt oder aggressiv entwürdigt werden. Sie wirkt von oben nach unten und umgekehrt. Sichtbar wird die Geringschätzung an hängenden Augenlidern, einem starren Blick und ansonsten einseitiger Mimik: hochgezogene Lippenseite, nach unten gezogener und nach innen gepresster Mundwinkel, leicht angehobene Wange.
    Das Ziel der Verachtung ist nicht sofort klar. Aus diesem Grund sollte die Ursache ermittelt werden. Möglicherweise verachtet die Person sich selbst, ihren Gegenüber, jemanden anderes oder einen früheren Vorfall. Vermeiden Sie dieses Gefühl unbewusst zu spiegeln. Bleiben Sie freundlich, gehen Sie nicht auf persönliche Vorwürfe ein und finden Sie den eigentlichen Grund der Verachtung heraus (Frage: Was stört Dich/Sie?).

Fazit: Die Körpersprache ist ein direkter Zugang zu der Gemütslage von Personen. Auch wenn manche Schauspieler bestimmte Gefühle bewusst ausdrücken können, bleiben die kleinen Signale, die nicht gewollt beeinflusst werden können. Gefühle wie Wut, Ekel, Angst, Überraschung, Freude, Traurigkeit und Verachtung können wir erkennen. Allerdings wissen wir dann noch lange nicht, was die Gründe für diese Gefühle sind. Bei Wahlen ist es schwierig, dem Innenleben der Kandidaten auf den Grund zu gehen. Politiker sind darauf vorbereitet, einen bestimmten Eindruck zu erwecken. Interviews sind in diesen Fällen aufschlussreich – vor allem, wenn die Fragenden unangenehme Fragen stellen und ungewollte Gefühle sichtbar werden. Besonders enthüllend sind die offensichtlichsten Posen, da sie wesentliche Eigenschaften des Menschen offenbaren. Am Ende wählt das Auge mit.