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Vergleiche, die über-treiben

Alles Lebendige zieht seine unerlässliche Energie aus der Umgebung – die lebensnotwendige Nahrung und Flüssigkeit werden aufgenommen. Diese Vorräte werden intern verteilt und im laufenden Betrieb für unterschiedliche Aufgaben verbraucht. Sobald die Bestände einen bestimmten Füllgrad unterschreiten, ist die erneute Energiezuführung unausweichlich und der Kreislauf beginnt von vorne. Die benötigte Menge wird bestimmt durch die Größe des Körpers, die Anzahl der Verbrauchsstellen und die angestrebte Stärke. Für die aktuell nicht benötigten Bestände werden Depots angelegt, die angezapft werden, wenn von außen keine zeitnahe Versorgung möglich ist. Diese Zwischenspeicher erfordern auch Energie, um verfügbar zu bleiben. Es gibt Mechanismen, wie das Sättigungsgefühl,  die die übertriebene Zufuhr regeln. Allerdings leben wir heutzutage in einer organisierten Welt des Überflusses. Natürliche Sättigungsgefühle gehen verloren. Und wenn wir dann uns noch mit Anderen vergleichen, treibt das einen über die Grenzen des Benötigten hinweg.

Dadurch sind Vergleiche schädlich für eine ausgewogene Aufnahme von Energie. Schauen wir uns mal drei derartige Bereiche an.

  • Besitz
    Der materielle Besitz lässt sich am einfachsten vergleichen – meine Häuser, meine Flugzeuge, meine Boote, meine Autos. Den 0,1% der Weltbevölkerung gehören 80% des Finanzvermögens. Allerdings liegt dieses Vermögen im virtuellen Raum. Es braucht nur eine ausreichend große Krise, um diese Werte verpuffen zu lassen. Die über 99% verlieren dann zwar auch, aber nur ihren Teil der restlichen 20%, die sich auf fast sieben Milliarden Menschen verteilen. Bei 172,5 Billionen Euro Vermögen weltweit bedeutet das, dass sich 34,5 Billionen Euro verteilen auf ca. 7 Mrd. Menschen, d.h. durchschnittlich pro Kopf Vermögen 4.500 Euro der 7 Milliarden versus 18.000.000 Euro der 0,1%.
  • Reputation
    Eine Studie aus den USA zeigt, dass jenseits von 75.000 US$ Jahreseinkommen das Wohlbefinden nicht weiter zunimmt. Sind materielle Dinge nicht mehr von Bedeutung, dann bieten Anerkennung, Wertschätzung und Renommee eine gute Möglichkeit sich mit anderen zu vergleichen. Die Reputation ergibt sich aus hervorstechenden wissenschaftlichen Beiträgen, durch einen besonderen moralischen Ruf oder ein leidenschaftliches Image sowie durch ein außergewöhnliches soziales Engagement. Ein gutes Beispiel ist die Philanthropie, die private Wohlfahrt, die sich vor allem dort entwickelt hat, wo der Staat keine entsprechende Verantwortung übernimmt. Damit diese Vergleiche sichtbar werden, gibt es entsprechende Listen.
  • Leistungsfähigkeit
    Leistungsvergleiche lassen sich in allen Bereichen und Schichten der Bevölkerung durchführen – z. B. finanziell, beruflich, spirituell, geistig, körperlich, partnerschaftlich, emotional und künstlerisch. Die Entwicklung zu Straßenpanzern wurde sicherlich angeheizt durch den nachbarschaftlichen Wettkampf um den größten. Die Rivalitäten im Berufsleben beginnen, wenn man in der ersten Anstellung das eigene Fortkommen mit Anderen und deren Fortschritt vergleicht. Die Inbrunst des eigenen Glaubens bestimmt man sich durch regelmäßige Teilnahme an religiösen Ritualen und dem Engagement bei der Missionierung von Andersgläubigen, sodass man in der Schlange zum Seelenheil vor den Mitbewerbern steht. Oder nehmen wir als letztes Beispiel jede Art von körperlicher Fitness, die durch regelmäßiges Training, den eigenen Körper in eine bessere Form bringt als den der Bekannten.

Fazit: Der Vergleich ist ein wesentlicher Brandbeschleuniger für den Konkurrenzkampf in allen Bereichen des Lebens. Dabei ist ein gewisser Wettbewerb hilfreich, den eigenen Schweinhund zu überwinden. Allerdings haben die verschiedenen Triebfedern keinen Punkt, an dem das Sättigungsgefühl eintritt, was dazu führt, dass die Einzelnen es übertreiben. Diese Zeloten geben sich nicht mit dem zufrieden, was sie besitzen, darstellen oder leisten. Das Ergebnis sind die Auswüchse, die Extremismus in allen Bereichen erzeugen. Auslöser sind überwiegend die alltäglichen Benchmarks, die uns bewusst oder unbewusst vorantreiben. – Vergleiche, die über-treiben.

Dokumentiertes Unwissen

Ein großes Problem der Informationsgesellschaft ist die Tatsache, dass die Einzelnen

  • sich nicht bewusst sind, was sie alles wissen und
  • nicht greifen können, was sie nicht wissen.

Schon in der Antike hat Sokrates, der Wissende seiner Zeit, diesen Zustand mit dem Ausspruch „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ auf den Punkt gebracht. Unsere informationshungrige Gesellschaft wird durch das Dilemma angetrieben, viel zu erfahren und sich unentwegt informieren zu müssen. Dieser Drang nach Wissen führt zu permanenter Reizüberflutung, die nichts weiter schafft als dokumentiertes Unwissen.

DokumentiertesUnwissen

Unser Gehirn ist keine Festplatte, die alle 18 Monate ihren Speicherplatz und die Zugriffsgeschwindigkeit auf die gespeicherten Daten verdoppelt. Im Gegenteil. Eine chinesische Studie hat herausgefunden, dass unser Gehirn in den vergangenen 10.000 Jahren von 1500 cm3 auf 1350 cm3 geschrumpft ist. Und unsere Alltagserfahrung zeigt, dass wir anders funktionieren als ein digitaler Datenspeicher. Wir scheinen nie voll zu sein, darum

  • abonnieren wir mehr Zeitungen, Magazine, Online-Angebote, als wir verarbeiten können. Entweder stapeln sich die Papierberge im Zimmer oder im Müll;
  • kaufen wir Bücher, die immer dicker und immer seltener gelesen werden und über Jahre in den Regalen auf ihren ‚Verbrauch‘ warten;
  • verschicken und empfangen wir Unmengen von E-Mails, die unseren Briefkasten überlaufen lassen. Gleichzeitig wünschen wir uns auf immer mehr Verteiler, damit wir ja nichts verpassen;
  • konsumieren die Deutschen im Schnitt fast 4 Stunden Fernsehen am Tag – und erinnern sich am nächsten Tag bestenfalls an die Sendung, aber nicht an deren Inhalt;
  • verliert man sich beim Surfen im Internet.

Das dokumentierte Nicht-Wissen sind all die Informationen, die wir virtuell oder physisch vorhalten, um ja nichts zu verpassen. Wer nicht über einen zu großen Haufen an dokumentiertem Nicht-Wissen, in Form von ungelesenen Artikeln, Büchern, ungesehenen Filmen verfügt, der werfe den ersten Stein.

Das Defizit, das uns den Zugang zu bereits Bekanntem und zu Unbekanntem versperrt, führt nicht zu einem sparsamen Einsatz der Ressourcen. Wir machen nichts aus dem, was wir bereits wissen und drehen den Informationshahn immer weiter auf, um das, was wir meinen nicht zu wissen, aufzunehmen. Am Ende verspüren wir keinen Fortschritt.

Der Weg aus dieser Sackgasse beginnt mit der Veränderung der Überzeugungen, die uns antreiben.

  • Die eigene Leistungsfähigkeit akzeptieren
    Sobald wir verstehen, dass unsere Verarbeitungskapazität so gut oder so schlecht ist, wie bei allen anderen, können wir die vorhandenen Ressourcen besser nutzen.
  • Von allem wissen wir fast nichts
    Es gibt keine Personen, die weniger Nicht-Wissen haben, als man selbst. Dieses Nicht-Wissen zu akzeptieren, keine Angst zu haben Fragen zu stellen und Neugierde zur eigenen Tugend zu machen, baut den Druck ab.
  • Verhindern, dass Neues schnell verpufft
    Passive Aufnahme von Neuigkeiten führt zu schnellem Vergessen. Schneller, aktiver Einsatz der neuen Kenntnisse in Diskussionen beziehungsweise die schriftliche Zusammenfassung von neuen Erkenntnissen, führt dazu, dass man es sich besser merken kann.
  • Die Sinne für sich nutzen
    Am besten werden Informationen behalten, wenn sie uns einerseits über mehrere Sinneskanäle erreicht und andererseits unser bevorzugter Sinneskanal versorgt wird. Ist allen bewusst, über welchen Sinneskanal sie man am besten lernen – visuell, auditorisch, kinästhetisch?

Fazit: Das Fatale ist das fehlende Bewusstsein des bestehenden Wissens und die Unsichtbarkeit der Unkenntnis. Durch Anstrengungen kann dieses Manko nicht überwunden werden, sondern indem man sich von dokumentiertem Wissen löst und Bestehendes häufiger aktiv einsetzt, Dies funktioniert, wenn wir unsere Einstellungen wie oben beschrieben ändern, damit das Bedürfnis nach immer mehr dokumentiertem Unwissen sich auflöst.