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Der Effekt von Einköpfigkeit

Unternehmen, die die Dunbar-Nummer von 150 Mitarbeitern überwinden, sollten Wege finden, um ihre Führung auf mehrere Schultern zu verteilen, um der Einköpfigkeit zu entrinnen. Solange man unterhalb dieser Grenze zu finden ist, befinden sich die Beteiligten auf Augenhöhe – jeder kennt jeden; Meinungen und Vorschläge aller werden berücksichtigt; flache Strukturen und kurze Wege ermöglichen Agilität. Mehrere Top-Entscheider erzeugen eher ein verwirrendes Durcheinander und mangelhafte Vorgaben, anstelle einer klaren Ausrichtung. Mit Tausenden von Mitarbeitern wird die einköpfige Führung jedoch zu einem Flaschenhals. Unternehmensikonen, wie Steve Jobs, Bill Gates, Elon Musk, Larry Ellison, Jeff Bezos haben vor allem einen Marketingwert. Sie können sich weder um alles kümmern, noch sind sie in der Lage die Stimmigkeit ihrer Entscheidungen zu gewährleisten. Zusätzlich hängen nicht nur ihre Belegschaften, sondern auch das Netzwerk der angeschlossenen Partner von deren Stimmungslagen ab. Nicht zu vergessen die Anteilseigner, die ihre Anteile abhängig von öffentlichen Aussagen kaufen oder verkaufen. So hat Jeff Bezos auf die natürliche Lebensdauer eines Unternehmens von 30+ Jahren hingewiesen, um daraus das Ende von Amazon abzuleiten, dass sich dieser magischen Grenze nähert.

Dabei erschließt sich Amazon kontinuierlich neue Geschäftsfelder (z.B. Medien aller Art, Plattformen für Drittanbieter, Web Services), deren Viabilität solange sicher sein sollte, wie wir das WWW haben. Aber selbst derartig große Eigentümer sind nicht frei von Schicksalsgläubigkeit. Dabei könnte der bewusste Blick in den Spiegel die eigenen Schwächen ans Tageslicht bringen.

  • Verpasster Wechsel von Wachstum zu Viabilität
    Amazon hat bewiesen, dass sich Wachstum langfristig auszahlt. In den fast dreißig Jahren wurden die steigenden Einnahmen zum Ausbau des Unternehmens genutzt. Allein seit 2017 hat sich der Umsatz auf fast 12 Mrd. US$ vervierfacht. Allerdings scheint Jeff Bezos Kenntnisse zu haben, die ihm Grenzen aufzeigen, sonst würde er nicht den Schwanengesang anstimmen. Obwohl die Gefahr weniger das Ende von Amazon ist, sondern das Ende des Wachstums. Als einköpfiger Entscheider hat er die Möglichkeit sein Unternehmen in die Langlebigkeit zu führen, indem er von Wachstum auf Viabilität umschaltet. Wachstum bedient die Anteilseigner. Viabilität versorgt die Kunden, die im Gegenzug dem Unternehmen Einnahmen bescheren. Werden die Kunden nicht enttäuscht, bleiben sie loyal und tun sich schwer zum Wettbewerber zu wechseln. Enttäuschung entsteht, wenn die Leistungen fehlerbehaftet sind oder andere bessere anbieten.
    Stichwörter der Viabilität sind: bedarfsorientierte Handlungsvarietät, angenehme Customer Experience, selbstorganisierte Belegschaft, nachhaltige Geschäftsmodelle, Win-Win-Lieferbeziehungen und schlüssige Wertepraxis.
  • Unfähigkeit seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen
    Die Globalisierung hat die Geschäftsmodelle des Internets befeuert. Allerdings nutzen Unternehmen wie Amazon die fehlende Weltordnung, um sich gesellschaftlicher Verantwortung zu entziehen. Aus Profitinteresse werden die Einnahmen so kanalisiert, dass sie jeglichen Steuern aus dem Weg gehen. Dabei tragen die nationalen Politiker eine erhebliche Mitschuld, da sie versäumen, entsprechenden Bestrebungen kurzfristig Schranken zu setzen und sogar aktiv Steueroasen schaffen, um die Unternehmen anzulocken. Dass die Firmen diese Angebote nutzen, ist verständlich – es ist ja nur unmoralisch und nicht ungesetzlich. Allerdings schaden sie sich damit langfristig, da die Menschen dieses Geschäftsgebaren spätestens dann boykottieren, wenn andere Anbieter ähnliche Leistungen bieten und sich verantwortlicher verhalten.
    Stichwörter der gesellschaftlichen Verantwortung sind: Corporate Social Responsibility (CSR), Psychological Safety, Psychosocial Safety Climate, Compliance.
  • Phantasielosigkeit bezüglich der Zukunft
    Das Festhalten an einer bestimmten Art das Geschäft zu führen, liegt an der aktuellen Auslastung und der gewohnten Routine sowie oft an der Phantasielosigkeit der einköpfigen Führungsperson. Wird dann noch das Ende eines Geschäfts besungen, ist dies keine weise Aussicht, sondern Ausdruck von fehlender Vision. Der Konsum über das Internet hat die Geschäftswelt für immer virtualisiert – zumindest solange es Elektrizität und das Internet gibt. Ladengeschäfte sind jetzt Webshops. Marktplätze sind jetzt Plattformen. Fachgespräche sind jetzt Onlineforen. Die Reichweite des Geschäfts umspannt die Erde – auch wenn sich einzelne Webshops weiter an einen LOKALEN, EINSPRACHIGEN Markt wenden (ein klares Zeichen für den Anfang vom Ende). Die Frage muss jetzt sein: Wie entwickelt sich die virtuelle Geschäftsstraße weiter? Was kann ich tun, um vorne mit dabei zu sein? Welches sind die kritischen Einflüsse? Diese Fragen überfordern eine einköpfige Führung. Es braucht experimentierfreudige Menschen (Mitarbeiter und Führungskräfte), die möglichst viele Dinge ausprobieren und die viablen Ideen zur Marktreife bringen.
    Stichwörter der Phantasie sind: Lernende Organisation, Design Thinking, Experimentieren, Hackathon, FabLab, Business Exercise, Laterales Denken.
  • Innere Kündigung der treibenden Kraft an der Spitze
    Die größte Bedrohung, die durch Einköpfigkeit besteht, ist die Abhängigkeit von der Tagesform der Ikone. Im Extremfall kann die Moral über lange Zeit wegrutschen, was zu ungeschickten und defätistischen Aussagen führen kann. Verstärkt wird die Stimmungslage in der Folge durch einen anhaltenden Teufelskreis, der zu ausufernden Instabilitäten führt. Die Fähigkeit einen rechtzeitigen Führungswechsel herbeizuführen, der das Unternehmen langfristig stärkt, ist die letzte große Aufgabe der Ikone. Gleichzeitig bietet die Übergabe die Chance, die Einköpfigkeit zu überwinden. Bill Gates hat dies verpasst, da er Microsoft nicht in eine Allmende überführt hat, sondern durch die Weitergabe des Stabes das Althergebrachte betoniert hat. Jeff Bezos hat die Möglichkeit, aus seinem weltumspannenden Konsumnetz einen öffentlichen Marktplatz zu machen, dem die Kunden, nicht die Aktionäre, am wichtigsten sind. Mit seinem Abgesang auf Amazon hat er jedoch eher gezeigt, dass er in seiner Vorstellung das Plateau bereits erreicht hat, und es von jetzt an Berg ab geht. Diese innere Kündigung ist fatal.
    Stichwörter des Selbst-Managements sind: Selbstbild, Mindset, Selbstverständnis, Erwartungen, Strategie, Vision, Absicht.

Fazit: Alle reden von Agilität, Holokratie und Netzwerken – die Führungsebenen schließen sich allerdings bei diesen Diskursen aus. Dabei ist gerade auf der Ebene der Führung Teamarbeit entscheidend. An dem seidenen Faden eines „Genies“ zu hängen ist eines der größten Risiken für alle Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitern. Beispiele finden sich in den klein- und mittelständischen Unternehmen genauso wie bei den GAFAs (Google, Amazon, Facebook, Apple). Unser Beispiel ist Amazon, das den Wechsel von Wachstum zu Viabilität nicht hinbekommt, das seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht nachkommt, keine Vision für die Zukunft bietet und von einem Kopf mit offensichtlichen Selbstzweifeln geführt wird. Ausweg bietet ein Leitungsteam mit gleichberechtigten Partnern, die sich gegenseitig ergänzen. Dadurch werden die Effekte der Einköpfigkeit vermieden.

Schmackhafte Köder für den Fisch

Die meiste Zeit sind wir alle Kunden. Trotzdem scheint es beim Geschäft schwerzufallen, die eigene Sicht, die Anbietersicht, zu verlassen und auf den Standpunkt des Kunden umzuschalten. In der Folge werden die Angebote, aus dem eigenen Blickwinkel bearbeitet. Ungeschickterweise interessieren sich die Kunden erst in zweiter Linie für die Anbieter und wie sie beabsichtigen die Abnehmer glücklich zu machen oder welche Kunden sie bereits haben. In erster Linie verwenden die Abnehmer ihre eigenen Blickwinkel, mit denen sie das Angebot begutachten. Diese Gläser filtern nicht nur bestimmte Aspekte heraus, sondern sie wirken auch wie Scheuklappen, die einem den Blick nur auf einen eingeschränkten Ausschnitt erlauben. Die Anbieter sollten diese Sichtweisen stets vor Augen haben, wenn sie das Angebot vorbereiten – am Ende muss der Köder dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Schauen wir uns wichtige Kundenbrillen an.

  • Worum es geht
    Würden nur die Leistungen angeboten, die es schon immer gab, nur etwas besser, dann würde das Marketing bis heute Faustkeile bewerben. Die Veränderungen, die Gutenberg, Benz, Jobs oder Hopp et al. der Welt bescherten, waren für viele nicht sofort verständlich. Buchdruck, Automobil, PC und Standardsoftware waren disruptive Paradigmen, deren Bedeutung erst mit der Zeit sichtbar wurden. Die Abnehmer beschäftigen sich schon immer bevorzugt mit dem eigenen Kerngeschäft und haben wenig Zeit für sie fachfremde Neuerungen zu erfinden. Auch deshalb wenden sie sich an externe Anbieter. Allerdings brauchen die Kunden als Einstieg angemessene Erläuterungen der Themen, Ziele, Funktionen und der Bedeutung der Lösungen für ihr Geschäft, damit ihr Interesse geweckt wird. Mit dem Argument „Das wissen sie doch“, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, das andere den Zuschlag erhalten.
    Grundsätzliche Aspekte sollten nie vorausgesetzt, sondern passend zur Zielgruppe erläutert werden.
  • Was es heute und in Zukunft attraktiv macht
    Es ist möglich, dass ein Angebot gerade durch seine mystischen Neuerungen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weckt. Denken wir nur an Andreas Pavel, mit seinem Patent für eine „körpergebundene Kleinanlage für die hochwertige Wiedergabe von Hörereignissen“, dass das stationäre Musikerlebnis befreite. Wer hätte in einem Hi-Fi-Laden nach einem Walkman gefragt? Es sind die sachlichen und emotionalen Begründungen, die Kunden unwiderstehlich anziehen – i.e. die angebotene Funktionalität, die Integrierbarkeit in die vorhandene Landschaft, die Handhabbarkeit und Unterstützung bei der Anwendung sowie Referenzen von bestehenden Kunden und vor allem die Gestaltung des Angebots.
    Auch wenn die sachlichen Argumente im Vordergrund zu stehen scheinen, bestimmt das Bauchgefühl. Der Blick durch die Kundenbrille zeigt die Bestandteile, die den Kunden neugierig machen und im Angebot besonders hervorgehoben sein sollten.
  • Warum es langfristig viabel oder nicht ist
    Die langfristige Lebensfähigkeit der angebotenen Leistung spielt eine große Rolle bei der Bewertung durch die Abnehmer. Die zuverlässige Erbringung der Leistung steht im Mittelpunkt, vor allem unter den speziellen Bedingungen des Kunden. Treten Grenzen der Belastbarkeit auf, sollten passende Erweiterungen die dauerhafte Nutzung sicherstellen. Da die meisten Bausteine nicht auf der grünen Wiese eingerichtet werden, ist die Anschlussfähigkeit an die vorhandenen Bausteine zu gewährleisten. Es bringt nichts, Schnittstellen zu bewerben, die beim jeweiligen Kunden gar nicht benötigt werden. Diese Kriterien gelten nicht nur für den Moment der Einführung, sondern auch in Zukunft für den Betrieb und die abschließende Entsorgung.
    Das Angebot sollte auf die besonderen Gegebenheiten des Kunden zugeschnitten sein. Es garantiert die Vollständigkeit, erhöht das Kundenvertrauen und damit die langfristige Kundenbindung.
  • Was passieren muss, um machbar zu sein
    Da nicht alle Gegebenheiten im Voraus bekannt sind, sollten die Voraussetzungen für den Einsatz klar beschrieben sein. 1) Die Mitarbeiter sollten in der Lage sein, das Neue zu beherrschen. Erinnern wir uns an die Einführung der PCs. Die Probleme begannen damals nicht mit der geschäftlichen Anwendung, sondern bereits bei dem neuen Eingabegerät, dem X-Y-Positions-Anzeiger für ein Bildschirmsystem – später Maus genannt. 2) Die Infrastruktur muss in der Lage sein, das Produkt aufzunehmen – es muss anlieferbar sein und ausreichend Stellplatz haben und über die benötigten Anschlüsse verfügen. 3) Die geografisch kulturellen Besonderheiten müssen berücksichtigt werden – z.B. verschiedene Sprachen und kulturell-bedingte Bedienungselemente.
    Kunden honorieren es, wenn ihre Rahmenbedingungen erkannt und berücksichtigt oder zumindest die Prämissen klar beschrieben sind. Aus diesem Grund sollten die bekannten Leitplanken erwähnt, sowie Erfordernisse klar aufgezeigt werden. Passt das Angebot nicht, dann wird die fehlende Machbarkeit früher oder später sowieso sichtbar.
  • Welcher Aufwand insgesamt erforderlich ist
    Nachdem man das Angebot kennt, lohnt sich der Blick auf den Aufwand. Was kostet es? Was muss man für die Einführung aufwenden? Wie viel kostet der Betrieb? Und was erfordert die Instandhaltung? Dabei geht es um die erforderlichen Finanzen, den Zeitaufwand, der zu Verzögerungen im täglichen Geschäft führen kann, sowie das erforderliche Personal (intern/extern). Die verfügbaren Ressourcen sollten möglichst ermittelt oder zumindest angenommen werden, um ein angemessenes Angebot zu erstellen. Ein niedriger Preis mit einer viel niedrigeren Leistung ist immer schlechter als ein hoher Preis mit einer viel höheren Leistung. Wenn der geplante Aufwand der Abnehmer nicht bekannt ist, sollten zumindest die benötigten Aufwände klar aufgezeigt werden. Die Kunden können dann selbst entscheiden. Anbieter, die ihre Karten nicht offenlegen, werden langfristig den Kürzeren ziehen.
  • Was dafür oder dagegen spricht
    Eine hilfreiche Kundenbrille vermittelt einem die erwarteten Vor- und Nachteile. Auch diese können erfragt oder antizipiert werden, um das Angebot entsprechend anzupassen. Der kundenbezogene Business Case, in dem alle Bestandteile aufgelistet und bewertet sind, liefert die relevanten Aspekte: z.B. Auslöser der Anfrage/ Gründe für das Projekt; Handlungsalternativen; Erwartungen, bezüglich Nutzen, Risiken, Kosten und Zeitrahmen. Verschiedene Szenarien stellen sicher, dass andere wichtige Lösungen nicht übersehen und von vorneherein ausgeschlossen werden.
    Der Kunde sollte in die Lage versetzt werden nicht nur auf Basis von Berechnungen, sondern auch aus einer emotionalen Perspektive die Vor- und Nachteile bewerten zu können. Die Ermittlung der erwarteten Pros und Cons helfen beim Verständnis der Kunden.

Fazit: Die unterschiedlichen Kundenbrillen liefern dem Anbieter die Eckpunkte, an denen das Angebot ausgerichtet wird. Der einzelne Kunde braucht nicht alle diese Sichten. Kennt man die Bedürfnisse, kann man sich auf seine Sichtweise einstellen. Welche Perspektive für den Kunden kaufentscheidend ist, erkennt man erst im Nachhinein. Zusammenfassend sollten die Kunden den Sinn und Zweck des Angebots verstehen, es sollte für ihn reizvoll, langfristig nutzbar, mit den vorhandenen Gegebenheiten machbar sein und mehr Vor- als Nachteile liefern. Sie verkaufen nicht den Service, den sie als Anbieter bevorzugen, sondern den, den der Kunde mag. Der Köder muss nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch.