Archiv der Kategorie: Kommunikation

Kommunikation besteht aus Wahrnehmung, Denkmodellen und Kommunikationsverhalten.

UmstürzlerInnen stürzen um

Wir bemühen uns heutzutage um eine sachliche Sprache. Allerdings steckt schon bei so profanen Sachverhalten wie einem Glas, in das 250 ml Wasser passen, mehr als die ermittelte Menge. Die umgangssprachliche Beschreibung offenbart uns auch Befindlichkeiten – sprechen wir bei 125 ml von dem halb vollen oder halb leeren Glas. Bei der Wortwahl schwingt stets unser geistiger Zustand mit. Betrachten wir die folgenden zwei Beispiele: (1) Wir befürchten, dass das Ärgernis nur mehr schlecht als recht aus der Welt geschafft werden kann. (2) Wir sind überzeugt, dass die Angelegenheit angemessen aus der Welt geschafft werden kann. Befürchten wir etwas, dann haben wir eine höhere Verunsicherung, als wenn wir davon überzeugt sind. Wird ein auftretendes Problem als Ärgernis beschrieben, steckt dort mehr dahinter als nur eine Angelegenheit, die man lösen kann. Ob die Lösung dann mehr schlecht als recht ausfällt oder angemessen verwirklicht werden kann, hat einen großen Einfluss auf den Widerstand der Beteiligten. Obwohl beide Sätze sich nur an drei Stellen unterscheiden, ist (2) die wirkungsvollere Version. Die Aura, die ein Wort umgibt, wird bestimmt durch unsere Kultur und das darin vorhandene Weltwissen. Fachkundige Wortjongleure nutzen diese Hintergründe, um bestimmte Stimmungen herbeizuführen.

Als Beispiel betrachten wir die Protagonisten von politischen und sozialen Verschiebungen. Abhängig von der Bewertung eines Umsturzes nutzen BerichterstatterInnen unterschiedliche Worte für die Personen, die umstürzen.

  • UnterstützerInnen
    Wohlgesonnene BeobachterInnen schlagen sich auf die Seite des Pulks, der sich durch die Straßen bewegt. Verharmlosend werden die Teilnehmer von Aufmärschen als Anhänger bezeichnet – egal, ob am Straßenrand Autos in Flammen aufgehen, Scheiben eingeworfen werden oder Polizisten und ReporterInnen bedroht werden. Bei den Rezipienten wird dadurch ein Deutungsrahmen der Geschehnisse unterschwellig mitgeliefert – so wie beim Sturm auf das Capitol die Kommentatoren von Unterstützern redeten, bis auf die Bezeichnung Aufständische (Insurgentss) umgeschwenkt wurde.
  • DemonstrantInnen
    JournalistInnen begleiten angemeldete Demonstrationen, bei denen sich Tausende durch die Straßen bewegen. Friedliche BürgerInnen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben, werden erst mal als Demonstrierende b Auch dann, wenn einige RandaliererInnen am Rande der Veranstaltung stören. Die Verharmlosung der entstehenden Kollateralschäden erfolgt durch die als mehrheitlich friedlich beschriebene Veranstaltung – so wie beim Arabischen Frühling oder den Aktivisten in Hongkong.
  • RabaukInnen
    Zoomen die BerichterstatterInnen auf die Aktivisten, die sichtbar vorsätzlich durch die Straßen randalieren, dann gilt das nicht mehr als Demonstration, sondern als Randale. Es wird dann zu einer Störung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch Autonome, Rechtsradikale, Hooligans und Randalierende. Ihnen werden als einzige Ziele die Auflösung der bestehenden Ordnung, die Verunsicherung der Gesellschaft und die sinnlose Zerstörung von Eigentum unterstellt – so wie es jedes Jahr am 1.Mai in Berlin Kreuzberg zu beobachten ist.
  • RevolutionärInnen
    Der Blick in die Geschichte verklärt die Berichterstattung. Nachträglich wird sichtbar, wer gewonnen hat. Stellen wir uns vor, was wir nach 1789 in Frankreich gesehen hätten, wenn bereits das Internet verfügbar gewesen wäre. Ein Mob löste die bestehende Ordnung auf, indem die Meute öffentliche Einrichtungen mit Gewalt stürmte. Wir hätten ähnliche Bilder gesehen wie bei der Attacke auf das Capitol. Rückblickend sprechen wir jedoch von Revolutionären. Solange ein Machtwechsel noch nicht vollzogen ist, wird diese Bezeichnung nur genutzt, wenn der Sturz als wünschenswert angesehen wird. Revolutionen wollen immer ein bestehendes System zugunsten eines Besseren stürzen – zumindest aus Sicht der Protagonisten. Die Erinnerungskulturen in Russland, China, Kuba, Iran, Nicaragua oder in Deutschland feiern ihre Revolutionäre abhängig von der aktuellen politischen Situation als Helden oder Verräter (Denken wir nur an die Widerstandskämpfer vom 20. Juli, die erst 1952 rehabilitiert wurden).

Auch in den ‚seriösesten‘ Medien findet immer mehr wertende Berichterstattungen statt. Beispiele in Deutschland sind Reportagen von offiziell unerwünschten Veranstaltungen der Querdenker oder Berichte aus Nordkorea. Diese Berichte sind stets angereichert mit persönlichen, emotionalen Kommentaren. ‚Zufällige‘ Gespräche finden mit stereotypischen Persönlichkeiten statt. Wenn ein Journalist dann den Kommentar hinzufügt, dass er sich sicher fühlt und dabei einen unsicheren Blick auf eine für den Betrachter unsichtbare Szenerie wirft, dann haben wir die Ebene der neutralen Reportage bereits verlassen.

Fazit: Menschenmassen, die für eine Sache auf die Straße gehen, sehen immer ähnlich aus. Den Unterschied machen die Schilder, Signalfarben und Symbole – „Wir sind gegen …“ oder „Wir sind für …“; die orangene Revolution der Ukraine oder rot in Myanmar; oder die Regenschirmrevolution in Hongkong. Wenn die Teilnehmer abwechselnd als Unterstützer, Demonstranten, Rabauken oder Revolutionäre bezeichnet werden, dann spüren wir den anklingenden wertenden Unterton. Ein Machtpendel schwingt stets von einer Seite zur anderen – und nach gewisser Zeit wieder zurück. Und in allen Fällen sammeln sich Menschenmassen, um gegen das aktuelle System zu demonstrieren. Die Flut an Berichterstattungen auf allen verfügbaren Kanälen und die Informationsblase, die uns immer wieder die gleichen Botschaften liefern, haben die neutralen Berichte vom Markt der Informationen verdrängt. Selbst Einzelpersonen können die Meinung großer Gruppen beeinflussen – wie man beispielsweise im deutschsprachigen Raum an „Frank der Reisende“ sieht. Inwieweit es einen unabhängigen, wahren Kern gibt und ob wir den jemals finden, liegt immer im Auge der Betrachtenden. Und bei allen gilt: UmstürzlerInnen stürzen um.

Querdenken nachgeschaut

Die Autoren der Genesis haben in 1. Mose 1, 28 den Auftrag von Gott an die Menschen so beschrieben: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Jetzt, dreitausend Jahre später, haben wir es offensichtlich geschafft und nennen dieses neue Zeitalter Anthropozän. Der Mensch ist zu dem wichtigsten Einflussfaktor der Natur geworden. Das zeigt sich beim Klimawandel, der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, der Umweltverschmutzung bzw. dem Wechselspiel aller menschlichen Einflüsse. Ein gegenwärtiges Beispiel ist der Umgang mit der Corona-Pandemie. Während in der Vergangenheit die Pest, der Schwarze Tod und die aus den Vereinigten Staaten stammende Spanische Grippe unzählige Tote zur Folge hatten, betrachten wir anscheinend die aktuelle Seuche als ein Führungsproblem, dass durch geeignete Schritte beherrscht werden muss. Der eingleisige Versuch, die Ausbreitung durch Maßnahmen zur Reduzierung der Ausbreitung zu verhindern, ohne dabei die unbeabsichtigten Folgen für z.B. die Gesellschaft, Wirtschaft, Gesundheit, Bildung und Umwelt zu berücksichtigen, führt zu bisher nicht absehbaren Kollateralschäden. Und prompt formieren sich Bürger zum Widerstand – trotz aller Opposition mit Hygieneabstand.

Im Gegensatz zu den rechts- und linksextremen Gruppen sonstiger Demonstrationen kommen diese Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. In der Vergangenheit hat die Öffentlichkeit diese neue Gruppe mit dem aus Gutbürger abgeleiteten, eher negativ belegten Begriff der Wutbürger benannt. Im Zuge des Widerstands gegen die Pandemieregelungen der Bundesregierung benennen sich diese Bürger selbst als Querdenker. Dieser positiv belegte Begriff senkt die Hemmschwelle von bisher nicht aktiven MitbürgerInnen aus der Mitte der Gesellschaft, sich an den Aktionen zu beteiligen. Betrachten wir diese Bezeichnung näher.

  • Die bisherige Nutzung von Querdenken
    Edward de Bono hat 1967 das Buch Laterales Denken veröffentlicht. Im Zuge der Anwendung der dazugehörigen Kreativitätstechniken hat sich der deutsche Begriff querdenken Im Gegensatz zum analytischen Denken werden hier Sachverhalte intuitiv betrachtet. Jegliche Assoziationen sind zugelassen und anstelle von eindeutigen Ja/Nein-Entscheidungen wird PO genutzt. Beim Querdenken wird alles hinterfragt und nichts als gegeben hingenommen. In routinierten Abläufen sind Querdenker nicht so gern gesehen, da sie den vorgegebenen Fortgang stören. Zwischenzeitlich haben viele Unternehmen verstanden, dass laterales Denken ungewohnte Perspektiven eröffnet, die wertvolle Auswege aus unerwünschten Umständen bieten.
  • Die Bedeutung von Quer
    Der Duden beschreibt quer als 1) rechtwinklig zu einer als Länge angenommenen Linie und 2) schräg von einer Seite zur anderen, von einem Ende zum anderen verlaufend (z.B. diagonal, übereck). Dies erzeugt eine eher negative Bedeutung: Absichten störend und vereitelnd, sich widersetzend, anders als gewünscht. Derartige Personengruppen beschweren sich unnötigerweise und pochen dabei starrköpfig auf ihr vermeintliches Recht. Erst in der Verbindung mit denken kristallisiert sich die positive Auslegung heraus: Leute, die eigenständig und originell denken und deren Ideen und Ansichten oft nicht verstanden oder akzeptiert werden.
  • Die Bedeutung von Denken
    Fangen wir an den Verstand zu nutzen, sprechen wir von Denken. Hierfür muss die Welt wahrgenommen, in die eigenen Vorstellungen eingeordnet sowie die gezogenen Schlüsse in Sprache gepackt zu Handlungen werden. Da das Denken eine persönliche, in sich selbst gekehrte Tätigkeit ist, werden die Grenzen der eigenen Denkmuster nur ungern verlassen. Und genau hier setzt das Querdenken auf. Durch den Bruch mit Überzeugungen werden neue Lösungen gefunden und in die Vorstellungen eingebaut. Hierfür werden bewusst andere Lösungswege genutzt: z.B. durch Perspektivwechsel, Über- oder Untertreibungen, der Nutzung von Zufällen und Unterschieden sowie der Änderung der Rahmenbedingungen.
  • Die Unangemessenheit der Vereinnahmung
    Seit de Bono hatte sich die positive Auslegung vor allem beim Erkennen von Problemen und der Entwicklung von Lösung durchgesetzt. Im Zuge der aktuellen Pandemie hat sich eine Bewegung von Querulanten dem Begriff bemächtigt. Sie demonstrieren gegen Corona, als handle es sich dabei um willkürliche Maßnahmen der Regierung. Dabei versuchen die Politiker die Ausbreitung des Virus aufgrund der fehlenden Einsicht und Eigenverantwortung der Bevölkerung durch z.B. die AHA-Regeln zu stoppen (Abstand halten; Hygieneregeln einhalten; Alltagsmasken tragen). Die Spaßgesellschaft reagiert prompt und beschwert sich, dass sie ihren Vergnügungen nicht mehr frönen darf – keine Großveranstaltungen, keine Reisen, kein Shopping. Damit richtet sich der Protest gegen die Schutzmaßnahmen, obwohl sie sogar die Uneinsichtigen schützen. Als Nächstes werden sie gegen fehlenden Impfstoff, für die Auswahl des Impfstoffes und am Ende gegen Impfpflicht auf die Straße gehen. Gäbe es keine Maßnahmen der Bundesregierung, würden sie sich beschweren, wenn nicht genug Betten und Ärzte verfügbar sind. Diese Unvernunft und Verblendung unter dem Begriff Querdenker zu bündeln, schadet diesem wertvollen Ansatz, Lösungen zu finden.

Fazit: Die Wiederverwendung des Begriffs Querdenker durch Protestler gegen Schutzmaßnahmen wegen der COVID-19-Pandemie in Deutschland ist unglücklich. Zwar erscheint ihr Widerstand dadurch als lösungsorientierter Protest. Allein: es fehlen praktische Vorschläge zur Lösung. Im Gegenteil. Die Aktivitäten fördern die Ausbreitung durch die Großveranstaltungen ohne Mindestabstand und Masken. Offensichtlich beschweren sich Bürger über die Pandemie, als wäre sie etwas, das man per Verwaltungsakt abschaffen kann. Dies unter dem Titel Querdenker zu veranstalten ist unangemessen, da die zweite Hälfte des Wortes fehlt. Es gibt keine praktischen Vorschläge, die Leute fördern die Ausbreitung, indem sie die AHA-Regeln verweigern und verunsichern die restliche Bevölkerung durch Verbreitung von Verschwörungstheorien und gefährlichen Falschaussagen. Der Begriff Querdenker verliert dadurch seine positive Konnotation. Schade.