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Querdenken nachgeschaut

Die Autoren der Genesis haben in 1. Mose 1, 28 den Auftrag von Gott an die Menschen so beschrieben: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Jetzt, dreitausend Jahre später, haben wir es offensichtlich geschafft und nennen dieses neue Zeitalter Anthropozän. Der Mensch ist zu dem wichtigsten Einflussfaktor der Natur geworden. Das zeigt sich beim Klimawandel, der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, der Umweltverschmutzung bzw. dem Wechselspiel aller menschlichen Einflüsse. Ein gegenwärtiges Beispiel ist der Umgang mit der Corona-Pandemie. Während in der Vergangenheit die Pest, der Schwarze Tod und die aus den Vereinigten Staaten stammende Spanische Grippe unzählige Tote zur Folge hatten, betrachten wir anscheinend die aktuelle Seuche als ein Führungsproblem, dass durch geeignete Schritte beherrscht werden muss. Der eingleisige Versuch, die Ausbreitung durch Maßnahmen zur Reduzierung der Ausbreitung zu verhindern, ohne dabei die unbeabsichtigten Folgen für z.B. die Gesellschaft, Wirtschaft, Gesundheit, Bildung und Umwelt zu berücksichtigen, führt zu bisher nicht absehbaren Kollateralschäden. Und prompt formieren sich Bürger zum Widerstand – trotz aller Opposition mit Hygieneabstand.

Im Gegensatz zu den rechts- und linksextremen Gruppen sonstiger Demonstrationen kommen diese Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. In der Vergangenheit hat die Öffentlichkeit diese neue Gruppe mit dem aus Gutbürger abgeleiteten, eher negativ belegten Begriff der Wutbürger benannt. Im Zuge des Widerstands gegen die Pandemieregelungen der Bundesregierung benennen sich diese Bürger selbst als Querdenker. Dieser positiv belegte Begriff senkt die Hemmschwelle von bisher nicht aktiven MitbürgerInnen aus der Mitte der Gesellschaft, sich an den Aktionen zu beteiligen. Betrachten wir diese Bezeichnung näher.

  • Die bisherige Nutzung von Querdenken
    Edward de Bono hat 1967 das Buch Laterales Denken veröffentlicht. Im Zuge der Anwendung der dazugehörigen Kreativitätstechniken hat sich der deutsche Begriff querdenken Im Gegensatz zum analytischen Denken werden hier Sachverhalte intuitiv betrachtet. Jegliche Assoziationen sind zugelassen und anstelle von eindeutigen Ja/Nein-Entscheidungen wird PO genutzt. Beim Querdenken wird alles hinterfragt und nichts als gegeben hingenommen. In routinierten Abläufen sind Querdenker nicht so gern gesehen, da sie den vorgegebenen Fortgang stören. Zwischenzeitlich haben viele Unternehmen verstanden, dass laterales Denken ungewohnte Perspektiven eröffnet, die wertvolle Auswege aus unerwünschten Umständen bieten.
  • Die Bedeutung von Quer
    Der Duden beschreibt quer als 1) rechtwinklig zu einer als Länge angenommenen Linie und 2) schräg von einer Seite zur anderen, von einem Ende zum anderen verlaufend (z.B. diagonal, übereck). Dies erzeugt eine eher negative Bedeutung: Absichten störend und vereitelnd, sich widersetzend, anders als gewünscht. Derartige Personengruppen beschweren sich unnötigerweise und pochen dabei starrköpfig auf ihr vermeintliches Recht. Erst in der Verbindung mit denken kristallisiert sich die positive Auslegung heraus: Leute, die eigenständig und originell denken und deren Ideen und Ansichten oft nicht verstanden oder akzeptiert werden.
  • Die Bedeutung von Denken
    Fangen wir an den Verstand zu nutzen, sprechen wir von Denken. Hierfür muss die Welt wahrgenommen, in die eigenen Vorstellungen eingeordnet sowie die gezogenen Schlüsse in Sprache gepackt zu Handlungen werden. Da das Denken eine persönliche, in sich selbst gekehrte Tätigkeit ist, werden die Grenzen der eigenen Denkmuster nur ungern verlassen. Und genau hier setzt das Querdenken auf. Durch den Bruch mit Überzeugungen werden neue Lösungen gefunden und in die Vorstellungen eingebaut. Hierfür werden bewusst andere Lösungswege genutzt: z.B. durch Perspektivwechsel, Über- oder Untertreibungen, der Nutzung von Zufällen und Unterschieden sowie der Änderung der Rahmenbedingungen.
  • Die Unangemessenheit der Vereinnahmung
    Seit de Bono hatte sich die positive Auslegung vor allem beim Erkennen von Problemen und der Entwicklung von Lösung durchgesetzt. Im Zuge der aktuellen Pandemie hat sich eine Bewegung von Querulanten dem Begriff bemächtigt. Sie demonstrieren gegen Corona, als handle es sich dabei um willkürliche Maßnahmen der Regierung. Dabei versuchen die Politiker die Ausbreitung des Virus aufgrund der fehlenden Einsicht und Eigenverantwortung der Bevölkerung durch z.B. die AHA-Regeln zu stoppen (Abstand halten; Hygieneregeln einhalten; Alltagsmasken tragen). Die Spaßgesellschaft reagiert prompt und beschwert sich, dass sie ihren Vergnügungen nicht mehr frönen darf – keine Großveranstaltungen, keine Reisen, kein Shopping. Damit richtet sich der Protest gegen die Schutzmaßnahmen, obwohl sie sogar die Uneinsichtigen schützen. Als Nächstes werden sie gegen fehlenden Impfstoff, für die Auswahl des Impfstoffes und am Ende gegen Impfpflicht auf die Straße gehen. Gäbe es keine Maßnahmen der Bundesregierung, würden sie sich beschweren, wenn nicht genug Betten und Ärzte verfügbar sind. Diese Unvernunft und Verblendung unter dem Begriff Querdenker zu bündeln, schadet diesem wertvollen Ansatz, Lösungen zu finden.

Fazit: Die Wiederverwendung des Begriffs Querdenker durch Protestler gegen Schutzmaßnahmen wegen der COVID-19-Pandemie in Deutschland ist unglücklich. Zwar erscheint ihr Widerstand dadurch als lösungsorientierter Protest. Allein: es fehlen praktische Vorschläge zur Lösung. Im Gegenteil. Die Aktivitäten fördern die Ausbreitung durch die Großveranstaltungen ohne Mindestabstand und Masken. Offensichtlich beschweren sich Bürger über die Pandemie, als wäre sie etwas, das man per Verwaltungsakt abschaffen kann. Dies unter dem Titel Querdenker zu veranstalten ist unangemessen, da die zweite Hälfte des Wortes fehlt. Es gibt keine praktischen Vorschläge, die Leute fördern die Ausbreitung, indem sie die AHA-Regeln verweigern und verunsichern die restliche Bevölkerung durch Verbreitung von Verschwörungstheorien und gefährlichen Falschaussagen. Der Begriff Querdenker verliert dadurch seine positive Konnotation. Schade.

Wenn Selbstvertrauen zu Hybris wird

Die größte Hürde auf dem Weg zur Umsetzung der eigenen Vorhaben ist die Unsicherheit bezüglich der eigenen Fähigkeiten – den vorhandenen Rollen; Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken (SWOT); den Angeboten und den dazugehörigen Bausteinen des Geschäfts (Business Model Canvas); vor allem der eigenen Strategie. Die Elemente, auf denen wir das Selbstvertrauen aufbauen, verunsichern, weil wir nur ein vages Selbstbild haben. Zusätzlich entwickeln wir hohe Erwartungen und überhöhen unsere verfügbaren Anlagen. Wir übersehen unsere Schwächen und die Gefahren und huldigen gleichzeitig einem unrealistischen Perfektionismus. Diese Widersprüche erzeugen verstörende Selbstzweifel, die oft in Überheblichkeit gipfeln. Verstärkt wird die Situation durch Coaches und Berater, die uns glauben machen, dass wir unser Angebot durch eine aufpolierte Außendarstellung und souveränes Auftreten unterstreichen müssen. Sie vergessen dabei zu erwähnen, dass unser Ergebnis auf unseren tatsächlichen Möglichkeiten aufbaut. Die Folge ist eine übertriebene Selbstgefälligkeit, die leicht zu Hybris wird.

Bei der schrittweisen Entdeckung unserer Möglichkeiten orientieren wir uns an den Wettbewerbern. Wir laufen dabei Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren – die Messlatte liegt am Ende stets höher als beim Wettbewerber. Wenn wir dann noch unsere aufrichtige Selbsteinschätzung abschalten, führen blinder Stolz und übertriebene Selbstverliebtheit zur Überschätzung der eigenen Fähigkeiten – vom gesunden Selbstvertrauen direkt in die Hybris. Folgende Maßnahmen verhindern dieses Abheben in ungesunde Selbstüberschätzung.

  • Erfüllbare Leistungen
    Die Beschreibung des eigenen Geschäftsmodells, des Selbstbildes und der Strategie liefert die Elemente, mit denen Sie Ihre Kunden gewinnen. Die Betonung liegt auf beschrieben. Wenn Sie beispielsweise Ihre Zukunft nicht in Wort und Bild verdeutlichen, können Sie nicht erwarten, dass Ihre Kunden sich darauf einlassen. Entscheidend ist Ihr machbares Nutzenversprechen, dass auf die gewünschten Zielgruppen zugeschnitten ist.
    Wecken Sie keine Erwartungen, die Sie nicht erfüllen können.
  • Unterschiedliche Blickwinkel
    Nehmen Sie bei der Ausarbeitung unterschiedliche Standpunkte ein, um Ihre geschäftlichen Bestandteile mit abweichenden Maßstäben zu bewerten – z.B. aus Kundensicht, aus finanzieller, gestalterischer und technischer Perspektive. Sie fördern damit auch das gemeinsame Verständnis.
    Visieren Sie bestimmte Gruppen an und vermeiden Sie die eierlegende Wollmilchsau, da Sie nie alle mit einer Lösung glücklich machen können.
  • Wirksame Resonanzgruppen
    Die Betrachtung sollte nicht von einem elitären Kreis von Querdenkern im Elfenbeinturm durchgeführt werden, sondern unter Beteiligung wesentlicher interner und externer Stakeholder – aus verschiedenen Ebenen, Fachgebieten, Regionen, Kulturen usw. Dadurch erhalten Sie ein umfassendes Feedback.
    Bemühen Sie sich um möglichst vielfältige Rückmeldungen, da in einer breit aufgestellten Gruppe mehr Ergebnisse erzeugt werden, als wenn jeder für sich arbeitet.
  • Offene Feedbackkultur
    Der Gedankenaustausch läuft schnell und ungesteuert ab. Dabei setzen sich spontan Kräfte frei, die die Vorschläge n im Keim ersticken. Dies führt dazu, dass Meinungen nicht mehr frei geäußert werden. Das Feedback sollte so ausgetauscht werden, dass klar wird, was sachlich gemeint ist und Rückmeldungen wertfrei, zeitnah und unter vier Augen geteilt werden.
    Vermeiden Sie toxische Rückmeldungen auf Feedback, indem Sie Regeln festlegen, die störende Kritik unterdrücken und den offenen Austausch der Ideen fördern.
  • Überzeugte Selbstdarstellung
    Am Ende geht es um eine wirkungsvolle Aufbereitung Ihrer Möglichkeiten, die beim Publikum angemessene Erwartungen wecken – ohne prahlerische und unerfüllbare Großspurigkeit. Auf Basis der bisherigen Maßnahmen entwickeln Sie Ihr Selbstbild, an das Sie, Ihre Führungskräfte und Mitarbeitenden sowie Partner glauben können. Sie präsentieren sich im richtigen Licht und erzeugen Schwung und Commitment in Ihrem Bereich.
    Solide Selbstbewusstsein schafft Vertrauen und einen authentischen Auftritt – ohne Hybris.

Fazit: Klappern gehört seit Jahrhunderten zum Handwerk. Es ist der Weg, um auf sich aufmerksam zu machen. Früher war das Klappern der Soundtrack eines Gewerbes – es klapperten Mühlen, Maschinen, Werkzeuge und Webstühle. Heute erreicht das Klappern der Tastatur die Klienten nicht mehr. Um auf uns aufmerksam zu machen, braucht es eine auf Kunden ausgerichtete Selbstdarstellung, die uns aus der Menge der Angebote hervorhebt. Wenn dem Selbstvertrauen die Grundlage fehlt, führt das schnell zu schädlicher Überheblichkeit. Sie brauchen erfüllbare Leistungen, die überzeugend dargestellt sind. Betrachten Sie Ihr Geschäftsmodell, die Strategie und das Selbstbild aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Eine diverse Resonanzgruppe hilft bei der Bewertung mit ehrlichem Feedback. Durch eine offene Feedbackkultur werden die unterschiedlichen Meinungen gehört und können verarbeitet werden. Das Ergebnis ist eine überzeugende Selbstdarstellung, die ohne Übertreibungen Ihre Möglichkeiten aufzeigt. Schlussendlich verhindern Sie damit, dass Ihr Selbstvertrauen zur Hybris wird.